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Mit dem Rad um die Welt trotz Hirntumor

 

Wenn Sven Marx in ein paar Wochen auf der Route 66 von seinem Reiserad absteigt, um in ein Hotel einzuchecken, holt er erst mal seinen Gehstock aus Carbon aus den Fahrradtaschen. Marx radelt zwar seit Jahren nach Frankreich, England und Russland, aber ohne Stock schafft er es kaum bis zur Rezeption. Marx ist Reiseradler, und er ist schwerbehindert. Er hat einen Tumor im Hirnstamm, der sein Sehen beeinträchtigt. 2017 will er mit seinem Rad um die Welt fahren.

Mit dem Rad kommt der Berliner, 1967 geboren, besser durchs Leben als auf zwei Beinen. Im Stehen hat er Gleichgewichtsprobleme, außerdem sieht er doppelt. Daran ist der Tumor schuld. Warum fährt er dann kein dreirädriges Liegerad, fragt man sich sofort. Doch damit ist ihm nicht geholfen. Oben links in seinem Sehfeld gibt es einen Bereich, den sein Gehirn ihn scharf sehen lässt. Auf einem sportlichen Rad ist das Fenster so positioniert, dass er im Verkehr gut zurechtkommt.

Dass er überhaupt jemals wieder aufrecht gehen würde, geschweige denn auf einem Fahrrad sitzen kann, war vor fünf Jahren nicht abzusehen. Damals hatten die Ärzte den Tauchlehrer bereits als Pflegefall abgestempelt. Nach der Operation des Tumors hatte es Komplikationen gegeben. „Es gab Einblutungen“, sagt Marx. „Ich lag drei Monate auf der Intensivstation, war halbseitig gelähmt, wurde künstlich ernährt und beatmet.“ Anschließend begann für ihn alles von vorn. Er musste alles neu erlernen: sitzen, essen, laufen.

In der Reha nutzte er einen Rollator. Er ging in den Wald und fiel ständig hin. „Hätte das jemand vom Personal gesehen, hätten sie mich wahrscheinlich festgebunden“, sagt er heute. Aber er hatte zwei Ziele: Er wollte Schwimmen und Radfahren, bevor er die Klinik verließ.

Unabhängig auf dem Rad

Sein Therapeut übte mit ihm das Radfahren, erst auf dem Ergometer und später im Park. Das Ergebnis war mäßig. „Übe weiter“, hat ihm der Therapeut zum Abschied gesagt, „aber fahr bloß nicht auf der Straße.“

Marx hat geübt, jeden Tag. Bis er die sieben Kilometer von der Wohnung bis zum Brandenburger Tor schaffte. Für ihn war das seine erste Weltreise.

Noch heute fährt er täglich Rad. Das ist für ihn leichter als Gehen. „Ich laufe ziemlich breitbeinig“, sagt er. „Beim Laufen bleibe ich hängen, ich stolpere viel und beim Treppensteigen muss ich mich festhalten. Ich muss jeden Schritt ausbalancieren.“ Radfahren macht ihn unabhängig. Er und sein Velo kommen gemeinsam fast überall hin.

Wenn er Anfang April nach Amerika aufbricht, ist er allein unterwegs – wie immer. „Ich will meine Ruhe haben und mich nicht auf irgendjemanden einstellen müssen“, sagt Marx. 120 bis 140 Kilometer fährt er am Tag. Für ihn ist Amerika ein Testlauf. Wenn alles klappt, startet er in drei Jahren seine Weltreise.

Seine Behinderung macht ihn unsicher und angreifbar. Er will nicht aufgrund seiner Einschränkungen an Grenzposten oder den Straßenverhältnissen scheitern. Deshalb bereist er einige Länder vorab, um sich die Gegebenheiten vor Ort anzuschauen. Zeit hat er genug, er ist Rentner. Nach seiner Rückkehr aus Amerika wird er ab Herbst Vorträge über seine Reisen halten. Mit dem eingenommenen Geld unterstützt er ein Kinder- und Jugendprojekt in Rumänien.

Manche Menschen in seiner Situation verzweifeln. Marx nicht. „Jammern hilft nicht“, sagt er. „Ich habe nicht einmal den Sachen hinterhergeweint, die ich nicht mehr machen kann wie Tauchen oder Motorradfahren. Ich habe jetzt neue Sachen, die ich nie gemacht hätte ohne den Tumor.“

Seine Reise kann man ab dem 7. April hier über Facebook verfolgen. Mehr auch auf der Website von Sven Marx.