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Erst eine Sonderzone, dann die ganze Welt

 

Als ich Mitte der achtziger Jahre das erste Mal in Shenzhen war, gab es an den Buchten zwischen den Hügeln wirklich nicht mehr als ein paar Fischerdörfer zu sehen, und nur etwas weiter im Landesinneren entstanden die ersten Fabrikhallen. Chinas Staatsoberhaupt Deng Xiaoping hatte die Gegend an der Grenze zu Hongkong erst kurz zuvor zur Sonderwirtschaftszone erklärt und damit freie Marktwirtschaft im damals noch wirklich sozialistischen China zugelassen. Viel war aber noch nicht los.

Heute ist Shenzhen eine der pulsierendsten und modernsten Metropolen der Volksrepublik und hat bereits doppelt so viele Einwohner wie Hongkong, einen inzwischen sehr viel größeren Hafen und dürfte auch in der Wirtschaftskraft schon bald Hongkong übertrumpfen. Was Deng Xiaoping vor 30 Jahren lediglich als Experiment begonnen hatte, ist die Musterstadt des modernen chinesischen Kapitalismus. Nun wird die Gegend um Shenzhen erneut als Experimentierfeld genutzt.

In einem Territorium zwischen Shenzhen und Hongkong, der „Qianhai Shenzhen-Hongkong Modern Service Industry Cooperation Zone„, soll eine Sonderfinanzzone entstehen, in der die chinesische Währung, der Yuan, bis zu einem bestimmten Volumen frei tauschbar wird.

Die Währung der inzwischen zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt konnte man bislang nicht einfach kaufen oder verkaufen und auch nicht in größeren Mengen in China ein- oder ausführen. Zudem war der Yuan fest an den US-Dollar gekoppelt. Das heißt: Jeder, der Waren aus China bezieht und bezahlen möchte, muss den Umweg über die chinesische Zentralbank gehen. Jeder Dollar, jeder Euro und jeder Yen, der nach China fließt, wird von ihr einbehalten, die zu einem von ihr festgelegten Wert wiederum Yuans austeilt.

Das soll sich nun ändern. Japan, Argentinien, Malaysia und eine Reihe weiterer Länder hat bereits Vereinbarungen mit Peking getroffen, wonach Waren direkt in der chinesischen Währung gehandelt werden können. Zudem hat neben Hongkong und Singapur vor Kurzem auch London den Status eines Auslandszentrums des Yuan erhalten. Das heißt: Es gibt nun eine Reihe von Finanzprodukten in der chinesischen Währung, die an diesen Finanzplätzen frei gehandelt werden können.

Besonders beliebt sind die von der chinesischen Regierung in Hongkong ausgegebenen sogenannten Dim-Sum-Bonds. Sie sind nach einer kulinarischen Spezialität in der ehemaligen britischen Kolonie benannt. Binnen weniger Monate haben sich diese Anleihen zu dem am schnellsten wachsenden Schuldpapiersegment der Welt entwickelt.

Mit der neuen Sonderfinanzzone auf unmittelbar chinesischem Boden wollen Pekings Machthaber nun austesten, welche Auswirkungen es haben wird, wenn Exportfirmen ihre Waren in aller Welt direkt in Yuan abrechnen können. Sprich: Auch europäische Käufer haben nun die Möglichkeit, ihre erworbenen Waren direkt in Yuan zu bezahlen – und zwar zu einem vom Markt festgesetzten Wert. China geht damit nach dem Prinzip vor, wie das Land vor 33 Jahren begonnen hat: Erst soll die Freigabe in einer Sonderzone erprobt werden, dann irgendwann auf der ganzen Welt.

Aus marktwirtschaftlicher Sicht ist dieser Schritt zunächst einmal zu begrüßen. Vor allem die USA, aber auch die Europäer haben immer wieder beklagt, dass Peking mit der festen Koppelung an den Dollar den Wert zu niedrig ansetzte, um die heimische Exportindustrie zu stützen. Auch die Weltbank und der Internationale Währungsfonds haben die chinesische Regierung wiederholt aufgefordert, den Yuan freizugeben. Gerade was die USA angeht, könnte diese Freude aber schnell nach hinten losgehen.

Denn was Chinas Führung und die ihr unterstellte Zentralbank ja vor allem zum Ziel hat: Sie will den Yuan neben Dollar und Euro zu einer dritten Reservewährung ausbauen. Schon mehren sich die Stimmen, dass der Yuan schon bald den Dollar als bislang größte Reservewährung ablösen könnte. Der US-amerikanische Ökonom Barry Eichengreen weist darauf hin, dass angesichts der Stärke der chinesischen Volkswirtschaft und der vergleichsweise geringen Staatsschulden eine solche Entwicklung sehr realistisch sei. Die Zentralbanken von Nigeria, Thailand und den Philippinen haben bereits angekündigt, dass sie einen Teil ihrer Devisenreserven künftig in Yuan umschichten werden. Die Amerikaner wären damit ihren erheblichen Vorteil der vergangenen vier Jahrzehnte los: nämlich fast unbegrenzt Geld drucken zu können. Die Funktion als Leitwährung wären die USA mit dem Aufstieg des Yuan los.

Doch so weit ist es noch nicht, noch probieren die Chinesen aus. Und zunächst einmal können sich Finanzinvestoren aus aller Welt freuen: Für sie ergeben sich mit der neuen Sonderfinanzzone neue Möglichkeiten, auch in der Volksrepublik fleißig zu spekulieren.