Sonderwirtschaftszonen gibt es in China viele. Fast jede Millionenstadt in der Volksrepublik hat in den vergangenen Jahren irgendwo in ihrem Stadtgebiet eine spezielle Zone eingerichtet, in der Unternehmen Steuererleichterungen oder Investitionshilfen genießen oder irgendwelche der an und für sich recht strengen Handels- und Investitionsbestimmungen gelockert oder ganz aufgehoben wurden.
Das hat seine Gründe: Jeder hier in China weiß, dass der wirtschaftliche Aufstieg vor 30 Jahren solchen Sonderwirtschaftszonen zu verdanken ist. Damals erlaubte Chinas Führung der Stadt Shenzhen vor den Toren Hongkongs und drei weiteren Städten sich vorab in freier Marktwirtschaft auszuprobieren, als der Rest des Landes noch komplett planwirtschaftlich gesteuert wurde. Diese vier Zonen gehören nun zu den wirtschaftlich erfolgreichsten Städten im Land. Nun geht Peking einen Schritt weiter und erlaubt auf dem chinesischen Festland erstmals auch die Einrichtung einer Freihandelszone.
Im Ostteil der 20 Millionen-Metropole Shanghai auf der Halbinsel Pudong dürfen wahrscheinlich schon ab dem kommenden Jahr Unternehmen, Banken und Finanzdienstleister in einer speziell eingerichteten Zone weitgehend frei auch mit Finanzprodukten handeln und spekulieren. Das ist ein Novum für die Volksrepublik. Denn so sehr China seit seinem Beitritt zur Welthandelsorganisation 2001 Teil des globalen Warenverkehrs und inzwischen zur größten Handelsnation der Welt aufgestiegen ist – der chinesische Finanzmarkt ist der Außenwelt bislang weitgehend verschlossen geblieben.
Der Kapitalmarkt ist streng reguliert, die Banken sind staatlich, für sie gilt ein von der Zentralbank festgelegter Einheitszinssatz. Zudem ist die chinesische Währung international nicht frei handelbar. Und nur wenigen ausländischen Banken und Versicherungen ist es bislang erlaubt, auf den chinesischen Kapitalmarkt Fuß zu fassen.
So sehr die chinesische Führung die Vorteile freier Warenmärkte für das eigene Land zu schätzten weiß – das internationale Finanzbranche ist ihr bis heute nicht geheuer. Sie hat im Zuge der verschiedenen Finanzkrisen immer wieder erkannt, welche Schäden ein allzu liberalisierter Finanzmarkt mit seinen abrupten Schwankungen mit sich bringen kann. Chinas Führung sieht das eigene Land bislang noch nicht gewappnet – zumal sie an einen abgeschotteten Finanzmarkt ganz gut mit verdient hat und sie weitgehend die Kontrolle über ihr Finanzsystem behält.
Doch unter dem neuen Premierminister Li Keqiang erkennt die chinesische Führung immer mehr die Kehrseiten eines allzu abgeschotteten Kapitalmarktes. Für die chinesischen Sparer gibt es kaum Anlagemöglichkeiten, weswegen sie vermehrt in Immobilien investieren – was wiederum die Preise anheizt. Sorge bereitet ihr vor allem aber, dass die eigenen Banken zu höchst ineffizienten Giganten herangewachsen sind, die inzwischen ein sehr großes Problem darstellen. Der Einheitszins etwa sorgt für wenig Wettbewerb unter den Banken, sodass sie Kredite vorwiegend großen Konzernen, Staatsunternehmen und Lokalregierungen vergibt, die sich damit zum Teil höchst ineffiziente Großprojekte leisten. Viele dieser Kredite erweisen sich als faul.
Zugleich leistet dieses System Schattenbanken Vorschub. Weil viele mittelständische Unternehmen aufgrund ihrer höheren Risikobewertung im Vergleich zu großen Staatsbetrieben wiederum nur schwer Zugang zu Krediten erhalten, leihen sich viele von ihnen das Geld von informellen Banken – dies jedoch zu horrenden Zinssätzen und außerhalb jeglicher Regulierung. Chinas Kapitalmarkt, den die Führung zur besseren Kontrolle abgeschottet hat, gerät in der Realität außer Rand und Band.
Li Keqiang will nun mit dieser Praxis aufräumen. Und wie einst die Sonderwirtschaftszonen ausländische Unternehmer anlockte, um produzierendes Gewerbe aufzubauen, soll die Freihandelszone in Shanghai ausländische Banker und Finanzdienstleister anlocken, um ein international wettbewerbsfähiges Finanzsystem in China zu schaffen. Der Stadtteil Pudong dient dafür als Labor.
Was in der Freihandelszone tatsächlich alles möglich ist, sickert in diesen Tagen erst nach und nach durch. Gesetzt ist auf jeden Fall ein freier Handel mit der chinesischen Währung, der in den kommenden Jahren ohnehin stärker liberalisiert werden soll. Zollfreies Einkaufen soll möglich sein, zudem sehr viel mehr Produkte zugelassen werden als im Rest des Landes (etwa Spielekonsolen). Zudem will die Regierung schon ab 2014 ausländischen Geldhäusern und Versicherungsgesellschaften die Gründung von eigenen Tochtergesellschaften gestatten, die ihre bislang in China nicht erlaubten Finanzprodukte nun auch chinesischen Anlegern anbieten dürfen. Inländischen Banken sollen diese Geschäfte in der Shanghaier Freihandelszone künftig ebenfalls erlaubt sein.
Einen völlig freien Kapitalmarkt wird es in der Volksrepublik trotz dieser Freihandelszone in Shanghai dennoch nicht so schnell geben. Nur was sich bewährt und das Machtmonopol der regierenden Kommunistischen Partei nicht gefährdet, wird irgendwann auch im Rest des Landes eingeführt. Letzteres heißt aber für einen freien Kapitalmarkt: So lange die KP nicht abdankt – nie.