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Halbzeit bei vier Wochen autofrei: Die Meuterei beginnt

 

© Reidl

„Ich will lieber selber fahren – der Sitz ist was für Kinder, die nicht radfahren können“, sprach die Sechsjährige, schnappte sich ihr Rad und ließ mich mitsamt dem e-Lastenrad stehen. „Das ist peinlich“, ruft sie und fährt an mir vorbei. Ich hätte es mir denken können. Smilla ist klein, zart, zäh und liebt das Radfahren. Sie fährt Bordsteine rauf und runter und übt im Wald das Fahren über Wurzeln. Für sie ist der Kindersitz eine Beleidigung.

Und nun? Bertolt Brecht fällt mir ein: „Ja, mach nur einen Plan / Sei nur ein großes Licht / Und mach dann noch ’nen zweiten Plan/ Geh’n tun sie beide nicht.“ Ich fühle mich ertappt. Außerdem stellt mich die kleine Meuterei meiner Tochter vor neue Probleme. Wie kriege ich sie heute Nachmittag mit ihrer Freundin zum Sport?

Sie ist nicht die einzige, die mein Projekt erschwert. In unserer autofreien Zeit wollen wir unseren Alltag möglichst normal weiterführen. Mein Mann pendelt jeden Tag nach Hamburg – per Bahn oder Rad. Das macht er immer. Er ist Triathlet und nutzt die Strecke von unserer Haustür bis zu seinem Arbeitsplatz, 26 Kilometer plus Fährfahrt, als Trainingseinheit. Am Ziel kann er sein Rad in einer Tiefgarage anschließen und in großzügigen Umkleiden komfortabel duschen. Deshalb war es nicht schwer, ihn von unserem Vorhaben zu überzeugen.

Bei Freunden ist das schon anders. „Mit der Bahn nach Hamburg, abends? Och, dann lass uns lieber in Buxtehude bleiben“, sagte meine Verabredung. Das ist neu. Wenn wir weggehen, sind wir immer in Hamburg unterwegs. Aber das Zeitargument sticht. Mit dem Auto fahre ich über Land und durch den Elbtunnel etwa 35 Minuten von meiner Haustür bis zum Kino in Hamburg-Ottensen. Auf dem angrenzenden Parkplatz gibt es immer einen freien Stellplatz. Das ist schnell und komfortabel. Mit dem ÖPNV sieht das ganz anders aus. Inklusive Fahrzeit zum Buxtehuder Bahnhof brauche ich etwa eine Stunde zehn Minuten bis zum S-Bahnhof Altona. Dann laufe ich weitere zehn Minuten zum Kino.

Zurück fahren die Bahnen am späten Abend nur noch stündlich, die letzte um kurz vor halb eins. Wer im Landkreis Stade wohnt, muss, je nachdem wo er in Hamburg unterwegs ist, lange vor Mitternacht aufbrechen. Also doch entweder Landei bleiben oder aufs Auto zurückgreifen? Wir werden sehen. Es ist nicht die einzige Verabredung in diesem Monat. Das nächste Mal bin ich mit einer Radfahrerin unterwegs.

Was bleibt: unser Müllproblem. Die Säcke mit den Gartenabfällen stehen immer noch dick und prall im Schuppen. Eigentlich wollten wir unseren alten Kinderanhänger ausleihen, einen dänischen Dolphin. Da hätte alles gut reingepasst. „Der braucht neue Mäntel“, erklärte der Freund, an den wir ihn weitergegeben haben. Also muss es anders gehen. Die Fläche des Lastenrad-Gepäckträgers ist für die Säcke zu schmal. Aber wir haben noch zwei leere Wasserkästen. Einer kommt an die Haken, den anderen klemmen wir mit Kabelbindern an den Gepäckträger. Die Zange zum Öffnen stecken wir ein. Die Kästen verbreitern die Auflagefläche des Gepäckträgers. Jetzt passt ein Sack mit Grünzeug aufs Heck. Mit vier Kisten fände auch der zweite Sack noch Platz.

Auf dem Weg zur Deponie kommt die Ernüchterung. Das Schutzblech am Vorderrad ist etwas kurz. Weil der Weg so matschig ist, spritzt der Dreck bis zu den Knien. Hier muss ein Schmutzfänger angebracht werden. Motor und Unterrohr sind völlig verdreckt.

Dafür ist die Lastverteilung großartig. Das Gewicht im Heck spürt man nicht. Ganz anders ist das auf einem herkömmlichen Rad. Für einen direkten Vergleich habe ich mit meinem normalen Rad – immerhin ein solides Reiserad – einen Teil des Einkaufs erledigt und zwei Satteltaschen im Supermarkt ordentlich bepackt. Der Unterschied ist gravierend. Das Lastenrad manövriere ich souverän mit vier gefüllten Taschen, ohne das Gewicht überhaupt wahrzunehmen. Mit meinem Rad spüre ich die Zulast sehr präsent beim Lenken. Dagegen pedaliert sich der Transporter hybrid ohne Gepäck fast schon zu leicht, wenn einem der Motor hilft.

Nach zwei Wochen Testlauf beginnt in unserer Familie die Diskussion über die Grenzen und Möglichkeiten des Lastenrads. Mir gefällt die Lösung mit dem langen Heck gut, allerdings fehlen mir noch ein paar Extras, die ich beim nächsten Mal vorstellen werde. Mein Mann hat dagegen ganz andere Favoriten. Er entwickelt sich gerade zum Fürsprecher der klassischen Lastenräder wie dem Long John, den niederländischen Bakfiets oder der dänischen Christiania Bikes.

Andrea Reidl und ihre Familie wollen vier Wochen ohne Auto auskommen – in einer Kleinstadt (hier stellt sie ihren Selbstversuch vor: Teil 1Teil 2). Sie bloggt regelmäßig über ihre Erfahrungen.