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China bekämpft Schulden mit Schulden

 

Wer in China eine Bank betritt und nach einem Kredit fragt, stößt oft auf irritierte Gesichter. Daikuan – das chinesische Wort für Kreditaufnahme – sei sehr kompliziert, lautet häufig die Antwort der Bankberater. Das erfordere jede Menge Papierarbeit. Wer dennoch auf einem Kredit besteht, wird die nächste Stunde mit lustlosen Angestellten verbringen, die einem seitenweise komplizierte Formulare zum Ausfüllen zuschieben.

Bankschulden sind in China verpönt. Wer sich etwas leisten möchte, muss sich das notwendige Geld vorher erarbeitet haben. Konsumkredite werden in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt deshalb bis heute nur selten vergeben. Wer beispielsweise ein Auto kaufen will, betritt das Geschäft des Händlers meist mit einem Koffer voller Geld. Und selbst wer sich eine Wohnung kauft, hat in der Regel vorher so viel gespart oder bei Verwandten zusammengekratzt, dass nur ein verhältnismäßig kleiner Bankkredit aufgenommen werden muss. Dementsprechend gering ist die durchschnittliche Schuldenquote von Privathaushalten.

China hat dennoch ein Schuldenproblem. Und zwar ein Gigantisches. Die Gesamtschulden der Volksrepublik sind nach Schätzungen internationaler Finanzexperten inzwischen auf über 220 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegen. Der Wert umfasst die Schulden des Staates, der Unternehmen und der Privathaushalte. Gemessen an den USA (250 Prozent) oder Japan (400 Prozent) klingt das nicht dramatisch. Verglichen mit anderen Schwellenländern belegt China aber mittlerweile einen Spitzenplatz.

Bedrohlich ist vor allem das Tempo, mit dem Chinas Schulden steigen. Um den Exportausfall im Zuge der Weltwirtschaftskrise von 2008 und 2009 zu kompensieren, hatte die Regierung in Peking ein großes Konjunkturpaket aufgelegt – vor allem für den Straßen-, Schienen-, Energie- und Wohnungsbau. Das hat das Wirtschaftswachstum zwar stabilisiert, die Verschuldung aber in die Höhe getrieben. Berechnungen der US-Ratingagentur Fitch zufolge ist Chinas Gesamtverschuldung in den vergangen sechs Jahren um über 60 Prozent gestiegen. Experten ziehen Parallelen zu Japan in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre als die Verschuldung innerhalb von fünf Jahren um 45 Prozent zulegte und zu Südkorea mit einer ähnlichen Entwicklung zehn Jahre später. Beides mündete in schwere Finanzkrisen.

China sitzt auf hohen Reserven

Offiziell hat die Regierung Warnungen vor einer möglichen Schuldenkrise, ähnlich der in Südeuropa, stets zurückgewiesen. China unterscheide sich grundsätzlich von Südeuropa, argumentiert Peking. Und tatsächlich: Verschuldet sind nicht so sehr die Privathaushalte wie in Spanien, auch nicht die Staatsführungen wie Portugal oder Griechenland, sondern vor allem die Staatsunternehmen. Und da sie die Schulden bei Staatsbanken aufgenommen haben, kann die Zentralregierung der ihr unterstellten Zentralbank jederzeit anweisen, die Schulden zu übernehmen.

Die Zentralregierung wiederum verfügt über sehr viel Geld. Im Ausland ist China nur mit etwa zehn Prozent der Wirtschaftsleistung verschuldet. Die ausländischen Devisenbestände sind viermal so hoch. Das heißt: Chinas Führung ist nicht auf die internationalen Kapitalmärkte angewiesen. Das verschafft ihr großen finanziellen Spielraum.

Das Kernproblem ist vielmehr Ineffizienz: Sehr viel Geld ist in leere Immobilien, kaum befahrene Autobahnen und nicht rentable Flughäfen geflossen. Zudem haben vor allem die Staatsunternehmen gewaltige Überkapazitäten aufgebaut, die mit einer staatlichen Rettungsaktion nicht einfach verschwinden. Eine Reihe von Branchen sind in China künstlich aufgebläht, viele Firmen bleiben mittlerweile auf ihren Waren sitzen. Mit über 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts haben die Schulden der chinesischen Unternehmen mittlerweile einen Rekordwert erreicht.

Nachdem auch der Internationale Währungsfonds (IWF) vergangenes Jahr wegen Chinas rapidem Kreditwachstum unter den Unternehmern Alarm geschlagen hatte, reagierte die chinesische Führung. Zu Jahresbeginn beteuerte Premierminister Li Keqiang, dass Chinas auf Schulden basiertes expansives Wachstum ein Ende haben müsse. Er wies die Staatsbetriebe und die Lokalbehörden an, die Ausgaben deutlich zu drosseln und Investitionen sehr genau auf ihre künftige Rentabilität zu prüfen. Li rief zu „nachhaltigem Wachstum“ auf.

Doch von diesen Mahnungen ist mittlerweile nicht mehr viel zu hören. Im Gegenteil: Da Chinas Industrie Anfang des Jahres erneut schwächelte, hat die Staatsregierung erneut das Kreditvolumen deutlich ausgeweitet und Staatsunternehmen gestützt, von denen viele unrentabel sind und eigentlich geschlossen gehören. Ein „Rebalancing“, wie von Ökonomen gefordert, sieht anders aus.

Anstatt den unrentablen Staatsunternehmen weiter  Geld in den Rachen zu schieben, wäre Chinas Führung derzeit besser beraten, den Konsum der Privathaushalte zu fördern. Und zwar in Form von Lohnerhöhungen – und warum nicht auch mithilfe von Krediten?