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Weltreise mit Nebenwirkungen

 

© Felix Stark
© Felix Starck

Einmal mit dem Fahrrad um die Welt: Das klingt verlockend nach Freiheit, Unabhängigkeit und selbstbestimmtem Leben. Dass Radfahrer, die zu solchen Touren aufbrechen, auch Heimweh bekommen, sich fiese Krankheiten einfangen oder sich mit ihren Mitfahrern streiten, daran denkt meist niemand. Kommt aber vor

Bei Felix Starck war es so. Vor noch nicht mal einem Jahr brach er mit einem Kumpel zu einer Weltreise auf. Die beiden waren damals 23 und 25 Jahre alt. Zwei Jahre wollten sie unterwegs sein; Europa, Kasachstan, Indien, Singapur, Australien, Hawaii und Amerika standen unter anderem auf ihrem Reiseplan. Ein Traum. Doch nach sechs Wochen landeten sie wieder in Deutschland.

Der Grund: Felix Starck war erkrankt – Lungenentzündung. Unterwegs hatte er Blut gespuckt. Dem Arzt im Budapester Krankenhaus misstraute er, und da er sich trotz Antibiotika sterbenselend fühlte, beschlossen die beiden, dass er sich zwei Wochen in Deutschland auskuriert.

Vermutlich hatte sich Starck den Virus in einem Heilbad in Budapest eingefangen. Das mutmaßte damals sein Freund, der in ihrem gemeinsamen Blog schrieb, dass die Umkleiden extrem dreckig gewesen seien und eine dicke Schicht aus Öl und Fett auf dem Wasser geschwommen habe. Ob das der Auslöser war, weiß niemand. Erfahrene Reisende hätten diese Brühe wahrscheinlich gar nicht betreten. Aber die beiden waren Greenhorns.

Ihre Reise war ein Schnellschuss, das Resultat eines gemütlichen Abends ein paar Monate zuvor. Sie waren Kollegen, auch erst seit ein paar Wochen, aber sie verstanden sich gut, hatten ähnliche Interessen und viel Spaß miteinander. An diesem Abend philosophierten sie über das Leben, ihre Träume und den ganzen Rest. Nach ein paar Stunden in der Bar hatten sie den Plan, per Rad die Welt zu umrunden. Vier Monate später fuhren sielos.

© Felix Stark
© Felix Starck

Die Realität sah dann anders aus als die schöne Weltenbummler-Vision an dem Abend in der Bar. Statt sich zu freuen, hatten die beiden in den ersten Tagen vor allem eines: Heimweh. „Die ersten Kilometer waren psychisch super hart! … Ist es wirklich richtig was wir da machen? Jeder von uns war tief in Gedanken und sehr traurig ‚alles‘ zurückzulassen!“, schrieb Starcks Kumpel in ihr Blog. „Die ersten Wochen nach dem Start waren die härtesten meines Lebens“, sagt Starck heute. „Ich hatte tolle Freunde, einen tollen Job und eine tolle Wohnung.“

Jetzt sollte er zwei Jahre lang auf all das verzichten, was ihm wichtig war. Wollte er das eigentlich?

Die beiden Weltreisenden machten es sich nicht leicht. Allein ihre Räder wogen mit Gepäck mehr als 70 Kilogramm pro Mann. Nach ein paar Tagen warfen sie überflüssigen Ballast ab und pedalierten um etwa ein Drittel erleichtert weiter.

Dafür hatten sie andere Schleppanker, die ihnen das Leben schwer machten. Sie reihten einen Abschied an den anderen. Erst nahmen sie groß Abschied von Freunden, Verwandten und Nachbarn bei Starck zu Hause und wiederholten das bei seinem Mitfahrer. Als nächstes verabschiedeten sie sich von Bruder und Freunden, die sie abwechselnd ein paar Tage begleiteten. Aber so richtig weg waren sie nie. Die ganze Zeit über hielten sie Kontakt via Facebook, Mail, Blog und Skype. Das machte das Loslassen nicht leichter.

Dabei hatten die beiden viele tolle Erlebnisse unterwegs. Ziemlich schnell erlebten sie das, was Reisende gerne „Trail Magic“ nennen. Überall tauchten Menschen auf, die sie spontan zum Grillen einluden, ihnen für die Nacht einen Platz im Garten oder ihr Sofa anboten.

Aber das reichte nicht. Nach dem krankheitsbedingt erzwungenen Heimurlaub stieg Starcks Kumpel aus ihrem Projekt Pedal the world aus. „Wären wir zusammen weitergefahren, hätten wir uns irgendwann getrennt“, vermutet Starck heute und vergleicht ihre anfängliche Euphorie mit „frisch Verliebtsein“.

Inzwischen ahnte er, warum Radreisende solche Touren über Jahre planen. Dabei geht es nicht nur um Länder, Routen, Sehenswürdigkeiten und kulturelle Eigenarten. Es geht um praktische Dinge wie die Hauptwindrichtung in der Region. Wenn einem wochenlang kräftiger Gegenwind ins Gesicht bläst, können selbst ausgeglichene Fahrer mürrisch werden. Außerdem sollte man wissen, welches Tempo und welche Strecken der andere fährt und wie er sich in schwierigen Situationen verhält.

Starck lag in seiner körperlichen Leistung hinter seinem Kumpel. Er sieht sich selbst als gemütlichen Fahrer. Ihm sind Kultur, Kontakte mit den Menschen vor Ort und das Eintauchen in die Region wichtiger als das tägliche Pedalieren. Dafür tauscht er auch mal das Rad ein paar Wochen gegen einen Rucksack und erkundet die Umgebung zu Fuß und per Bus.

„Ich bin definitiv kein echter Radreisender“, sagt Starck. Die 40 Reiseradler, die er im vergangenen Jahr getroffen hat, wollten als erstes wissen: „Wie viele Kilometer fährst du am Tag?“ Mit der Frage kann er nichts anfangen. Obwohl er auch über 100 Kilometer am Tag zurückgelegt hat. Aber Kilometerfressen ist nicht seine Art zu reisen.

© Felix Stark
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Nach der Trennung war er zunächst unsicher, ob er die Tour alleine fortsetzen soll. Plötzlich musste er Dinge übernehmen, die sein Kumpel erledigt hatte und von denen er keine Ahnung hatte, zum Beispiel Navigation und Radpflege. Den dringenden Ölwechsel an seiner Rohloff-Nabe musste er verschieben, bis er einen Fahrradladen fand.

Trotzdem fuhr er erst mal los. Nachdem er einige Zeit später seine Route neu geplant hatte, versuchte er noch mal mit einem Fremden weiterzufahren. Ihn hatte er via Facebook kennengelernt. Aber zwischen den beiden stimmte die Chemie nicht. Wieder brach Starck alleine auf. Damit war das Thema Team endgültig für ihn gestorben. Ab und an besuchten ihn noch Freunde, mit denen er eine Weile unterwegs war, aber ansonsten schlug er sich solo durch Europa, Asien, Neuseeland und Amerika.

Eine grundlegende Änderung gab es allerdings: Er verkürzte seine Weltreise auf ein Jahr. Vergangenen Samstag startete sein Flieger von New York nach Oslo für die letzte Etappe der Tour. In der norwegischen Hauptstadt wartete sein Bruder auf ihn. Beide wollen ein Stück zusammenfahren. Die letzten drei Wochen seiner Tour aber gehören Felix Starck allein. Dann möchte er die Tour Revue passieren lassen und am 22. Juni wieder zu Hause sein. Auf den Tag genau ein Jahr, nachdem er aufgebrochen ist. Was er dann macht? Sich erst mal richtig auskurieren, sagt er. Denn die Probleme mit der Lunge hat er immer noch.

© Felix Stark
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