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Krise, welche Krise?

 

Die Aktienkurse stürzen ab. Der Yuan wird abgewertet. Die Exporte gehen zurück. Auch die Industrieproduktion sinkt. Außerdem sind die Schulden Chinas mittlerweile gigantisch. Von Geisterstädten mit unzähligen neu gebauten Appartmentblöcken ist die Rede, die allesamt leer stehen. Auch die angekündigten Zinssenkungen der chinesischen Notenbank werden derzeit gern als Negativbeispiel aufgezählt, um zu belegen, dass es mit Chinas Wirtschaft nicht mehr rund läuft.

Klingt alles höchst schauerlich, was sich derzeit in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt abzuspielen scheint. Dabei galt China bis vor Kurzem als wichtigster Antreiber für die Weltwirtschaft. Doch damit scheint es vorbei zu sein. Ökonomen und Wirtschaftsjournalisten aus aller Welt überschlagen sich derzeit mit Schreckensmeldungen. „Chinas großer Fall“ titelt der renommierte Economist in seiner aktuellen Ausgabe. Auch Der Spiegel befürchtet, China könnte zum Epizentrum einer neuen Wirtschafts- und Finanzkrise werden könnte.

Der Haken an diesen ganzen Hiobsbotschaften: China steckt derzeit in gar keiner Krise.

Was stimmt: Die Aktienkurse in Shanghai sind binnen zehn Wochen um rund 40 Prozent gefallen. Nur ging diesem Absturz ein fast einjähriger Boom voraus, während dem die Kurse um rund 150 Prozent gestiegen sind. Wer vor einem Jahr eingestiegen ist und jetzt verkauft, hat also immer noch einen satten Gewinn gemacht. Diesen Aktienboom hat zudem der Staat befeuert. Noch im Frühjahr hatte Premier Li Keqiang zu Aktienkäufen geraten.

Der Boom geht auf ein Experiment der Reformer innerhalb der chinesischen Führung zurück. Die hatte gehofft, dass Chinas lange Zeit streng regulierte Aktienmärkte nun komplett den Marktkräften überlassen werden könnten. Das werde schon für neue Wirtschaftsdynamik sorgen. Dieses Experiment ist grandios gescheitert.

Doch so wenig dieser Aktienboom den tatsächlichen Zustand der chinesischen Wirtschaft widergespiegelt hat, so ist nun auch der Absturz an den Börsen nicht gleichbedeutend mit einem Absturz der gesamten Volkswirtschaft. Der Anteil der chinesischen Bevölkerung, der an der Börse spekuliert, ist nach wie vor gering. Und anders als etwa in den USA hängt auch die Unternehmensfinanzierung in China nicht von der Kursentwicklung an den Aktienmärkten ab.

Chinas wirtschaftlich derzeit sicherlich größtes Risiko sind die Schulden. Sie beliefen sich inklusive den Privatschulden dem McKinsey Global Institute (MGI) zufolge auf rund 28 Billionen Dollar und haben sich damit seit 2007 mehr als vervierfacht. Mit 282 Prozent entspricht das fast dem dreifachen der Wirtschaftsleistung. Und sicherlich ist richtig: Mit dem großen Konjunkturpaket im Zuge der Weltfinanzkrise von 2008 und 2009 haben es viele Staatsunternehmen und Provinzregierungen mit den Ausgaben übertrieben. Da viele dieser Investitionen sich bislang nicht ausgezahlt haben, sitzen sie nun auf großen Schuldenbergen. Doch was noch nicht ist, kann ja noch werden. Bis etwa die Deutsche Bahn mal schwarze Zahlen schrieb, waren auch Jahrzehnte vergangen.

Was hier jedoch wichtig ist zu wissen: China ist nicht im Ausland verschuldet. Ganz im Gegenteil: Das Land verfügt über die größten Währungsreserven der Welt. Die werden zwar nun angeknabbert. Der Devisenschatz bleibt mit über 3,4 Billionen US-Dollar aber groß.

Kein Totalzusammenbruch

Von einem wirtschaftlichen Absturz in der Volksrepublik kann derzeit überhaupt keine Rede sein. Zwar wird derzeit mal wieder wenig den offiziellen Verlautbarungen geglaubt. Chinas Führung hatte Ende des vergangenen Jahres ein Wirtschaftswachstum von sieben Prozent vorausgesagt. Exakt bei diesem Wert liegt das Wachstum im ersten Halbjahr auch. Das wirkt wenig glaubwürdig.

Doch selbst die größten Pessimisten gehen noch von einem Wachstum zwischen drei und fünf Prozent aus. Das ist zwar deutlich weniger als was die Welt von China in den vergangenen 20 Jahren gewöhnt war. Doch im weltweiten Vergleich ist dieser Wert immer noch beachtlich. Die USA wachsen derzeit um 2,3 Prozent, die Eurozone um 0,3 Prozent. Von einem Totalzusammenbruch ist in Europa keine Rede. Das trifft dann erst recht nicht auf China zu.

Doch wie wird es nun mit China weitergehen? Die Industrialisierung wird sich vor allem im ländlichen Raum fortsetzen. Die Technologisierung ebenso. Beides wird weiter für Wachstum sorgen. Immer mehr Chinesen wollen zudem nicht mehr am Fließband stehen oder hinter Nähmaschinen, sondern drängen in den Dienstleistungssektor. Der weiter steigende Bildungsgrad wird das möglich machen. Der Plan scheint zu klappen: Während die Industrieproduktion im ersten Halbjahr zwar zurückgegangen ist, wuchs der Dienstleistungssektor im selben Zeitraum um satte acht Prozent.

China wird also weiter wachsen. Nur langsamer. Kein Grund deswegen in Hysterie zu verfallen.