Der große Café Latte bei Starbucks in China kostet 30 Yuan. Das sind derzeit ziemlich genau 4,93 US-Dollar. Ist das zu teuer? Der chinesische Staatssender CCTV zumindest findet: Ja, das sei Abzocke. In den USA sei ein großer Latte schließlich um einen ganzen Dollar günstiger. Chinesische Fernsehreporter sprechen von Diskriminierung.
Seither debattiert die Volksrepublik um Preistreiberei. Viele Kommentatoren stellen sich zwar auf die Seite von Starbucks. Warum sollte auch die Regierung über den von ihr kontrolliertem Staatssender einer Privatfirma ihre Preispolitik vorschreiben? Zugleich aber trifft die Debatte einen Nerv. Das durchschnittliche Jahreseinkommen eines Chinesen beträgt weniger als 7.500 Dollar. Ein Bürger der USA verdient im Durchschnnitt rund 42.500.
Der Fall scheint sich in eine Reihe von Angriffen auf westliche Firmen einzureihen, die vor einem knappen Jahr begonnen hat. Wegen angeblich erhöhter Preise oder schlechterer Dienstleistung standen auch schon Volkswagen, Apple und Samsung in der Kritik. Am Ende gaben die Firmen meist klein bei, entschuldigten sich bei den chinesischen Konsumten und gelobten Besserung. War das feige? Ganz so einfach ist es nicht. Was wir hier sehen, ist vielmehr Verbraucherschutz unter chinesischen Vorzeichen.
Die chinesische Konsumwirtschaft ist vergleichsweise jung. In den vergangenen 30 Jahren stand zunächst einmal der Aufbau halbwegs akzeptabler Strukturen im Vordergrund. Das ist gelungen. Als ich Ende der 1980er Jahre schon einmal in Peking lebte, gab es westliche Waren überhaupt nur in staatlich geführten „Freundschaftsläden“ zu Mondpreisen. Heute hingegen kann sich Pekings Konsumangebot mit dem westlicher Metropolen messen.
Die Mechanismen des Verbraucherschutzes, die den Kapitalismus in westlichen Ländern erträglich machen, funktionieren in China noch nicht gut. Es gibt keine Stiftung Warentest, diesen urdeutschen Grundpfeiler der Qualitätssicherung. Es gibt keine Verbraucherzentralen und kein Bundesamt für Verbraucherschutz. Es gibt auch nicht die rechtlichen Möglichkeiten, die den Firmen in den USA eine Heidenangst vor ihren Kunden einflößt: Haftungsklagen gegen Verkäufer und Hersteller etwa. Die chinesische Verbraucherbehörde Aqsiq ist groß, kompliziert und träge.
Es bleiben in China nur die Medien übrig, die schließlich auch in Deutschland den Unternehmen auf die Finger schauen. Die Bild-Zeitung beispielsweise prangert regelmäßig „Abzocke“ an und geht dabei ebenfalls nicht zimperlich vor.
In China springt nun oft der Staat ein, wo andere Organe noch fehlen oder nicht stark genug sind. CCTV übt derzeit erheblichen Druck auf internationale Firmen aus, ihre Preispolitik zu überdenken – und zwar einfach aus journalistischen Gründen. Die hohe Aufmerksamkeit zeigt: Das Thema “zieht” und spricht die Zuschauer an. Auch Staatssender schielen auf Einschaltquote.
Westliche Firmenvertreter derweil geben hinter vorgehaltener Hand zu, dass China in den vergangenen Jahren ein besonders attraktiver Markt war. Denn die Chinesen waren bereit, jeden Preis zu zahlen. Autos, Luxusgegenstände, Möbel – praktisch alles, was erkennbar aus Europa, Japan oder den USA kommt, ließ sich mit satten Aufschlägen absetzen. Füller von Montblanc, Schuhe von Adidas, Kosmetik von Lancôme, Milchpulver von Danone – all das ist im Reich der Mitte sehr viel teurer als in anderen Ländern.
Doch ob auch bei Starbucks der Vorwurf der Abzocke berechtigt ist? Starbucks setzt von Land zu Land die Preise je nach Marktverhältnissen fest. In China ist Kaffee ein Ausdruck des Lebensstils der wohlhabenden Mittelklasse. Auch bei chinesischen Anbietern ist Kaffee sehr teuer. Die meisten Chinesen trinken weiter vor allem Grüntee oder einfach heißes Wasser aus Thermostassen. Um ihrer Kundenschicht die Abgrenzung zur „normalen Bevölkerung“ zu ermöglichen, legen Unternehmen wie Starbucks ihre Preise sogar absichtlich etwas höher fest. Das ist vielleicht nicht besonders sozial, aber die Realität der Vermarktungsstrategien.
Alles in allem erzeugt die umfangreiche Berichterstattung über Qualität und Preise immer mehr Druck auf ausländische Firmen, ihre Waren auch zu einem angemessenen Preis anzubieten. Zumal viele der kritisierten Produkte wie Handys von Samsung, Möbel von Ikea oder Autos von Volkswagen für den chinesischen Markt preiswert vor Ort hergestellt werden.
Chinas Konsummarkt wird erwachsen.