Heute beginnt in Wien die größte internationale Radverkehrskonferenz Velo-City. Radfahrer machen in Wien nur sechs Prozent des gesamten Verkehrs aus. Die Stadtregierung will den Anteil bis 2015 auf zehn Prozent steigern. Ein guter Motor auf diesem Weg ist die Velo-City, die Wien gemeinsam mit der European Cyclists‘ Federation (ECF) organisiert. Mit dem Ziel vor Augen hat die Stadt in den vergangenen zwei Jahren viele Ressourcen mobilisiert und ebenso kreativ wie vehement begonnen, ihr Ziel umzusetzen.
Wien ist in der Welt beliebt. In Rankings der meistbesuchten und lebenswertesten Metropolen belegt die österreichische Hauptstadt meist einen der ersten drei Plätze. Außerdem gilt sie als Smart City, eine Stadt, in der man komfortabel und umweltschonend gut leben kann. Das macht sie zu einem attraktiven Wohnort. In Europa ist sie laut Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou die Metropole mit dem höchsten Wachstum. Mit ihr wächst die Infrastruktur – doch konzentriert sich die Stadt nur auf das Auto und den öffentlichen Personennahverkehr, werde sie an Grenzen stoßen, sagt Vassilakou.
Mehr Radverkehr soll hier helfen. Die rot-grüne Stadtregierung wirbt vehement fürs Radfahren: mit Image- und Aufmerksamkeitskampagnen, mit mehr als 1.200 Leihrädern und einem Infozentrum zum Fahrradfahren in zentraler Lage. Dort bekommen Radler Tipps zur Fahrradreparatur und -kultur, es gibt Workshops zu verschiedenen Themen und im Sommer touren Mitarbeiter mit einem pinkfarbenen Fahrradcontainer durch die Stadt, um die Menschen vor Ort übers Radfahren zu informieren.
Konflikte vermeiden, Menschen überzeugen, das ist das Motto von Maria Vassilakou. Das gilt vor allem für die Menschen, die sie fürs Radfahren gewinnen will. In ihrem politischen Umfeld muss sie dagegen immer kämpfen und Kompromisse eingehen, wenn sie beispielsweise Fahrradstraßen für die Stadt plant.
Wien hat 23 Bezirke. Jeder Bezirk, durch den eine Straße verläuft, hat ein Mitspracherecht, wenn man die Fahrbahn verändern will. Das erschwert manchmal Entscheidungen, macht aber auch kreativ. So hat Wien im Herbst eine fahrradfreundliche Straße eingeführt, die bis dahin in der Straßenverkehrsordnung Österreichs gar nicht vorgesehen war. „Auf der 2,5 Kilometer langen Hasnerstraße gilt Tempo 30, zudem haben Radfahrer und Autofahrer an fast allen Kreuzungen Vorrang, abgesehen von jenen mit öffentlichen Verkehrsmitteln“, sagt Andrzej Felczak von Argus, Österreichs Pendant zum ADFC. Eigentlich sollte die Regelung auch für die Pfeilstraße gelten, in die die Hasnerstraße übergeht, aber das hat die dortige Bezirksregierung verhindert. Fast zeitgleich mit der Novelle der StVO in Österreich hat Wien im März die erste Fahrradstraße eröffnet. In dieser haben Radfahrer Vorrang, sie dürfen nebeneinander fahren und Autofahrer nur zu- und abfahren.
Ein Vorzeigeobjekt und der Traum vieler Radfahrer ist das Haus Bike City mitten in Wien. Es ist die erste Wohnanlage, die speziell für Radfahrer gebaut wurde. 100 Wohnungen und 260 Fahrradstellplätze gibt es hier. Der Clou: Die Bewohner nehmen ihre Räder mit in ihr Stockwerk. Auf den verschiedenen Ebenen gibt es gläserne Abstellräume oder Stellplätze direkt vor der Haustür.
Das funktioniert auch für Familien mit Kindern, weil der Fahrstuhl für drei Personen und drei Räder konstruiert ist. 2008 hat die Gemeinnützige Siedlungs- u. Bau AG (Gesiba) das Haus gebaut. Im vergangenen Jahr hat sie das Folgeprojekt Bike und Swim gestartet. Neben den Fahrradstellplätzen gibt es einen Swimmingpool auf dem Dach und ein Spa mit Dampfbad.
Das Ergebnis: Laut Michael Szeiler, einem Wiener Verkehrsexperten, sind die Wohnungen begehrt. Selbst die weniger velobegeisterten Bewohner fahren mehr Rad als vor ihrem Einzug in Bike City.
Szeiler hat außerdem eine Neuerung bei der Ampelschaltung in Wien eingeführt. Sie verkürzt bei wenig Verkehr die Wartezeiten für Radfahrer und Fußgänger, zum Beispiel auf der Straße Rossauer Lände. Sie ist eine der Haupteinfallstraßen Wiens, dreispurig führt sie als Einbahnstraße am Donaukanal vorbei. Hier queren viele Radfahrer und Fußgänger die Straße.
Immer wieder huschten einige von ihnen trotz Rotsignal über die Ampel, wenn kein Auto kam. Statt sie zu bestrafen, suchten die Verkehrsplaner nach einer Lösung. Die Erfahrung zeigte, dass hier die Autos überwiegend als Kolonne auf die Ampel zufahren. Hat das letzte Auto die neu installierten Sensoren in den Fahrspuren passiert, schaltet nun die Fußgängerampel wenige Sekunden später auf Grün. Es gibt zwar einen Takt, aber der wird kurzzeitig aufgehoben, wenn die Sensoren kein Signal erhalten.
Einfacher geht es nicht. Die Idee ist ideal für Radfahrer und Fußgänger, weil sie die Wartezeit auf ein Minimum verkürzt. Und wer wartet schon gerne an einer vereinsamten Kreuzung auf das Grünsignal.