Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte – in diesem Fall ist das China. Im Handelskrieg mit Russland planen Nordamerika, Australien, Neuseeland und allen voran die EU-Staaten, die bereits bestehenden Sanktionen noch weiter zu verschärfen. Am Montag wollen die EU-Staaten weitere Maßnahmen gegen Russland verkünden, und Moskau hat bereits Vergeltung angekündigt. Schon seit einigen Monaten verbietet die russische Führung die Einfuhr von Lebensmitteln aus der Europäischen Union. China profitiert davon.
Zu Beginn der Krim-Krise waren die Chinesen zwar ebenfalls verärgert über die Annexion der Halbinsel durch Russland. Sie hatten erst wenige Monate zuvor umfangreiche Abkommen mit der Ukraine abgeschlossen, die vor allem den Agrarhandel erleichtern sollten. Jetzt liefern die Chinesen aber einfach nach Russland.
Geradezu in Rekordgeschwindigkeit haben sie an der mehr als 4.000 Kilometer langen Nordgrenze zu Russland den Grenzverkehr ausgeweitet und gigantische Lagerhallen und Umschlagplätze errichtet. Sie beliefern den nördlichen Nachbarn mit den Lebensmitteln, die die Russen wegen der Sanktionen aus Europa nicht mehr beziehen. Stellt sich die Frage: Wie machen die Chinesen das? Die Volksrepublik kann sich derzeit kaum ausreichend selbst mit Nahrungsmitteln versorgen, wie schafft sie es, nach Russland zu liefern?
Tatsächlich ist China bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen derzeit ein Nettoimporteur. Zwar hält die chinesische Führung an dem einst von Mao Zedong, dem Gründer der Volksrepublik, ausgegebenem Ziel fest, die Eigenversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Dennoch war China 2011 mit rund 75 Milliarden Dollar viertgrößter Agrarimporteur der Welt. Der Wert der chinesischen Agrarexporte lag mit rund 55 Milliarden Dollar deutlich niedriger, damit belegte China im weltweiten Vergleich Rang sechs.
Doch China ist längst fester Bestandteil einer globalisierten und arbeitsteiligen Welt. Auf die Landwirtschaft bezogen heißt das: Bestimmte Erzeugnisse werden in großem Umfang eingeführt, andere wiederum ausgeführt. Bei den wichtigsten Getreidearten Weizen, Mais und Reis muss die Volksrepublik rund fünf Prozent ihres Bedarfs importieren. Was Futtermittel für die stetig wachsenden Viehbestände betrifft, liegt die Quote sogar bei rund zehn Prozent. Und auch seinen Sojabedarf kann China nicht selbst decken, sondern ist auf riesige Importe angewiesen. Ähnlich sieht es bei Milchprodukten und Fleisch aus.
Bei Obst und Gemüse jedoch ist China ein großer Exporteur, bei Erdbeeren, Äpfeln und Tomaten sogar der weltgrößte Lieferant überhaupt. Von den rund 60 Millionen Tonnen geernteten Äpfeln im Jahr, wächst die Hälfte inzwischen in der Volksrepublik. Auch ein Großteil des Apfelsaftkonzentrats für in Deutschland konsumierte Säfte und Schorlen kommt aus dem Reich der Mitte.
Russlands Präsident Wladimir Putin dürfte bei der Verhängung des Importverbots von Lebensmitteln aus Europa sehr genau darauf geachtet haben, welche Produkte er sanktioniert. Das war gar nicht schwer, er musste sich einfach die landwirtschaftliche Produktion Chinas etwas genauer anschauen.
Hinzu kommt, dass China auch im Ausland massiv Landwirtschaft betreibt. In zahlreichen afrikanischen, südostasiatischen und lateinamerikanischen Ländern haben chinesische Firmen Anbaugebiete erworben und betreiben riesige Gemüsefarmen. Die Erzeugnisse verschiffen sie direkt nach China, und nun auch nach Russland.
Und auf noch eine Weise scheinen die Chinesen vom Handelskrieg des Westens gegen Russland kräftig zu profitieren. Konkrete Zahlen gibt es zwar noch keine. Aber chinesische Zeitungen berichten, die Zahl der Bestellungen von Schweizer Schokolade, französischem Wein und holländischem Käse sei in den vergangenen Wochen vor allem in den Regionen an der Grenze zu Russland in die Höhe geschnellt. Chinesische Händler sprechen von einem „Bombengeschäft“.