Einen grünen Premierminister? Das hat es in China noch nicht gegeben. Und wenn man den amtierenden Ministerpräsidenten Li Keqiang fragen würde, ob er ein Öko sei, würde man ihn allenfalls verlegen machen. Er selbst würde sich sicher nicht so bezeichnen.
Und doch wird die chinesische Regierung derzeit von einem Mann geführt, der wie keiner vor ihm zuvor den Umweltschutz in den Mittelpunkt rückt. „So wie wir der Armut den Kampf angesagt haben, erklären wir auch der Umweltverschmutzung den Krieg“, rief er am Mittwoch in seiner Auftaktrede den rund 3.000 Delegierten zu, die sich einmal im Jahr für zehn Tage zum Nationalen Volkskongress in Peking treffen, dem chinesischen Scheinparlament. Starke Worte, die es von chinesischen Spitzenpolitikern bislang nur gegeben hat, wenn es um Korruptionsbekämpfung geht oder um den Inselstreit mit Japan.
Durch seine Ansage macht Li den Umweltschutz nun ganz offiziell zum Kernziel der chinesischen Führung. Was das heißt? Zum Beispiel, dass so ziemlich jeder Parteisekretär der insgesamt 80 Millionen Mitglieder zählenden Kommunistischen Partei dazu verdonnert wird, sich in den kommenden Wochen und Monaten ausgiebig mit Feinstaubwerten, verunreinigten Lebensmitteln und vergifteten Gewässern in seinem Bezirk zu beschäftigen.
Premier Li trifft den Zeitgeist. Neben den korrupten Parteikadern und der sozialen und rechtlichen Ungleichheit zwischen Land- und Stadtbewohnern ist der dichte Smog in weiten Teilen Chinas derzeit das Thema, das die Chinesen derzeit am meisten sorgt.
Zwar ist die Luft in weiten Teilen Chinas schon lange schlecht, doch noch vor zwei Jahren hat die chinesische Führung das offiziell noch nicht als Problem gesehen. Im Gegenteil: Die Feinstaubwerte, die etwa Mitarbeiter der US-Botschaft vom Dach ihres Gebäudes stündlich maßen und dann über Twitter und chinesischen Kurznachrichtendienste veröffentlichten, wurden von den chinesischen Zensoren regelmäßig gelöscht. Die Messungen der US-Botschaft wurden als Einmischung in die inneren Angelegenheiten verunglimpft.
Nun aber setzt Premier Li ein Zeichen. In seiner Rede vor dem Volkskongress gab er für 2014 ein Wirtschaftswachstumsziel von 7,5 Prozent vor. Das ist so wenig wie zuletzt 1999, als China mit den Folgen der Asienkrise kämpfte. Die Investitionen, bislang der Hauptmotor des wirtschaftlichen Aufschwungs, sollen nur noch um 17,5 Prozent steigen statt wie noch 2013 um fast 20 Prozent. Das gebremste Wachstum soll die geschundene Umwelt zumindest ein bisschen schonen.
Zu den konkreten Maßnahmen, die Li am Mittwoch verkündete, gehört, dass in diesem Jahr rund sechs Millionen Autos mit besonders schlechten Abgaswerten von den Straßen verschwinden sollen und er weitere Fahrbeschränkungen in Erwägung zieht. Außerdem wies er an, dass mindestens 50.000 kleine kohlebefeuerte Ofenanlagen stillgelegt werden. Große Kohlekraftwerke sollen mit modernen Filtern aufgerüstet werden. Auch wenn es viele Jahre dauern wird, bis die Maßnahmen wirken werden und der dichte Smog auch in absehbarer Zeit ein Problem vor allem im Norden und Osten Chinas bleiben wird: Immerhin setzt die chinesische Führung nun endlich auch an der Autoindustrie an, die bei der Ursachenbekämpfung bislang noch viel zu gut weggekommen ist.
Ein weiterer Meilenstein: Premier Li spricht erstmals auch von der Einführung einer Umweltschutzsteuer und einer Liberalisierung der Strompreise. Derzeit gilt in China nach wie vor ein Einheitspreis für Strom, nach Unternehmen, staatlichen Behörden und Privatkonsumenten gestaffelt. Er ist ein Relikt aus den Zeiten, in denen in China noch ein Einheitslohn herrschte und auch die Bauern auf dem Land in den Genuss von günstigem Strom kommen sollten.
Doch inzwischen lebt rund die Hälfte der chinesischen Bevölkerung in Städten und ist in die Mittelschicht aufgestiegen. Für ihre Verhältnisse ist der Strom sehr billig, für die meisten Fabriken auch. Das jedoch spornt nicht gerade zum Stromsparen an. Und auch die Unternehmer zeigen bislang nur wenig Interesse, in weniger energieintensive Maschinen und Produktionsstätten zu investieren.
Dass Li nun an der Preisschraube dreht, und zwar nach oben, könnte auch in China die dringend notwendige Energiewende einläuten.