Als die neue chinesische Führung im März ihr Amt antrat, waren die Erwartungen groß. Verglichen mit ihren Vorgängern sind Premier Li Keqiang und Präsident Xi Jinping noch jung: Li ist 58 Jahre alt, Xi wurde im Juni 60. Sie würden China verändern, hoffte man im In- und Ausland. Bislang hat sich das allerdings nicht erfüllt, auch nicht wirtschaftspolitisch. Zwar gab es Ankündigungen, aber noch keine Taten.
In den nächsten Wochen könnte sich das ändern. Am 9. November beginnt das „Dritte Plenum des 18. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei“. Die Zusammenkunft der Parteikader ist wesentlich spannender, als der sperrige Titel vermuten lässt, denn hier treffen sich die 376 mächtigsten Männer und Frauen Chinas zu einer ehrgeizigen Konferenz: Sie legen die Umrisse der Wirtschaftspolitik für die kommenden Jahre fest.
Die meisten Ökonomen sind sich in ihrer Diagnose der chinesischen Probleme einig. Das Land hat zuletzt zu einseitig die Schwerindustrie und einige wenige Schlüsselbranchen gefördert. Die Folge sind Umweltschäden, eine industrielle Monokultur und Überkapazitäten. Dass China nicht mehr so weitermachen kann wie bisher, ist klar.
Was dagegen getan werden soll, ist allerdings umstritten. Soll China weiterhin auf die Staatswirtschaft setzen, seine Großunternehmen jedoch stärker auf Trab bringen? Das war die Idee des inzwischen gestürzten einstigen Spitzenpolitikers Bo Xilai aus der zentralchinesischen Metropole Chongqing. Oder braucht China mehr freies Spiel der Kräfte und mehr private Mittelständler? Das scheint in der neuen Führung Konsens zu sein. Gerade Premier Li vertrat in der Öffentlichkeit schon mehrfach die Ansicht, dass Wirtschaft ein dynamischer Prozess sei und die Unternehmen Freiheiten brauchen, um leistungsfähig zu sein.
In konkrete Politik hat Li seine Erklärungen aber noch nicht übersetzt. Zwar hat seine Regierung eine Reihe von Dokumenten vorgelegt, die auf eine Stärkung des Privatsektors schließen lassen. Doch dessen Handlungsfreiheit bleibt bislang begrenzt. Für Mittelständler ist es weiterhin sehr schwer, an Kredite zu kommen.
Um wirklich etwas zu bewegen, müsste die Kommunistische Partei wahrscheinlich einen Teil ihrer Macht abgeben. Gerade die Provinz- und Gemeindebehörden ähneln Wirtschaftsunternehmen mit voller Kontrolle über die Firmen und Investitionen vor Ort. Das verschafft den Bossen vor Ort die Macht von Fürsten, und große Möglichkeiten, sich zu bereichern. Und es führt zu einem Filz, der schließlich jede Initiative erstickt. Um hier etwas zu verändern, müsste sich die Pekinger Führung mit dem lokalen Mittelbau anlegen.
Bisher hat sie sich das noch nicht getraut. Das Ergebnis sind undurchsichtige Reformversuche, so wie in der Anfang des Monats eröffneten Freihandelszone in Shanghai. Der Bürgermeister der Metropole, aber auch Staatsmedien und Analysten internationaler Banken, priesen sie als großen Wurf. Vor allem die Finanzwirtschaft soll in Shanghai völlig neue Freiheiten erfahren. Sogar vom freien Handel mit der chinesischen Währung, dem Yuan, ist die Rede.
Doch bisher herrscht vor allem Unklarheit. Niemand weiß, nach welchen Regeln die neue Freihandelszone funktionieren soll. Als halbherziges Projekt wird sie kaum funktionieren. Umgekehrt birgt eine zu starke Liberalisierung aber Gefahren. Ein völlig freier Handel mit dem Yuan beispielsweise könnte dazu führen, dass ausländisches Kapital unkontrolliert über die Freihandelszone nach China strömt. Das könnte die Finanzmärkte des ganzen Landes durcheinanderbringen.
Auch in anderen Reformbereichen ist bisher nur wenig Konkretes zu erkennen. Die Gründung von Privatbanken zur Ergänzung der staatlichen Geldhäuser stockt, und weiterhin gehen 70 Prozent aller Kredite an die großen Staatsfirmen. Die großen Monopolen bleiben erhalten.
Vielleicht wartet Li Keqiang ja auf das sagenumwobene „Dritte Plenum“ im November, um seine Pläne vorzustellen. Ich lasse mich gerne überraschen.