Der Deutsche Fahrradpreis 2015 geht nach Wuppertal, Karlsruhe und Saarbrücken. Die Städte gewannen die Auszeichnungen am Montagabend in den Kategorien Infrastruktur, Service und Kommunikation. Sie wurden gestern während des Nationalen Radverkehrskongresses ausgezeichnet. Mit den Preisen will die Bundesregierung vorbildliche Projekte auszeichnen, die das Radfahren fördern und sie bundesweit bekannter machen.
Karlsruhe: Die Stadt hat von 2002 bis 2012 ihren Radanteil von 16 auf 25 Prozent gesteigert. Davon träumen viele Städte und Kommunen. Jetzt will Karlsruhe mit verschiedenen Kampagnen die Sicherheit auf den Straßen erhöhen. Über die Helmaktion habe ich hier bereits berichtet. Zudem erinnert die Stadt Auto- und Radfahrer mit Plakaten und Mitmachaktionen in Kinos und bei Konzerten an den Schulterblick. Während der Preisverleihung in Potsdam wiederholt eine Physiotherapeutin den Schulterblick sogar mit dem Publikum. Eine ungewöhnliche Aktion, die alle Verkehrsteilnehmer anspricht und ohne erhobenen Zeigefinger auskommt.
Wuppertal: Radfahrer waren in Wuppertal lange Exoten. Seit es die Nordbahntrasse gibt, einen bis zu sechs Meter breiten Radweg, ändert sich das offenbar langsam. Die treibende Kraft für den Umbau der ehemaligen Bahntrasse war der Verein Wuppertal-Bewegung. Die Mitglieder machten Werbung für das Projekt und befreiten einen Teil der zugewachsenen Strecke sogar in ehrenamtlicher Arbeit von Gestrüpp. Insgesamt flossen rund 36 Millionen Euro in die neue Nordbahntrasse. Jetzt umfasst die 23 Kilometer lange Strecke 23 Brücken, vier große Viadukte sowie sechs Tunnel.
Saarland: Den Workshop in München, der Flüchtlingen hilft, sich selbst Fahrräder zusammenzubauen, habe ich vor Kurzem hier vorgestellt. Der Landesverband des ADFC Saarland hat mit einem ähnlichen Programm im vergangenen Herbst begonnen. Die Idee war, hundert Fahrräder an Flüchtlinge zu überreichen, damit sie mobiler sind und ohne viel Geld von der Flüchtlingsunterkunft am Stadtrand in die Innenstadt Saarbrückens kommen. Schnell hat sich eine Eigendynamik entwickelt. Die Flüchtlinge helfen in der Werkstatt mit und nehmen an den ADFC-Fahrradtouren teil. Besser kann Integration nicht laufen.
Allerdings hat die Preisverleihung auch deutlich gezeigt: Deutsche Städte und Kommunen haben Nachholbedarf. Einige der ausgezeichneten Projekte sind in unseren Nachbarländern längst Standard.
Wie geht man etwa mit Fahrradparkplätzen um? Das Bild kennt man aus vielen Städten: Rund um den Bahnhof tummeln sich Räder, die aufgrund fehlender Alternativen von ihren Besitzern kreuz und quer abgestellt wurden. Offenburg und Ingelheim haben in ihren Städten das Problem nun mit neuen Parkhäusern für Fahrräder gelöst.
In Offenburg wurde im Sommer 2013 ein vollautomatisches Fahrradparkhaus mit 120 Stellplätzen errichtet – als Ergänzung zu den rund Tausend vorhandenen und teilweise überdachten Stellplätzen. In dem zehn Meter hohen Gebäude werden die Räder in Boxen gestapelt. Dieses Video zeigt, wie zügig parken und abholen funktioniert. Für Pendler ist das komfortabel und diebstahlsicher. Wenn es so sichere Parkmöglichkeiten gibt, kann man auch mit hochwertigeren Rädern oder Pedelecs zum Bahnhof fahren, um dann in die Stadt zu pendeln. Die Nachfrage ist groß, für das Parkhaus gibt es bereits jetzt eine Warteliste.
Wie komfortables und schnelles Fahrradparken im großen Stil in Zukunft auch aussehen kann, macht indes Utrecht in den Niederlanden vor. Dort wird zurzeit mit 12.500 Stellplätzen und Indoor-Fahrradwegen zu den verschiedenen Parkflächen das größte Fahrradparkhaus der Welt gebaut.
Oder Kopenhagen: Die dänische Hauptstadt hat an dem zentralen Umsteigebahnhof Norreport das Problem auf andere Weise gelöst. Der komplette Platz wurde fußgängerfreundlich gestaltet. Statt eines einzelnen Parkhauses hat das Architekturbüro Gottlieb Paludan mehrere Abstellplätze für die Fahrräder über den Platz verteilt. Die Stellflächen wurden außerdem etwas abgesenkt, damit die Besucher den Platz wahrnehmen und nicht vorrangig auf die Räder blicken.
Was fehlt: Vermisst habe ich ein Projekt, das endlich den grundsätzlichen Konflikt zwischen Auto- und Radfahrern in Deutschland thematisiert und eine andere Denkweise etabliert. Die Niederlande machen das vor. Dort geht die Mehrheit der Bevölkerung davon aus, dass Radfahrer gut sind für Autofahrer. Schließlich entzerrt jeder Autofahrer, der aufs Fahrrad umsteigt, den Verkehr. In den Niederlanden ist es selbstverständlich, dass man Radwege baut, wenn man Staus beseitigen will.
Ein solcher Gedanke wird in Deutschland nie kommuniziert. Natürlich haben Auto- und Radfahrer ähnliche Ziele: Sie wollen zügig vorankommen, gerne auf einer grünen Welle und möglichst stressfrei das Ziel erreichen. Wenn sich die Zahl der Auto- und Radfahrer in den Städten stärker angleicht, wird es auch für die Autofahrer komfortabler. Man kennt das aus der Ferienzeit in der Stadt: Es fehlt ein Anteil der Autofahrer und die verbleibenden kommen schneller an Ziel. Wer will das nicht?