Das Verkehrsrecht ist nicht immer eindeutig. Das hat erst kürzlich die lebhafte Debatte zur ACE-Studie hier im Blog gezeigt, die falsche Infos zur Zebrastreifen-Nutzung enthielt. Deshalb stellen wir in den kommenden Wochen mithilfe des Rechtsanwalts Christoph Krusch die größten Irrtümer und Legenden zum Thema Radfahren vor. Krusch arbeitet in Berlin und hat sich aufs Radrecht spezialisiert.
Teil 2: Radfahren auf Gehwegen ist verboten
§ 2, Abs. 5 StVO: Kinder bis zum vollendeten achten Lebensjahr müssen, ältere Kinder bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr dürfen mit Fahrrädern Gehwege benutzen. Auf zu Fuß Gehende ist besondere Rücksicht zu nehmen. Beim Überqueren einer Fahrbahn müssen die Kinder absteigen.
Die Rechtslage ist eindeutig: Erwachsene Radfahrer haben auf Gehwegen nichts zu suchen. Dieser Paragraf bringt allerdings Eltern jüngerer Kinder regelmäßig in Schwierigkeiten.
„Eigentlich müssen die Kleinen auf dem Gehweg fahren, während die Eltern auf der Straße oder dem parallel verlaufenden Radweg unterwegs sind“, sagt Krusch. Im Alltag ist das selten der Fall. Meistens radeln Mutter oder Vater mit dem Kind auf dem Gehweg. Der Grund leuchtet ein: Die Kinder müssen angeleitet werden. Sie haben weder jede Ausfahrt im Blick, die den Gehweg kreuzt, noch den Hund, der an einer Teleskopleine über den Gehweg flitzt. Kinder sind Träumer, sie lassen sich schnell ablenken und brauchen daher die Hinweise ihrer Eltern. Dies ist jedoch von benachbarten Verkehrsflächen nicht immer möglich, gerade wenn der Gehweg hinter Parkplätzen oder Bepflanzung liegt.
Das funktioniert ziemlich gut. „Die Toleranz der Fußgänger ist relativ hoch“, sagt der Anwalt. „Die Menschen akzeptieren meist das gemeinsame Fahren von Familien auf ihren Wegen.“ Das liegt vor allem daran, dass Eltern und Kind verhältnismäßig langsam unterwegs sind. Sie überholen angemessen, und wird es trotzdem mal eng zwischen radelndem Kind und Fußgänger, entschuldigen sich die Eltern in der Regel umgehend.
Streng genommen bewegen sich die Eltern auf dem Gehweg ordnungswidrig. Aber hört man Krusch zu, muss man ihnen eigentlich dazu raten, wenn nötig lieber gegen Verkehrsregeln zu verstoßen – denn die Eltern müssen immer ihre Aufsichtspflicht erfüllen! Unabhängig davon, wo sie radeln.
Der Anwalt schildert einen konkreten Fall, in dem eine Mutter ihre sechsjährige Tochter allein auf dem nur linksseitig vorhandenen Gehweg radeln ließ. Die Mutter dagegen fuhr gemäß der StVO rechts auf der Fahrbahn. Das Kind machte einen Fehler und fuhr mit seinem Rad gegen ein Auto. „Es kam zum Verfahren und das Gericht entschied, die Mutter müsse für den Schaden aufkommen. Sie sei verantwortlich, da sie ihre Aufsichtspflicht verletzt habe“, sagt der Anwalt (AG Traunstein, 311 C 734/04).
Jetzt hat der ADFC mit seinem neuen verkehrspolitischen Programm einen Vorstoß gewagt. In wenigen Ausnahmefällen sollte der Gehweg für den Radverkehr zugelassen werden, fordert der Fahrrad-Club. „Eine solche Ausnahme wäre für die rücksichtsvolle Begleitung einer Aufsichtsperson sinnvoll“, schlägt Krusch vor, „weil dies realitätsnah den Eltern eine klare rechtliche Situation verschaffte.“
Radfahren in Fußgängerzonen und auf freigegebenen Gehwegen
Stellenweise wird das Fahrverbot auf Gehwegen oder in Fußgängerzonen für Radfahrer immer mal wieder durch die nebenstehenden Zeichen aufgehoben. „Im Grunde ist der Radfahrer in diesen Abschnitten aber nur zu Gast auf dem Gehweg“, sagt Krusch. Der Weg sei für den Radverkehr zwar freigegeben, dennoch bleibe er im Sinne der StVO ein Gehweg.
Deshalb müssen Radfahrer besondere Rücksicht auf Fußgänger nehmen. „Übersetzt heißt das für die Radler: Ich fahre Schrittgeschwindigkeit und kann sofort anhalten“, erläutert der Anwalt. Das gilt insbesondere in der Nähe von Kreuzungen, Ein- und Ausfahrten, Tür- und Hofeingängen sowie Fußwegabzweigungen. Das ist nicht nur vorgeschrieben, sondern durchaus ratsam, da niemand mit schnelleren Verkehrsteilnehmern rechnet. Vor allem beim verbotenen Radfahrern auf Gehwegen geschehen laut Krusch häufig Zusammenstöße mit Autos, weil deren Fahrer beim Queren von Fußwegen nicht mit Fahrradgeschwindigkeiten rechnen (müssen).
Außerdem gehen Fußgänger in ihrer Schutzzone auch gerne unvermittelt einen Schritt zur Seite. Aus diesem Grund rät der ADFC zu mindestens 80 Zentimetern Abstand, wenn man an Fußgängern vorbeiradelt. Dass man auf dem Rad sich nicht wild den erforderlichen Raum freiklingelt, sondern als rücksichtsvoller Gast bei Bedarf freundlich um Durchlass bittet, sollte eine Selbstverständlichkeit sein.
„Problematisch wird die gemeinsame Nutzung von Bürgersteigen immer, wenn diese zu schmal sind“, sagt Krusch. Oft ist der geteilte Weg ein schlechter Kompromiss. Es existiert kein baulich abgetrennter Radweg, aber den Verkehrsplanern vor Ort (und/oder einem Teil der Radfahrer) erscheint es zu gefährlich, den Radverkehr auf der Fahrbahn zu führen. Wird dort der Gehweg freigegeben, kann der Radfahrer auf den Hochbord ausweichen.
Dagegen verpflichtet die Ausschilderung als gemeinsamer Geh- und Radweg (blaue Schilder mit Fußgänger- und Fahrradsymbol übereinander) zur gemeinsamen Nutzung.
Eine Besonderheit gibt es noch. Verläuft der freigegebene Gehweg direkt neben der Fahrbahn einer Vorfahrtstraße, genießen auch die auf dem Gehweg Radfahrenden grundsätzlich Vorfahrt gegenüber dem Verkehr aus den Seitenstraßen; Abbieger von der Vorfahrtstraße müssen zunächst die Radfahrer durchfahren lassen. Diese Rechte sollten Radfahrer allerdings lieber sehr vorsichtig wahrnehmen, denn auch diese Regeln kennt nicht jeder. Außerdem wird auf Radfahrer im Seitenraum häufig nicht genügend geachtet.
Teil 1 der Serie: Radfahrer dürfen Autoschlangen rechts überholen