Die Großbank JPMorgan Chase hatte es in den vergangenen Monaten nicht leicht. Erst warf ihr das US-Justizministerium vor, Investoren beim Verkauf von Hypothekenpapieren betrogen und damit massiv zur schweren Finanzkrise 2008 beigetragen zu haben. Die Folge: Die US-Bank musste eine Geldstrafe von 13 Milliarden US-Dollar zahlen. Nun ermittelt die Bankenaufsicht in New York gegen das Institut wegen illegaler Einflussnahme in China. JPMorgan soll Angehörige mächtiger chinesischer Funktionäre angeheuert und sich auf diese Weise Vorteile bei Geschäftsabschlüssen erschlichen haben. Sollte sich der Vorwurf bewahrheiten, hätte das nicht nur juristische Konsequenzen in den USA, sondern könnte auch politische Folgen in Peking haben.
Konkret geht es um die Tochter des ehemaligen Premierministers Wen Jiabao: JPMorgan hat ihre Firma Fullmark Consultants mit einem Beratervertrag bedacht und zwischen 2006 und 2008 zwei Mal 900.000 Dollar überwiesen. Die US-Bank führt sie in ihren Unterlagen mit dem Namen „Lily Chang“ auf.
Tatsächlich aber handelt es sich um Wen Ruchun, der einzigen Tochter von Expremier Wen Jiabao. Der Beratervertrag mit JPMorgan brachte ihr monatlich 75.000 Dollar ein. Dafür ließ Wen Ruchun ihre Kontakte spielen. Konkret geht es dabei um Geschäfte mit der staatlichen China Railway Corporation: JPMorgan hatte den Börsengang mit einem Volumen in Höhe von fünf Milliarden Dollar betreut. Wen Jiabao war bis Frühjahr dieses Jahres Premierminister der Volksrepublik und zuständig für Wirtschaft und Finanzen.
Noch ist nicht geklärt, ob JPMorgan tatsächlich gegen US-Recht verstoßen hat. Die Anstellung von Leuten mit guten Kontakten ist an und für sich nicht illegal. Und ein gutes Gehalt ist noch keine Bestechung. Anders sieht es hingegen aus, wenn ein politisch einflussreicher Vater dem neuen Arbeitgeber der Tochter zu Aufträgen in Milliardenhöhe verhilft. Sollte sich das bestätigen, wäre es aus US-Sicht ein klarer Fall von Korruption – und damit sehr wohl strafbar. Strafzahlungen wären für JPMorgan fällig. In China könnte dieser Fall die gesamte politische Führung erschüttern.
Vor knapp zwei Jahren hatte der Sturz des einstigen chinesischen Spitzenpolitikers Bo Xilai die korrupten Machenschaften ranghoher Parteikader offenbart. Auch deshalb reagiert die KP derzeit empfindlich auf weitere mögliche Enthüllungen. US-Journalisten, deren Medien schon einmal über das Vermögen der Familie Wen oder des amtierenden Präsidenten Xi Jinping berichtet haben, erhalten derzeit keine Verlängerung für ihr Visum.
Zugleich geht Xi seit seinem Amtsantritt rigoros gegen Korruption in den eigenen Reihen vor und hat mehrfach angekündigt, weder hochrangige „Tiger“ noch die kleinen „Fliegen“ zu verschonen. Unbestätigten Angaben zufolge trifft es derzeit sogar den einst mächtigen Zhou Yongkang. Er war bis vor Kurzem als Sicherheitschef einer der einflussreichsten Politiker der Volksrepublik und stand einem Millionenheer von bewaffneten Polizeieinheiten vor.
Ob nun im Fall von JPMorgan Chinas damaliger Premier tatsächlich konkrete Anweisungen erteilt hatte, um den Deal zwischen der China Railway Corporation und JPMorgan zu ermöglichen, ist nur schwer zu beweisen. In der Volksrepublik reicht es oft, wenn ein prominenter Name fällt – schon ist der Deal vollzogen. Der Name Wen Ruchun an sich ist schon ein Türöffner. Spezielle Anweisungen muss ihr Vater gar nicht erteilt haben.
Das wiederum ist aber der Grund, warum nicht nur die Tochter des ehemaligen Premiers auf der Gehaltsliste einer US-Bank steht, sondern alle möglichen Töchter, Söhne, Brüder und Gattinnen hoher chinesischer Spitzenkader. Und JPMorgan ist auch nicht die einzige Bank, die so verfährt: Morgan Stanley, Goldman Sachs und selbst die Citygroup – sie alle mussten zugeben, dass die US-Finanzaufsicht derzeit wegen ihrer Personalpolitik in der Volksrepublik auch gegen sie ermittelt.