Was im Rest der Welt selbstverständlich ist, kommt in China einer Revolution gleich: die Liberalisierung der Zinsen. Am Rande des jährlichen Nationalen Volkskongresses hat der chinesische Zentralbankchef Zhou Xiaochuan verkündet, dass Banken und andere Finanzdienstleister schon bald den bislang staatlich festgelegten Zinssatz selbst bestimmen dürfen. Zhou geht davon aus, dass eine Liberalisierung innerhalb der nächsten zwei Jahre umgesetzt wird – sehr viel schneller als bislang angenommen.
Für lange Zeit sind Chinas Führung und die ihr unterstellte Zentralbank mit einem von ihr vorgegebenen Einheitszinssatz recht gut gefahren. Die Führung hat damit nicht nur die Kontrolle über ihr Finanzsystem behalten, sondern hat über die von ihr ebenfalls kontrollierten Banken an den Sparern ordentlich mitverdient. Die Zentralbank legte nämlich einen Zinssatz fest, der weit unter der Inflationsrate liegt. Da es in dem bislang streng abgeschirmten Finanzmarkt für chinesische Sparer zugleich nur wenig Anlagemöglichkeiten gibt, haben sie kaum eine andere Möglichkeit, als den Staatsbanken günstig ihr Geld zu überlassen.
Doch in den vergangenen Jahren ist dieser streng regulierte Kapitalmarkt an seine Grenzen gestoßen. Viele Chinesen haben gewaltige Vermögen angehäuft. Sie geben sich mit mickrigen Einheitszinssätzen nicht mehr zufrieden. Sehr viel Geld haben sie deshalb stattdessen in den Kauf von Wohnungen und Häusern gesteckt und damit in vielen Städten Chinas den Immobiliensektor aufgeblasen.
Zugleich verhindert der Einheitszinssatz Wettbewerb unter den Banken. Kredite bekamen vorwiegend große Konzerne, Staatsunternehmen und Lokalregierungen, die sich damit zum Teil höchst ineffiziente Großprojekte geleistet haben. Viele dieser Kredite erweisen sich nun als faul. Chinesische Kommunen, Provinzregierungen und Staatsunternehmen haben innerhalb weniger Jahre gigantische Schulden angehäuft, die nun das gesamte Wirtschaftssystem gefährden. Auch das Schattenbankenwesen fernab staatlicher Kontrolle hat bedrohliche Ausmaße angenommen.
Versprochen hat die chinesische Regierung die Zinsliberalisierung bereits seit einiger Zeit. Die erlaubte Zinsspanne hat sie im vergangenen Sommer auch schon gelockert. Seit Kurzem können chinesische Sparer ihr Vermögen auch bei privaten Internetdienstleistern anlegen. Und die Zulassung von anderen Privatbanken steht ebenfalls unmittelbar bevor. Das wird die Staatsbanken unter Druck setzen.
Doch so konkret wie jetzt war die Zentralbank mit ihrer Ankündigung noch nicht. Angesichts der Sparwut der Chinesen gehen Experten in aller Welt davon aus, dass das noch mal gigantische Summen in die Finanzmärkte schwemmen wird und Chinas bislang unterentwickelten Kapitalmarkt einen ordentlichen Schub verpassen wird.
Was die vollständige Konvertibilität der bisher ebenfalls staatlich regulierten chinesischen Währung betrifft, hält sich Zentralbankchef Zhou jedoch bedeckt. China werde die Flexibilisierung der Währung zwar auch weiter vorantreiben, versicherte er, mahnte aber zugleich zu Geduld. Anders als bei der Zinsliberalisierung nannte er keinen konkreten Zeitplan.
Besonders vertrauenserweckend geht die chinesische Zentralbank aktuell jedoch nicht gerade vor. Sie hat den Yuan ja an den US-Dollar gekoppelt und legt täglich einen Wechselkurs fest. In den vergangenen zwei Wochen ist er jedoch so stark gefallen wie seit anderthalb Jahren nicht. Die chinesische Zentralbank behauptet, die Abwertung sei marktgetrieben erfolgt. Währungsexperten gehen jedoch davon aus, dass sie gezielt abgewertet hat: Sie will Spekulanten verschrecken, die zuletzt auf eine Aufwertung gesetzt haben.