Wann gönnen sich die Chinesen endlich mehr von ihrem Geld? Das ist die derzeit alles dominierende Frage von Ökonomen in China. In kaum einem anderen Land auf der Welt ist die Sparquote so hoch wie in der Volksrepublik. Sie liegt je nach Berechnungsart zwischen 30 und 50 Prozent. Zum Vergleich: Auch die Deutschen gelten als sparsam. Sie legen im Schnitt rund zehn Prozent auf die hohe Kante, in den USA liegt die Quote bei weniger als fünf Prozent. Nun sollen Verbraucherkredite Chinesen zum Einkaufen animieren.
Die hohe Sparquote hat Gründe. Der eine hat mit der Mentalität zu tun: Früher legten die Chinesen die Gold- oder Silberstücke zurück, um sich für unsichere Zeiten zu wappnen. Davon gab es in China in den vergangenen Jahrhunderten eine Menge. Heute spart der Chinese, um sich und seiner Familie den Kauf einer Wohnung zu ermöglichen, seinem Kind mal ein Studium an einer renommierten Uni zu finanzieren oder um die Krankenhauskosten abdecken zu können, falls in der Familie mal jemand krank werden sollte.
Doch auch der Staat hat lange Zeit die bescheidene Lebensweise seiner Bürger zu schätzen gewusst. Auf den Konten der chinesischen Banken sammelte sich Kapital an, das die Institute und damit der Staat zum Aufbau der Industrie und Infrastruktur nutzen konnte.
Doch inzwischen ist die Lage in China eine andere. Die Industrie ist bereits die stärkste der Welt, in vielen Branchen sind sogar horrende Überkapazitäten entstanden. Die weiterhin desolate Lage der Wirtschaftspolitik in den USA oder der EU bereiten den Chinesen derweil zunehmend Sorgen: China ist viel zu abhängig von der Ausfuhr.
So wünschenswert es für so manch anderes Land ist, dass ihre Bürger mehr zurücklegen und nicht ihr gesamtes Einkommen gleich verpulvern: China würde eine höhere Konsumquote gut tun. Das würde für mehr höherwertige Jobs etwa im Dienstleistungssektor und eine solidere und ausgeglichenere Wirtschaftsstruktur sorgen.
Abhilfe schaffen soll die jüngst beschlossene Freigabe von sogenannten Konsumkrediten. Damit können sich Leute einen großen Fernseher, eine schöne Küche, eine Reise oder eine tolle Kaffeemaschine leisten, selbst wenn sie gerade nicht an ihre Ersparnisse herangehen wollen. Die Idee dahinter: Wer in Raten sein Auto oder seine Waschmaschine bezahlt, gönnt sich vielleicht auch mal eher was.
Denn was in Deutschland inzwischen völlig normal ist, gibt es in China bisher kaum: Zum Elektromarkt gehen, die neue Waschmaschine für 979 Euro direkt mitnehmen, aber in 36 Raten zu 33,04 Euro bezahlen. Dabei fallen zwar über 200 Euro Zinsen an. Doch psychologisch gesehen wirken 30 Euro im Monat halt billig.
Tatsächlich handelt es sich dabei um ein Rezept, das bisher in kaum einer Volkswirtschaft versagt hat. Auch die USA galten bis in die späten 1970er Jahren als eine Nation der Sparer. Das änderte sich mit der flächendeckenden Verbreitung von Kreditkarten und Konsumentenkrediten. Heute ist die USA die Konsumnation Nummer Eins. Auch in der Volksrepublik gibt es bereits die ersten interessierten Anbieter von Konsumkrediten. Chinas MediaMarkt-Pendant, die Elektro-Einzelhandelskette Suning, bemüht sich bereits heftig darum, eine eigene Bank zu gründen, nachdem die Finanzaufsicht signalisiert hat, dass sie den Markt für Finanzierungen freigeben möchte.
Es gibt jedoch auch Beispiele, wo der Boom von Konsumentenkrediten nach hinten losging. In Südkorea etwa führte die Freigabe von Teilzahlungen mit Kreditkarten zu einem wahren Boom im Einzelhandel. Doch vor vier Jahren folgte der Absturz: Eine Mehrheit der Bevölkerung war weit über das hinaus verschuldet, was sie zurückzahlen konnte. Der Staat musste einspringen. Trotz dieser schlechten Erfahrung neigen Südkoreaner auch heute noch dazu, für neue Samsung-Geräte die Kreditkarte zu überziehen.
Soweit wird es in China zumindest in naher Zukunft nicht kommen. Zu sehr sind Chinesen nach wie vor daran gewöhnt, ganz genau hinzuschauen und nachzurechnen, um dann zu dem Ergebnis zu gelangen, dass die tolle Klimaanlage bei direkter Zahlung sehr viel günstiger ist als die Ratenzahlung. Und doch: Kredite schmieren die Wirtschaft – das ist eine Wahrheit der Ökonomie, die auch bei den Chinesen funktionieren dürfte.