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Chinas zweite historische Reform

 

Das in China mit Spannung erwartete Abschlusskommuniqué des Dritten ZK-Plenums liegt vor. Doch was zu Beginn dieses Parteitreffens von der Kommunistischen Partei als größte Wirtschaftsreform seit Jahrzehnten angekündigt wurde, wirkt auf den ersten Blick bürokratisch und vage.

Von „einer umfassenden Vertiefung von Reformen“ ist in dem Dokument die Rede. Private Unternehmen sollen künftig eine „wichtige Komponente“ des Wirtschaftslebens sein. Der Markt werde eine „entscheidende Rolle“ bei der Bereitstellung von Ressourcen spielen. Doch was heißt das genau?

Das geht aus dem Kommuniqué nicht hervor. Es liefert auch keinen Zeitplan oder gar konkrete Handlungsanweisungen. Die 367 Mitglieder des Zentralkomitees, die eigentlich auf ihrer viertägigen Sitzung den Auftrag hatten, Chinas wirtschaftlicher Entwicklung der kommenden zehn Jahre eine Richtung zu geben, haben sich lediglich darauf geeinigt, eine Arbeitsgruppe einzusetzen. Getreu dem Motto: Wer nicht mehr weiter weiß, gründet einen Arbeitskreis.

Ein genauer Blick aber zeigt: Das Dokument hat es durchaus in sich. Dass der Markt künftig nicht mehr nur wie bisher um eine „grundlegende“, sondern eine „entscheidende“ Rolle bei der Verteilung von Ressourcen spielen soll, ist keineswegs nur eine formulierungstechnische Spitzfindigkeit. Für KP-Verhältnisse ist das geradezu umwälzend.

Oft wird übersehen, dass sich die Volksrepublik trotz der Marktliberalisierungen der vergangenen Jahrzehnte nach wie vor als einen sozialistischen Staat betrachtet. Und Staatsunternehmen bilden ein wichtiges Fundament der chinesischen Kommunisten. Eins der größten Probleme der vergangenen Jahre war der massive Einfluss des Staates auf das Wirtschaftsleben und die Dominanz der mächtigen Staatsbetriebe. Beides ist nicht per se schlecht. Die Politik verfügt auf diese Weise über Instrumente, um in das Marktgeschehen einzugreifen. In der Regel verfolgen Regierungen ein eher gesamtgesellschaftliches Interesse als einzelne Unternehmer.

In China jedoch argumentieren viele Parteisekretäre für einen starken Staat und geben sich als überzeugte Kommunisten. In Wahrheit aber fürchten sie um Posten, Einfluss und Pfründe. Viele von ihnen wirtschaften nur noch in die eigene Tasche. Diese übermächtigen Parteikader und Staatsunternehmer haben in den vergangenen Jahren dem Land mehr Unheil zugefügt als dass sie wirklich von Nutzen waren. Sie sind verantwortlich für Ineffizienz, Überkapazitäten, Filz und Korruption.

Zugleich haben diese Staatsunternehmen es zu verhindern gewusst, dass sich in China ein solides mittelständisches Privatunternehmertum entwickeln konnte. Private Unternehmen sind zwar seit vielen Jahren in China zugelassen und tragen auch zu rund 60 Prozent der Wirtschaftsleistung bei. In vielerlei Hinsicht, etwa bei der Auftrags- oder Kreditvergabe, werden sie jedoch benachteiligt.

Mit dem Bekenntnis des ZK auf dem Dritten Plenum, auch privates Eigentum als wichtigen Bestandteil der „sozialistischen Marktwirtschaft“ und als wichtige Grundlage für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung“ anzuerkennen, sagt die Parteispitze dem Parteikaderfilz den Kampf an – und damit auch den Genossen in den eigenen Reihen. Premierminister Li Keqiang, der sich seit Beginn seiner Amtszeit zu Beginn des Jahres für eben eine Stärkung der Privatwirtschaft ausgesprochen hat, konnte sich in dem viertägigen Geschacher demnach durchsetzen. Das Abschlusskommuniqué trägt eindeutig seine Handschrift.

Sicherlich lässt dieses Dokument viele zentrale Fragen unbeantwortet. Auch innerparteilich dürfte es noch einigen Widerstand geben. Aber die Weichen sind gestellt.

Erinnert sei an das mittlerweile legendäre Abschlusskommuniqué des legendären Dritten ZK-Plenums der Kommunistischen Partei von 1978. Es gilt heute als Beginn der chinesischen Reformpolitik, die schließlich den Aufstieg Chinas zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt beförderte. Das Papier selbst war jedoch damals sehr unkonkret. Weder tauchten die Begriffe „Markt“ oder „Marktwirtschaft“ auf, noch „Eigentum“ oder „Reichtum“. Sie galten allesamt damals als „bourgeouis“. Stattdessen war verschwurbelt von „der Akzeptanz materieller Belohnung“ die Rede oder dem „Wachstum der Produktivkräfte“. Erst sehr viel später machte der große Reformer Deng Xiaoping klar, was genau gemeint war: „Lasst einige zuerst reich werden.“