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Radfahren in Osnabrück: Wo geht es lang?

 

Parken am Osnabrücker-Bahnhof. Der eigentliche Fahrradstellplatz hinter den Autos ist bereits voll belegt. © Reidl
Parken am Osnabrücker Bahnhof. Der offizielle Fahrradstellplatz hinter den Autos ist bereits belegt. © Reidl

Radinfrastruktur muss selbsterklärend sein. In Osnabrück ist das nur teilweise der Fall. Dabei ist die Stadt in Niedersachsen durchaus ein positives Beispiel. Die Verkehrsplaner bauen viel für Radfahrer. Aber dort ist es wie in den meisten deutschen Städten: Die Radinfrastruktur steckt noch in den Anfängen. Als ernstzunehmendes Verkehrsmittel kommt das Fahrrad auch in Osnabrück noch nicht zum Zuge.

Im aktuellen ADFC-Fahrradklima-Test schaffte es die Stadt in der Kategorie 100.000 bis 200.000 Einwohner auf Platz 11. „Ein super Ergebnis“, findet Ulla Bauer vom Fachbereich Stadt- und Verkehrsplanung. „Osnabrück hat gute Noten bekommen für die Infrastruktur und die Radwegweisung. Ziemlich schlecht abgeschnitten haben wir allerdings bei der Baustellenführung und dem Winterdienst.“

Dennoch ist Bauer mit dem Ergebnis zufrieden. „Nach dem nationalen Radverkehrsplan gehören wir zu den Aufsteigern“, sagt sie. Der NRVP definiert den Begriff so:

Bei den „Aufsteigern“ ist bereits eine gewisse Dynamik in der Radverkehrsförderung vorhanden. Dies äußert sich u. a. in teilweise ambitionierten Zielwerten, Förderstrategien und umfangreichen Maßnahmen der Kommunen. Der Radverkehrsanteil liegt hier bereits zwischen rund 10 Prozent und rund 25 Prozent. In den entsprechenden Städten und Gemeinden ist mindestens eine Basisinfrastruktur vorhanden, die meist aber noch Lücken im Gesamtnetz aufweist. Auch sind vielfach bereits feste organisatorische Strukturen (Arbeitsgruppe Radverkehr, Radverkehrsbeauftragte etc.) geschaffen worden.

Bauers Zufriedenheit teilt Daniel Doerk nicht. Der Fahrradblogger berichtet unter It started with a fight regelmäßig übers Radfahren in der Friedensstadt. Die Probleme, die andere Radfahrer in dem Klimatest beanstandet haben, spürt er täglich. Im Winter ärgern ihn Schneehaufen auf dem Radweg. Ihm fehlen Abstellplätze für sein Rad, die Hauptadern durch die Stadt findet er für Radfahrer ungeeignet, und Radwege enden abrupt.

Zwar gibt es sogar eine Fahrradstraße, aber statt einer separierten Straße sind ihm Strecken lieber, die ihn sicher und zügig auf klar erkennbaren Fahrradspuren ins Zentrum führen. Deshalb sieht Doerk nicht den 11. Platz Osnabrücks beim ADFC-Fahrradklima-Test, sondern die Note 3,74 , die daneben steht. Das ist gerade mal ein ausreichend.

„Wenn man konsequent auf die Straße ausweicht, kommt man gut voran“, hatte Doerk erklärt. Mit diesem Wissen starte ich am Bahnhof. Der Berufsverkehr ist längst vorbei, Straßen und Radwege sind leer. Ungestört rolle ich auf Schutzstreifen, Busspuren und Radwegen. Zwischendurch fehlt immer mal ein Stück erkennbarer Radweg, was dank des fehlenden Verkehrs aber wenig stört. Über die mehrspurige Straße Natruper-Tor-Wall erreiche ich den Rißmüllerplatz. Die Kreuzung haben mir Bauer und Doerk empfohlen, sie ist der zweitgrößte Verkehrsknotenpunkt der Stadt.

Rißmüllerplatz in Osnabrück: Gute Möglichkeiten für linksabbiegende Radfahrer auf der rechten Fahrbahn. Wer aus der Gegenrichtung kommt, muss absteigen oder geradeaus fahren.© Reidl
Rißmüllerplatz in Osnabrück: Gute Möglichkeiten für links abbiegende Radfahrer auf der rechten Fahrbahn. Wer aus der Gegenrichtung kommt, muss geradeaus fahren oder absteigen und über die Fußgängerampel schieben. © Reidl

Die Straße verläuft für Autofahrer zwei- beziehungsweise dreispurig in beide Richtungen. Für Radfahrer gibt es in einer Fahrtrichtung einen Schutzstreifen, der in Kreuzungsnähe rot markiert ist, sowie einen weiteren roten Schutzstreifen für Linksabbieger in der Mitte der Fahrbahn zwischen Busspur und Autospur. Wer sich nicht traut oder es nicht schafft, zwei Autospuren im Berufsverkehr zu queren, kann indirekt abbiegen: also einfach geradeaus bis zur nächsten Ampel fahren und dort auf einer kleinen Aufstellfläche anhalten. Die Möglichkeiten sind gut – jedenfalls auf dieser Seite.

Wer jedoch aus der Gegenrichtung kommt oder gar von links, hat Pech. Radfahrer aus der Gegenrichtung können nur geradeaus fahren oder müssen zum Linksabbiegen absteigen und die Fußgängerampel benutzen. Wer von links kommt, muss von der rechten Busspur, die sich Busse und Radfahrer teilen, zwei Autospuren für Rechtsabbieger überqueren, um den Radstreifen zu erreichen. Das hört sich nicht nur kompliziert an, sondern erfordert bei viel Verkehr auch Selbstvertrauen; außerdem muss sich der Radfahrer einordnen, bevor er die Spuren sehen kann. Wer sicher queren will, muss sich auskennen – sonst hat er keine Chance.

Im Alltag funktioniere das Angebot, sagt Ulla Bauer. Bei einer Stichprobe über zwei Stunden sei beobachtet worden, dass 130 Radfahrer den Wechsel nach Vorschrift fahren und 24 über die Fußgängerampel fahren. Jetzt kann man sich streiten, ob 24 Radfahrer viel oder wenig sind. Es sind zumindest gut 15 Prozent der 154 gezählten Radfahrer.

Aber tatsächlich hat Osnabrück schon einiges getan für seine Velo-Nutzer. Es gibt Aufstellflächen an Kreuzungen und Straßen mit guter Radverkehrsführung, viele Einbahnstraßen sind freigegeben. Dennoch zeigt sich ein gängiges Problem: Teilweise sehr gute Infrastruktur endet unvermittelt. Das ist eine Standardsituation in vielen Städten: Velos werden von Verkehrsplanern nicht als gleichwertiges Verkehrsmittel in ihrer Planung bedacht. Aber erst, wenn Alltagsradler wie Doerk in der Stadt sicher, zügig und unkompliziert vorankommen, wird für Pendler und auch für kurze Wege das Rad eine ernstzunehmende Alternative. Um das zu erreichen, müssen Planer umdenken und die Städte mehr Geld investieren.

Dass der Prozess im Gang ist, zeigt das Gespräch mit Ulla Bauer. Sie benennt eine Vielzahl von bekannten Problemen in Osnabrück: So müsse unter anderem die Verkehrsführung an Knotenpunkten besser werden, damit sich die Reisezeit für Radler verkürze. Die Stadt brauche mehr und bessere Parkmöglichkeiten. Und wenn der Komfort für Radfahrer erhöht werden soll, müssten Verbindungsstrecken vom Stadtteil zu Stadtteil entstehen – etwa indem alte Wirtschaftswege radfahrertauglich umgebaut werden.

„Der Sanierungsbedarf ist hoch im Radverkehr“, sagt Bauer. Ebenso der Aufklärungsbedarf. Den Anfang macht in Osnabrück nun eine Marketingkampagne, die nach den Osterferien an Schulen gestartet hat. Das kostet Geld. Osnabrück investiert in diesem Jahr 500.000 Euro unter anderem für Radwege oder Parkbügel sowie zusätzlich 100.000 Euro für die Marketingkampagne. Das sind insgesamt pro Einwohner 3,75 Euro. Mehr als viele andere Städte ausgeben. Aber reicht das?

Der Nationale Radverkehrsplan (NRVP) empfiehlt Aufsteiger-Städten deutlich höhere Investitionen. Experten nennen 13 bis 18 Euro pro Einwohner für Infrastruktur und weitere Maßnahmen. Für Osnabrück wären das 2 bis 3 Millionen Euro. Ist das machbar? Mit Sicherheit eher, wenn die Mittel im Verkehrsetat entsprechend dem angestrebten Modal Split aufgeteilt werden, als es aktuell der Fall ist.