In der vergangenen Woche schien es noch, als hätten sich die chinesischen Aktienmärkte wieder beruhigt. Nach den Turbulenzen der vergangenen zwei Monate hatten die staatlichen Marktregulierer massiv eingegriffen, Aktien in großer Zahl gekauft und den Handel für eine Vielzahl von Papieren sogar komplett ausgesetzt. Das sollte die Kursschwankungen mildern, und nach den heftigen Abstürzen um fast 30 Prozent vom Höchststand Mitte Juni hatten sich die Kurse tatsächlich etwas erholt.
Doch seit Beginn dieser Woche geht es wieder drunter und drüber.
Am Montag brachen die Kurse an Chinas Leitbörse in Shanghai um 8,6 Prozent ein. Es war der bislang größte Tagesverlust seit 2007 und der zweitgrößte in der Geschichte der Volksrepublik überhaupt. Und am Dienstag ging es zunächst weiter: Die Kurse der wichtigsten Indizes fielen zeitweise um weitere vier Prozent. Nur mit Stützungszusagen der chinesischen Führung konnte der Absturz gestoppt werden. Am Ende lag das Tagesminus dennoch bei einem Prozent.
Der Hauptgrund für die Verluste dürfte sein, dass die Anleger kein Vertrauen in die jüngsten Regierungseingriffe haben. Um die Märkte zu stabilisieren, hatte die chinesische Führung in den vergangenen Wochen 21 staatliche Anlagefirmen aufgefordert, in großen Mengen Aktien zu kaufen. Zugleich hatte die Zentralbank weitere Hunderte von Milliarden Yuan in die Märkte gepumpt. Doch die Privatanleger nutzten die lockere Geldpolitik nicht, um an die Börse zurückzukehren. Statt selbst wieder verstärkt zu investierten, gingen sie auf Nummer sicher und verkauften rasch. Sie wollten angesichts der leicht steigenden Kurse ihre Verluste der vergangenen Wochen zumindest ein Stück weit wieder wett machen.
Dass die Börse am Montag aber so plötzlich und so heftig in den Keller rauschte, lag an der automatischen Verlustbegrenzung. Viele Anleger hatten in ihren Depots die runde Summe von 4.000 Punkten als Grenzwert eingestellt. Fallen die Kurse unter diese Marke, stoßen die Börsencomputer die Aktien automatisch ab. Entsprechend gab es am Montag kein Halt mehr, als der Index in Shanghai unter 4.000 Punkte fiel.
Mittlerweile gehen der chinesischen Führung die Instrumente aus, um den Börsencrash zu bremsen. Sie hatte sich erhofft, dass sich mit der Öffnung der chinesischen Finanzmärkte realistische Preise für die dort gehandelten Unternehmen entwickeln. Das ist zur Bewertung der derzeitigen chinesischen Volkswirtschaft drängender denn je. Denn momentan weiß keiner genau, wie profitabel insbesondere die großen chinesischen Staatsunternehmen sind und wie effizient sie wirklich wirtschaften. Doch zu einer solchen realistischen Bewertung der Marktlage ist es nie gekommen. Denn Chinas Anleger agieren an den Börsen weiter wie bisher, wie Zocker in einem Kasino. Für ein langfristiges Engagement an den chinesischen Aktienmärkten fehlt es an Vertrauen.
Die unmittelbaren Auswirkungen des Börsen-Crashs auf die Realwirtschaft dürften zwar gering bleiben. Denn so wie die meisten Spieler beim Kasino-Besuch nicht ihr komplettes Vermögen aufs Spiel setzen, haben das die meisten chinesischen Spekulanten in den vergangenen Monaten an den Börsen auch nicht getan.
Allerdings kommen die heftigen Turbulenzen an den chinesischen Finanzmärkten zu einem äußert ungünstigen Zeitpunkt. Schon seit geraumer Zeit steht Chinas Gesamtwirtschaft erheblich unter Druck. Das Wachstum verlangsamt sich, Investitionen bleiben aus. Vor allem die Automobilindustrie leidet unter Überkapazitäten. Und auch der Übergang von einer Export getriebenen Billigindustrie zu einer Wirtschaft, die mehr auf Dienstleistungen und hochwertige Produkte setzt, läuft bei weitem nicht so reibungslos wie von der Führung in Peking erhofft. Immer mehr Branchen beklagen Gewinneinbrüche. Die Stimmung chinesischer Produzenten ist laut einer Umfrage der vergangenen Woche auf den niedrigsten Stand seit 15 Jahren gefallen.
Der vom Staat angefachte Börsenboom sollte für neue Wachstumsimpulse sorgen. Dieses Experiment ist gescheitert. Und andere Rezepte scheint die chinesische Führung auch nicht auf Lager zu haben.