Nach offizieller Lesart verstehen sich Russland und China so gut wie noch nie: Der russische Außenminister Sergej Lawrow hält die Beziehungen für „edel und erhaben“. Im April gab der russische Präsident Wladimir Putin offiziell eine politische Freundschaftserklärung an den einstigen Bruderfeind ab. Der chinesische Botschafter in Russland, Li Hui, stimmte in den Lobgesang ein und sprach von „historischer Annäherung“. Tatsächlich aber trauen sich beide Seiten nicht über den Weg.
Russlands Präsident Wladimir Putin ist am Dienstag in der chinesischen Wirtschaftsmetropole Shanghai eingetroffen. Vor allem auf russischer Seite sind die Erwartungen an diesen zweitägigen Besuch groß. Der in der westlichen Welt inzwischen weitgehend isolierte Putin erhofft sich bei seinem Nachbarn diplomatische Unterstützung in der Ukraine-Krise.
Doch China hat ganz andere Interessen. Das zeigte sich bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat über den Resolutionsentwurf zur Anerkennung des Referendums auf der Krim. Damals enthielt sich China – und stimmte zum ersten Mal seit sechs Jahren anders als Moskau.
Das hat Gründe. Die Volksrepublik hatte in den vergangenen Jahren sehr stark auf die Ukraine gesetzt. Die Ukraine ist für China eine wichtige Kornkammer, also ein wichtiger Lebensmittellieferant. Außerdem war das osteuropäische Land seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ein bedeutender Waffenexporteur. Vor allem die Technik, die Russland den Chinesen verweigerte, lieferten die Ukrainer. Zudem hat noch im vergangenen Dezember Peking mit dem inzwischen gestürzten ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch ein umfangreiches Investitionsabkommen vereinbart. Unter anderem sollte China den Ukrainern einen Tiefseehafen bauen – ausgerechnet auf der Krim.
Peking wird jetzt alles daran setzen, dass der Ukraine-Konflikt nicht den Staatsbesuch überlagert. Der offizielle Höhepunkt des Besuchsprogamms wird die Unterzeichnung eines Liefervertrags von russischem Erdgas nach China sein. 30 Jahre lang will China jährlich 38 Milliarden Kubikmeter Gas aus Ostsibirien importieren.
Seit fast zwei Jahrzehnten verhandeln Moskau und Peking bereits darüber. Bislang aber wurden sie sich nicht über den Preis einig. Jetzt aber setzt die politische Situation in der Ukraine Putin unter Druck: Er fürchtet, Absatzmärkte in Europa zu verlieren. Kommt das Abkommen zustande, könnte sich China tatsächlich zu einem der größten Abnehmer russischen Gases entwickeln. Es wäre ein enormer Erfolg für Russland: Nach Informationen des Mercator Institute for Chinese Studies würde Moskau so den Ausfall von europäischen Abnehmerländern fast kompensieren.
Aber festgezurrt ist noch nichts. Hier in Peking gibt es Gerüchte, dass die Verhandlungen noch scheitern könnten. Die chinesische Führung weiß um Putins Wunsch nach diplomatischer Unterstützung in der Ukraine-Krise und hat den Preis noch mal hochgeschraubt: Zusätzlich zum Gasabkommen verlangt sie deutliche Erleichterungen für chinesische Investoren in Russland. China ist vor allem an Rohstoffvorkommen in Sibirien interessiert.
Dieses Schacherei könnte der russischen Führung dann doch zu weit gehen. Schon jetzt ist die Volksrepublik der viertgrößte Investor auf russischem Boden und die Furcht vor der wirtschaftlichen Dominanz der Chinesen ist in Russland groß. Zumindest im vergangenen Herbst hatte sich Russlands Ministerpräsident Dmitri Medwedew noch gegen jede Ausweitung chinesischer Investitionen ausgesprochen.