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Times macht mobil für sicheren Radverkehr

 

Die Times-Reporterin Mary Bowers war mit ihrem Fahrrad in London auf den Weg in die Redaktion. Kurz vor ihrer Ankunft wurde sie von einem Lastwagen überrollt. Das war ziemlich genau vor einem Jahr. Seitdem liegt die Journalistin im Koma. Im Februar startete die Times eine Sicherheitskampagne für Radfahrer, die ihresgleichen in der Medienlandschaft sucht. „Cities fit for cycling“ mobilisiert Radfahrer und Politiker in der Metropole.

Es ist eindrucksvoll, wie vehement und hartnäckig die Times das trockene Thema „Sicherheit von Radfahrern im Straßenverkehr“ konsequent in ihrer Berichterstattung aufgreift und vorantreibt. Die Journalisten stellen gute Praxis-Beispiele aus Kopenhagen vor, erklären in Beiträgen den Beginn des Radfahrzeitalters und geben den Verunglückten ein Gesicht. Oftmals bringen sie die Artikel sogar prominent als Leitartikel auf Seite eins

Parallel dazu hat die Redaktion Umfragen durchgeführt und ein Manifest erstellt. Zentrale Forderungen sind unter anderem Tempo 30 in Wohngebieten sowie die Pflicht für Lkw, im Stadtverkehr einen Abbiegeassistenten einzusetzen. Das System soll beim Rechtsabbiegen Unfälle mit Radfahrern und Fußgängern verhindern. Außerdem werden Unternehmen aufgefordert, Radfahren finanziell zu unterstützen – so wie es die Barclays Bank macht.

Offenbar ist die Zeit mehr als reif, um für Radfahrer mehr Platz in Städten einzufordern. Was ein erklärter Wille in Kombination mit solcher Öffentlichkeitsarbeit innerhalb von neun Monaten bewirken kann, zeigen die Ergebnisse der Kampagne. „Cities fit for cycling“ hat vor kurzem eine Anfrage ans Parlament durchgesetzt, wie das Radfahren in Großbritannien gefördert werden kann. Abgeordnete aller Parteien haben diese Anfrage unterstützt. Bis zum 5. Dezember kann nun jeder Brite schriftlich seine Diskussionsbeiträge  einreichen. Im Januar und Februar werden Fahrradexperten sie in sechs Sitzungen vortragen und erläutern. Ohnehin beteiligt sich mittlerweile eine Vielzahl der Parlamentarier an der „Cities fit for cycling“-Diskussion.

Außerdem hat die Regierung zugesagt, 15 Millionen Pfund (etwa 19 Millionen Euro) in den Umbau gefährlicher Kreuzungen im Land zu investieren. Die Briten können über die Website der Kampagne 10.000 Kreuzungen benennen, die sicherer werden sollen. Die Transportbranche hat der Zeitung für die Aktion einen Award verliehen.

Für die britischen Radfahrer ist das ein gutes Zeichen. Noch im vergangenen Jahr zeichnete die Studie des Soziologen Dave Horton eine recht düsteres Bild von Englands Radfahrzukunft. Außer in London und einigen anderen Städten sei das Velo auf der Insel eine Randerscheinung. Gemeinhin werde das Rad als Spielzeug oder Sportgerät für Leute in Lycra gesehen, Radfahren sei peinlich und außerdem gefährlich. Einige, die sich trotz Vorurteile mit dem Velo auf die Straße wagten, habe der Verkehr eingeschüchtert, konstatierte Horton. Sein damaliges Fazit: Radfahrer haben keine Lobby.

Ob die Times-Kampagne das nachhaltig geändert hat, muss sich noch zeigen. Auf jeden Fall hat sie eine in dieser Form nie da gewesene Debatte zum Thema angezettelt. Und die ist dringend notwendig, wie dieses Video zeigt.

Gefährlicher Radverkehr an einer Kreuzung in London

Auch die Unfallzahlen in der Metropole sind weiterhin hoch. In diesem Jahr wurden in London bereits zwölf Radfahrer bei Verkehrsunfällen getötet. Betrachtet man nur die Zahlen, muss auch Berlin dringend seine Infrastruktur für Velofahrer sicherer gestalten. In der Hauptstadt sind in diesem Jahr sogar 14 Radfahrer infolge eines Verkehrsunfalls gestorben, im Vorjahr waren es elf.

Mittlerweile ist „Cities fit for cycling“ nicht mehr ausschließlich auf London beschränkt. Das Beispiel der Times macht Schule. Cambridge und Bristol haben das Manifest übernommen, und die Wiener Zeitung hat in Anlehnung an das der Engländer ein eigenes Radmanifest entwickelt.

In Deutschland starteten derweil Berlin und Freiburg als Pilotstädte Kampagnen für mehr Rücksicht im Straßenverkehr.  Sie werben mit einem modernisierten Schutzpatron Christophorus unter anderem bei Facebook. Es gibt diverse Motive, Anzeigen, Radiospots und Events.

Start der Aktion

Es ist ein wichtiger Schritt. Aber etwas frischen Wind und eine breitere Öffentlichkeit könnte diese Kampagnen ebenfalls gut vertragen – oder?