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Wie Städte mit der Fahrradzunahme kämpfen

 

Freiburg, Karlsruhe und Münster waren die Spitzenreiter beim Fahrradklima-Test des ADFC. Wie sieht es dort auf den Straßen aus? In den Niederlanden zeigt der Erfolg des Radfahrens seine Kehrseite: Dort sind Radwege teils schon überfüllt. Was erwarten die Verkehrsplaner in deutschen Städten?

Auf 23 Prozent wollte Karlsruhe die Radverkehrsquote bis 2015 steigern – diese Marke ist längst geknackt. 2012 lag der Anteil der Radfahrer in der badischen Stadt bei 25 Prozent, und er wird weiter wachsen. „Fahrradstaus wie in den Niederlanden haben wir keine, aber es wird enger auf den Fahrradwegen“, sagt Ulrich Wagner, Bereichsleiter Verkehr beim Stadtplanungsamt Karlsruhe.

Seit sieben Jahren arbeiten die Behörden dort ein 20-Punkte-Förderprogramm ab. Die Baumaßnahmen sind noch lange nicht abgeschlossen. In Karlsruhe überholt die Entwicklung auf dem Radweg zurzeit die Planer. „Als wir gestartet sind, waren die E-Bikes noch kein Thema“, sagt Wagner. Heute ist das anders. Es gibt immer mehr Elektroräder und damit unterschiedliche Geschwindigkeiten auf den Wegen.

Langfristig kann das zu Problemen führen. Allerdings hat Karlsruhe im Gegensatz zu anderen Städten den Vorteil großzügiger Straßenzüge: Es gibt viele Alleen, die relativ breit sind, sagt Wagner. „Wir können den Verkehr auf die Straße verlegen und oft die maximalen ERA-Werte (Empfehlungen für den Radverkehr) verwenden.“

In der Praxis heißt das: Die Radwege sind zwei Meter breit statt nur 1,60 Meter. Für Deutschland ist das viel. In Kopenhagen sind die Radwege allerdings häufig drei bis vier Meter breit. Dort können Radfahrer in drei Reihen nebeneinander fahren.

Viele Radfahrer verunglücken

Ein viel größeres Problem sieht Wagner zurzeit in den Unfallzahlen. 565 Radler wurden im vergangenen Jahr in Karlsruhe verletzt. Viele Verkehrsexperten setzen auf das Prinzip „Safety in numbers„, die Sicherheit in der Masse: Sie vertreten den Ansatz, dass große Mengen an Radfahrern von den Autofahrern besser wahrgenommen werden. Allerdings geht dem laut Kopenhagens Radbotschafter Mikael Colville-Andersen oft ein Anstieg der Unfallzahlen voraus.

Wagner sieht in Karlsruhe die Unfallursachen eher als Folge fehlender Infrastruktur und fehlender Regelakzeptanz. „An beiden muss gearbeitet werden“, sagt er. „Wir erarbeiten ein Verkehrssicherungskonzept, um die Anzahl der Unfälle zu senken.“

Ähnlich ist es in Freiburg. 602 Fahrradunfälle meldete die Polizei 2012. Hier hat die Stadt ein Gutachten über bauliche Mängel erstellen lassen. Als Folge wurden unter anderem im Zentrum an unübersichtlichen Kreuzungen Spiegel aufgehängt. Zudem läuft seit vergangenem Jahr eine Sicherheitskampagne, die das Klima zwischen Rad- und Autofahrern verbessern soll. (Darüber wird hier am Ende des Textes berichtet.)

Die Stadt im Breisgau hat Platz drei beim Fahrradklimatest des ADFC belegt. Sie gilt schon lange als Fahrradstadt. Bereits 1999 lag der Anteil der Radfahrer bei 28 Prozent. Aber das Routennetz stammt aus den 1970er Jahren und ist deshalb teilweise veraltet. Einige Radwege sind überlastet und es gibt Lücken im Netz.

Seit Kurzem investiert die Stadt wieder gezielt in den Radverkehr, sie will Autofahrer zum Umsteigen bewegen. Das funktioniert laut Frank Uekermann, Leiter des Garten- und Tiefbauamts, nur, wenn das Rad attraktiver – also schneller – ist als der PKW.

Freiburg setzt auf Vorrang-Routen

Im Mittelpunkt des Radkonzepts stehen deshalb drei neue Radvorrang-Routen: Pendants zu den niederländischen Radschnellwegen. Auf ihnen sollen die Radfahrer über weite Strecken ungestört und ohne Stopps radeln können. In ein paar Jahren werden sie Freiburg wie ein Kreuz durchziehen. Dabei verläuft die Ost-West-Achse separat entlang der Dreisam, dem Fluss, der durch Freiburg fließt.  Die beiden anderen Routen verbinden den Norden und Süden der Stadt.

Die ersten Bauprojekte an der Dreisam wurden bereits abgeschlossen. Wo Radfahrer früher absteigen mussten, weil der Radweg plötzlich endete oder sie ihr Rad steile Treppen hinauftragen mussten, gibt es jetzt Rampen, Stege und Durchstiche.

Ein Rechenbeispiel des Garten- und Tiefbauamts zu einer der Nord-Süd-Routen klingt viel versprechend: Für die Fahrt durch Freiburg von Zähringen nach St. Georgen braucht ein Autofahrer zurzeit für 6,9 Kilometer und 20 Ampeln durchschnittlich 30 Minuten, bei normalem Verkehr. Wer später auf der geplanten Fahrradroute mit 20 km/h unterwegs ist, benötigt für die 6 Kilometer lange Strecke nur noch 20 Minuten. Das ist attraktiv.

Freiburg und Karlsruhe investieren in ihr Velonetz, um den Radleranteil zu steigern. Vor allem geht das mit besseren Strecken und breiteren Wegen. Aber letzteres ist für Münster zurzeit nicht ohne weiteres möglich. Zwar gilt es als Deutschlands Fahrrad-Vorzeigestadt, aber fast 100 Prozent der Radwege sind Hochbordradwege, sagt Verkehrsplaner Stephan Böhme. Viele sind direkt nach dem Krieg entstanden. „Damals war die Vorgabe, 80 Zentimeter breit zu bauen“, sagt der Experte.

Doch auch in Münster wollen die Politiker den Radverkehr in der Innenstadt weiter steigern. „Dazu müsste Münster wahrscheinlich Parkstreifen aufgeben“, überlegt Böhme. Die Diskussionen über verschiedene Projekte werden nach seinen Aussagen bereits geführt.

Es fehlen Velo-Parkplätze

Wie in den beiden anderen Städten ist auch in Münster die Zahl der Radunfälle hoch. Zudem fehlen Parkflächen für Fahrräder. Trotz 3.300 Stellplätzen im Fahrradparkhaus am Bahnhof müssen noch viele Radler ihre Velos weiterhin auf dem Vorplatz abstellen, in den Wohnvierteln auf den Bürgersteigen. Hier sieht Planer Handlungsbedarf. Bei Neubauten sei es einfacher, Fahrradstellplätze zu realisieren, sagt Böhme. In manchen Quartieren werde aus einem Autoparkplatz ein Fahrradparkplatz. Aber das sei die Ausnahme.

Parkplätze, Wegebreiten und die Zahl der Unfälle sind drei der vorrangigen Probleme, die die Städte zurzeit bewegen. Damit sind sie nicht allein. Die Probleme kennen auch die Niederlande. Kopenhagen hat viele der Probleme nicht, weil die Stadt sehr früh mit ihrer fahrradfreundlichen Verkehrsplanung begonnen hat, breite Straßenzüge zur Verfügung hat und innovativen Projekten aufgeschlossen gegenüberstand. Da können deutsche Städte von den Nachbarn, immer öfter aber auch voneinander lernen.