2012 hat Bradley Wiggins die Tour de France gewonnen, außerdem bei den Olympischen Spielen eine Goldmedaille im Zeitfahren, im Frühjahr das achttägige Etappenrennen Dauphiné in Frankreich und die Radrundfahrt Tour de Romandie in der Schweiz. Jetzt ist sein Buch Meine Zeit erschienen.
Das Buch ist interessant, weil es einen Wendepunkt im Radrennsport beschreibt. Anders als im Profifußball verlief das Training der Radsportler anscheinend lange Zeit erstaunlich unwissenschaftlich. Das Team Sky hat das Trainingskonzept für 2012 komplett umgestellt.
Angenehm unaufgeregt watscht Wiggins in Meine Zeit aber auch Doping-Betrüger ab. Er reibt ihnen unter die Nase, dass man die Tour de France auch sauber gewinnen kann. In seinen Augen nicht sieben Mal hintereinander, vielleicht noch nicht einmal zwei Jahre in Folge – aber einmal auf jeden Fall.
Ambitionierte Radsportler werden das Buch lieben. Über weite Strecken beschreibt Wiggins Trainingseinheiten: in England, auf Teneriffa und auf Mallorca. Das ist für weniger ambitionierte Leser eher trockener Stoff. Aber Wiggins scheint diese Auflistung extrem wichtig zu sein. Denn wenn er später die Tour schildert, zeigt er immer wieder mit dem Finger auf einzelne zusätzliche Trainingseinheiten, die ihm während der Tour das entscheidende Quantum mehr an Energie in die Beine brachten. Es ist offensichtlich, dass er allen zeigen will: Meine Disziplin und mein hartes Training haben mich als Sieger auf die Champs-Élysées gebracht.
Wiggins will in seinem Buch ein ganz bestimmtes Bild des Sportlers aufbauen, der neben einem klaren Ziel auch die entsprechenden Experten um sich hat, die ihm dazu verhelfen. Glaubt man Wiggins, ist sein Tour-Sieg eine Punktlandung, die man nur durch Perfektion in allen Bereichen erreichen kann. Die muss nicht nur der Sportler bringen, sondern auch das Team, das ihn fördert, betreut und berät.
Als Laie setzt man voraus, dass Profis so arbeiten. Aber im Radsport ist das nicht die Regel. Statt eingebettet in einem Team von Kollegen und Betreuern zu arbeiten, sind Radsportler häufig wochenlang auf sich allein gestellt. „Das erste Mal, dass ich gemeinsam mit Geraint Thomas, Edvald Boasson Hagen und den anderen Jungs an den Start ging, war tatsächlich bei der Tour de France. Das ganze Jahr über hatte ich sie kaum gesehen.“ Das schreibt Wiggins über die Saison 2011 bei Sky. Er fand das normal.
Bis Tim Kerrison zum Team stieß. Der Sportwissenschaftler aus Australien war wichtig für Sky. Die Traditionen im Radsport waren ihm unbekannt, viele stellte er in Frage und verwarf sie. Was sonst dem Kapitän vorbehalten war, galt bei Sky mit Kerrisons Einzug für alle Fahrer. Das komplette Team sollte auf demselben Leistungsniveau sein. Alle Fahrer sollten die Bergetappen in einem Trainingslager erkunden und die Fahrer, die bei der Tour de France gemeinsam starteten, möglichst viele Rennen gemeinsam bestreiten. Für die Radsportler war das geradezu revolutionär.
Eine der vielleicht wichtigsten Erkenntnisse in dem Buch ist Wiggins‘ Resümee: Ein Tour-de-France-Sieg ist nicht einfach im kommenden Jahr reproduzierbar. Er investierte zwölf unglaublich arbeitsreiche Monate in diesen Sieg. Zudem verlangt diese Zeit viel Verzicht von ihm, sowie von den Menschen in seinem Umfeld. Sie alle mussten seine Entscheidung in aller Konsequenz mittragen, damit er die mentale Stärke hatte, seine Rolle zu erfüllen. In Wiggins‘ Augen kann man so ein Konzept nicht einfach im Folgejahr fortsetzen. Warum auch? Schließlich sind Radrennen, wie Wiggins in seinem Buch immer wieder betont, schlussendlich „nur Sport“.
„Meine Zeit“ von Bradley Wiggins mit William Fotheringham, Covadonga Verlag, 19,80 Euro