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Eine Seidenstraße für Osteuropa

 

Eigentlich soll Chinas neue Seidenstraße bis nach Duisburg reichen. Doch bevor die chinesische Führung mit dem Bundesverkehrsministerium und der Deutschen Bahn über chinesische Hochgeschwindigkeitstrassen verhandelt, macht China noch mit Staaten einige Hundert Kilometer weiter ostwärts Geschäfte.

Am Freitag ist in Suzhou der dritte große China-Osteuropa-Gipfel zu Ende gegangen. Die Staats- und Regierungschefs von 16 osteuropäischen Staaten waren für fünf Tage in die ostchinesische Stadt gereist, die wegen ihrer vielen traditionellen Kanäle auch bekannt ist als „Chinas Venedig“. Die Stimmung soll gut gewesen sein, berichten Teilnehmer. Verständlich. Denn die chinesische Regierung trat vor den osteuropäischen Gästen als großzügiger Geldgeber auf.

Chinas Führung hat bei dem Gipfel unter anderem mit Polen, Tschechien, Bulgarien und der Slowakei Vereinbarungen für den Bau von Schienen, Autobahnen und anderen Infrastrukturmaßnahmen beschlossen. Über das gesamte Finanzvolumen gab Chinas amtliche Nachrichtenagentur Xinhua nichts bekannt. Aber bereits beim Gipfel vor einem Jahr in Belgrad hatte der chinesische Regierungschef Li Keqiang angekündigt, in den nächsten Jahren mehr als zehn Milliarden Dollar in den osteuropäischen Ländern investieren zu wollen. Chinesische Staatsfonds haben seitdem weitere drei Milliarden Dollar an Krediten zugesagt.

China zeigt erst seit wenigen Jahren verstärktes Interesse an Osteuropa. Noch in den 1990er Jahren hatten die osteuropäischen Länder so gut wie gar keinen Kontakt mit der Volksrepublik. Erst seit der Jahrtausendwende wächst der Handel – in den vergangenen Jahren aber um rund 30 Prozent im Jahr. 2014 lag er bei rund 70 Milliarden Dollar. China und die alten EU-Staaten tauschen jedoch auch weiterhin mehr als zehn Mal so viel an Waren aus.

Doch Peking geht es keineswegs nur um mehr Handel mit Osteuropa. Die verstärkten Investitionen in Osteuropa sind unmittelbarer Bestandteil von Chinas umfassender Strategie der Wiederbelebung der Seidenstraße. Entlang der antiken Handelsrouten von Asien nach Europa plant die chinesische Führung ein dichtes Netz von Verkehrswegen, um den Handel entlang dieser Route zu beleben. Mehr als 60 Länder sollen verbunden werden und zu einem gigantischen Handelsraum zusammenwachsen. Osteuropa ist aus chinesischer Sicht vor allem der Brückenkopf Chinas in die EU insgesamt.

Dennoch erwähnen die meisten westlichen Medien den China-Osteuropa-Gipfel nicht, bis auf wenige Ausnahmen. In China hingegen sind die Zeitungen in diesen Tagen voll von dem Treffen. Auf Sonderseiten werden die Länder zwischen dem Balkan und dem Baltikum ausführlich vorgestellt.

Längst handelt es sich bei den Investitionsvorhaben keineswegs nur um Ankündigungen. Mehr als 80 Prozent der vor zwei Jahren beim ersten Gipfel in Bukarest vereinbarten Projekte mit chinesischem Geld sind angelaufen, darunter eine Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Belgrad und Budapest, eine Autobahn, die Albaniens und Mazedoniens Hauptstädte miteinander verbindet, eine Brücke in Belgrad sowie eine Reihe von Wasserkraftwerken in Kroatien, Polen und auf dem Balkan. Was die EU oder Investoren aus Westeuropa bislang beim Aufbau Osteuropa versäumt haben, übernehmen nun die Chinesen.

Brüssel und die meisten Regierungen der alten EU-Länder sind nicht gerade erfreut über Chinas Engagement vor ihrer Haustür. Doch auch Bundeskanzlerin Angela Merkel gab bei ihrem Besuch Ende Oktober in Peking zu: „Wir sind doch selbst schuld, wenn wir in Europa nicht mit einer Stimme sprechen.“