Dänemark und die Niederlande haben es vorgemacht. Sie haben Fahrradbotschaften gegründet und verkaufen nun ihr Know-how zur Radinfrastruktur in der ganzen Welt. International werden sie als die führenden Fahrradnationen gehandelt. Der ADFC will im kommenden Jahr nun eine deutsche Fahrradbotschaft gründen. Mit diesem Schachzug kann der ADFC-Bundesgeschäftsführer Burkhard Stork Deutschland zum Titel Fahrradland verhelfen. Noch fehlen allerdings die Mitspieler und ein Konzept.
Ganz oben auf der Liste steht bei Stork der Fahrradtourismus. Völlig zu Recht: Reiseradler sind in Deutschland auf gut ausgebauten Strecken unterwegs, und die Wege sind gut ausgeschildert. Außerdem hat der ADFC einen hohen Standard bei Bett+Bike-Angeboten etabliert. Dieses Wissen soll die zukünftige Fahrradbotschaft international weitergeben. Der Markt ist vorhanden, denn Radreisen liegen im Trend. Im vergangenen Jahr waren laut ADFC allein in Deutschland vier Millionen Bundesbürger vier und mehr Tage mit dem Rad unterwegs.
Ein weiterer Exportschlager der Botschaft soll alles rund ums Thema Elektrofahrräder werden. Auch hier ist Deutschland mit den Niederlanden Vorreiter in Europa. Zudem sollen die Hersteller von Abstellanlagen mit ihrem Wissen punkten, Forschungseinrichtungen mit wissenschaftlichen Arbeiten zur objektiven Sicherheit für Radfahrer im Straßenverkehr.
Mit der Botschaft entwickelt der ADFC eine neue Marke für Deutschland. Der Verein zeigt international, was die Branche zu bieten hat – vom Motorenhersteller bis zum Lastenradkurierdienst. Das ist wirtschaftlich für die Botschaft interessant. Zugleich kann sie damit aber auch das Selbstverständnis der Branche stärken.
Wie die Botschaft genau aufgebaut sein soll, ist noch unklar. Die Ankündigung des ADFC, eine Fahrradbotschaft zu gründen, war auf der Konferenz Velo-City in Nantes im Juni eine Überraschung. Für Außenstehende wirkt das Vorhaben überstürzt. Der ADFC nannte seine Themen, doch weder zählte er die nächsten konkreten Schritte auf, noch präsentierte er Partner.
„Das Thema ist spannend“, sagt Arne Sudhoff, Sprecher von Derby Cycle aus Cloppenburg, einem der größten Fahrradhersteller in Europa. Sudhoff hat über eine Pressemitteilung von der geplanten Botschaft erfahren. „Die Grundidee, das Wissen zu bündeln und ein Image zu schaffen, ist großartig.“ Angefragt hat bei ihm noch niemand, jetzt wartet er wie andere auf eine Auftaktveranstaltung oder eine Einladung zum Brainstorming vom ADFC.
Tilmann Bracher ist eher skeptisch. Bracher ist Bereichsleiter im Ressort Mobilität und Infrastruktur am Deutschen Institut für Urbanistik (difu). Er hat unter anderem die Fahrradakademie gegründet, die Fortbildungsveranstaltungen zur urbanen Mobilität mit Radverkehr anbietet. Bracher vermisst die Diskussion im Vorfeld sowie eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Fahrradbotschaft in einer Expertenrunde. Beides sei wichtig, damit die Botschaft eine gemeinsame Basis erhalte. Außerdem fehlt ihm eine klare Zielsetzung und ein gesundes finanzielles Fundament für die zukünftige Fahrradbotschaft.
Die Kritik ist berechtigt. Zurzeit scheint es, dass der ADFC die Botschaft unter seiner Marke gründen will. In den Niederlanden oder in Dänemark ist das anders: Die einzelnen Mitglieder sind Experten der Branche, die ihr Fachwissen unter dem Namen Fahrradbotschaft anbieten. Aber es tritt kein Verein, Unternehmen oder Institution offiziell als Gründer auf. Damit ist die Hemmschwelle für potenzielle Mitglieder niedrig.
Für Verbände wie den Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) und den Verbund Service Fahrrad (VSF) ist das unproblematisch, sie haben dem ADFC ihre Mitarbeit bereits angeboten. Zwar ist die Arbeit der Botschaft international ausgerichtet, doch der Geschäftsführer des ZIV, Siegfried Neuberger, und VSF-Vorstand Albert Herresthal erwarten durchaus eine positive Wirkung der Botschaft innerhalb Deutschlands.
Denkbar ist, dass das Image „Fahrradland“ den Druck auf kleinere Gemeinden erhöht, ihre Radinfrastruktur zu verbessern. Außerdem könnte das Ansehen der Fahrradindustrie auf bundespolitischer Ebene steigen, wenn sich Deutschland als Fahrradland international etabliert.
Deutschland hat Fahrrad-Know-how, das international gefragt ist und vermarktet werden kann. Vor diesem Hintergrund ist die Idee, eine Fahrradbotschaft zu gründen, überfällig. Nur wirkt die Ankündigung, im kommenden Jahr eine Botschaft zu gründen, übereilt. Einige Unternehmen gehen davon aus, dass bereits Gespräche geführt wurden und fühlen sich übergangen. Ein eleganter Start sieht anders aus.