In China könnte sich ein Ende der Reformen – vor allem im Finanzsektor – anbahnen. Zumindest wird eine Meldung des Wall Street Journals aus diese Woche so interpretiert. Die Zeitung berichtete, die chinesische Führung wolle schon sehr bald ihren langjährigen und international angesehenen Notenbankchef Zhou Xiaochuan absetzen. Er gilt als Wirtschaftsliberaler.
Das Journal beruft sich auf parteiinterne Quellen: Zwischen Zhou und dem seit anderthalb Jahren amtierenden Staatspräsidenten Xi Jinping gebe es in der Ausrichtung der Wirtschaftspolitik „erhebliche Meinungsverschiedenheiten“. Der seit anderthalb Jahren amtierende Staatspräsident Xi Jinping, der so viel Macht an sich gerissen hat wie keiner seiner Vorgänger in den vergangenen 25 Jahren, würde nun auch Chinas Wirtschaftskurs stärker selbst bestimmen wollen. Die Zentralbank ist in China nicht unabhängig, sondern unmittelbar der Regierung unterstellt. Die chinesische Führung bestreitet eine mögliche Absetzung Zhous bislang.
Tatsächlich steht der seit elf Jahren als Zentralbankchef amtierende Zhou für eine Öffnung der bislang streng regulierten Märkte vor allem im Finanzsektor.Dr 66-Jährige arbeitet auch auf eine möglichst rasche Zinsliberalisierung hin. In China gilt weitgehend noch ein Einheitszins, weshalb unter den zumeist staatlichen Banken nur wenig Wettbewerb herrscht. Wie einst in der Sowjetunion werden Kredite noch immer oft nach politischen Erwägungen vergeben, zum Teil auch aufgrund persönlicher Beziehungen. Ökonomische Kriterien rücken häufig in den Hintergrund.
Einige Ökonomen gehen davon aus, das die derzeitige Führung um Xi die Märkte wieder verstärkt unter staatlicher Kontrolle stellen will. Angesichts der langsamer wachsenden chinesischen Wirtschaft sei zudem die Versuchung groß, mit staatlichen Investitionen die Konjunktur zu stützen. Chinas Führung hatte nach dem Einbruch der Weltwirtschaft im Zuge der Lehman-Pleite von 2008 mit gigantischen Konjunkturprogrammen und einer extrem großzügigen Kreditvergabe die Wirtschaft gestützt – zum Preis einer rasant gestiegenen Schuldenquote. Zhou hingegen plädierte lediglich für gezielte Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft.
Viele Experten befürchten nun, China könnte unter Xi Jinping zum schuldenfinanzierten Turbowachstum zurückkehren. Konkret hieße das: Chinas Regierung und seine vielen Staatsunternehmen würden wieder massiv in Infrastrukturprojekte und Maschinen investieren – und damit die ohnehin gewaltigen Überkapazitäten noch weiter ausbauen. Das Versprechen der chinesischen Führung, die Wirtschaft zwar langsamer wachsen zu lassen, dafür aber „nachhaltiger“, und mit mehr Rücksicht auf die Umwelt und das soziale Gefüge, könnte schon wieder aufgegeben werden.
Panikmache? Ja, zumindest momentan ist mit einem Richtungswechsel in der Wirtschaftspolitik nicht zu rechnen.
Denn für die Nachfolger ist dem Wall Street Journal zufolge Guo Shuqing bestimmt, derzeit Gouverneur der Provinz Shangdong. Nicht nur haben Zhou und Guo einen ziemlich ähnlichen Karriereverlauf. Dem unabhängigen Beratungshaus Gavecal Dragonomics zufolge gilt Guo als ein besonders treuer Anhänger von Zhou, den er als seinen Mentor bezeichnet. Der 58-jährige Guo war lange Zeit Chef der chinesischen Wertpapieraufsicht und Währungsbehörde sowie Vizegouverneur der Zentralbank und ist ebenfalls ein Reformer. Auf Guo ist in erheblichem Maße die Liberalisierung der chinesischen Währung, dem Renminbi zurückzuführen. Zudem ist Guo ein Anhänger von Vizepremier Wang Qishan, einer der wichtigsten Wirtschaftspolitiker im mächtigen Ausschuss des Politbüros – dem eigentlichen Führungszirkel.
Sollte es wirklich zu einer baldigen Absetzung von Zhou kommen, dürfte der Grund banaler Natur sein: Mit 66 Jahren hat er längst das Rentenalter erreicht. Daran müssen sich auch Chinas Spitzenpolitiker halten. Eigentlich hatte auch Zhou beim großen Führungswechsel vor zwei Jahren abtreten müssen. Weil er für den Reformprozess so wichtig ist und er international so großes Ansehen genießt, beließ Staatspräsident Xi ihn damals im Amt – aber auch nur für einen Übergang, wie damals schon betont wurde.
Nun soll Zhou offensichtlich der Ruhestand gegönnt werden. An dem von ihm vorgegebenen Kurs aber – an den will sich Chinas Führung auch weiter orientieren.