Das chinesische Wirtschaftsrecht hat viele Lücken, die Regelwerke sind selten vollständig. Schlupflöcher gibt es in dem Schwellenland viele. Auch an Kontrolle fehlt es häufig – zumal die chinesischen Behörden selbst oft wenig Interesse zeigten, Wirtschaftsdelikte von Ausländern allzu hartnäckig zu verfolgen. Das schafft nur zusätzlichen Ärger, lautet eine weitläufige Haltung unter chinesischen Beamten. Die meisten ausländischen Geschäftsleute in China wähnten sich also bislang auf der sicheren Seite.
Und wenn sich ein ausländischer Geschäftsmann doch mal etwas zuschulden kommen ließ, dann lösten viele das Problem, indem sie dem zuständigen Beamten einfach ein Bündel 100-Yuan-Scheine oder eine Flasche Schnaps in die Hand drückten. So handhabte es lange Zeit ja auch die chinesische Konkurrenz. Schmieren war in China lange Zeit allgegenwärtig.
Doch seit Xi Jinping vor etwas mehr als einem Jahr das Amt des Staatsoberhaupts übernommen und die Korruptionsbekämpfung zur Chefsache erklärt hat, weht ein anderer Wind. In den eigenen Reihen räumt Xi bereits mächtig auf. Derzeit vergeht kaum ein Tag, an dem in den chinesischen Staatsmedien nicht über eine weitere Entlarvung eines korrupten Parteisekretärs oder Spitzenbeamten berichtet wird. Nun trifft es erstmals in seiner Amtszeit auch ein ausländisches Unternehmen.
Wie die Polizei der südchinesischen Stadt Changsha Mitte der Woche mitteilte, soll dem ehemaligen China-Chef des britischen Pharmakonzerns GlaxoSmithKline (GSK) und zwei seiner chinesischen Mitarbeiter der Prozess gemacht werden. Dem Briten Mark Reilly wird vorgeworfen, Tausende von Ärzten und Krankenhäusern mit umgerechnet mehreren Hundert Millionen Dollar über viele Jahre hinweg geschmiert zu haben. Die Ärzte sollten auf diese Weise bevorzugt Glaxo-Produkte in ihren Praxen und Kliniken verwenden.
Als die Sache im vergangenen Sommer aufflog, war lediglich von Korruptionsvorwürfen gegen chinesische Manager die Rede. Nun trifft es auch den Briten. Doch nicht nur die Anklage gegen Reilly an sich überrascht, sondern auch die Schärfe der Anklagepunkte. Wie den beiden chinesischen Managern droht auch ihm eine lebenslange Haft.
Die Führung von GSK in Großbritannien versprach eine enge Zusammenarbeit mit den chinesischen Ermittlungsbehörden. Sie hatte gleich nach Bekanntwerden Reilly vom Posten genommen. Der Brite war zunächst aus China geflüchtet, kehrte aber nach mehrmaligen Aufforderungen wieder nach Peking zurück. Er darf seitdem nicht mehr das Land verlassen.
Die zuständigen Behörden in Changsha machten bislang keine Angaben, inwiefern sie auch gegen GSK selbst vorgehen. Die chinesischen Staatsmedien berichten jedoch von gefälschten Konten des Unternehmens und einem „breit angelegtem System der Korruption in China“. GSK-Mitarbeiter sollen gezielt dazu gedrängt worden sein, Ärzte zu schmieren. Fast eine halbe Milliarde Dollar hat GSK seit 2007 angeblich für Bestechung ausgegeben. Das dürfte sich laut der Medienberichte ausgezahlt haben. Auf diese Weise soll Reilly der Firma „illegale Umsätze“ von mehreren Hundert Millionen Dollar beschert haben. Sollte GSK für schuldig befunden werden, droht dem Unternehmen das Aus seines China-Geschäfts. Die Volksrepublik ist der derzeit am schnellsten wachsende Markt für Pharmaprodukte.
GSK ist nicht das erste ausländische Unternehmen, gegen das chinesische Behörden wegen Korruption vorgehen. 2009 verurteilte ein Gericht vier Manager des Bergbaukonzerns Rio Tinto zu Haftstrafen zwischen sieben und 14 Jahren. Doch das hatten viele Beobachter als extremen Einzelfall gewertet. Die Bestechung von Ärzten ist in der Pharmabranche in China hingegen weit verbreitet. Es ist insofern auszugehen, dass auch andere Unternehmen demnächst belangt werden.
Diese weit verbreitete Praxis wirft natürlich ein generell schlechtes Licht auf Chinas Gesundheitssystem. Seit die Volksrepublik vor 30 Jahren den Einheitslohn aufgegeben und die Gesundheitsversorgung auch der städtischen Bevölkerung dereguliert hat, behandeln viele Ärzte nur dann, wenn auch sie ein dickes Geldbündel in die Hand gedrückt bekommen.
Daher ist zu hoffen, dass die chinesische Führung nicht nur an den Symptomen herumdoktert, sondern das grundsätzliche Probleme anpackt: Dazu gehört nicht zuletzt eine gleiche Krankenversorgung für alle.