Ein überdachter Radweg für Berlin, mitten durchs Stadtzentrum? Viele Verkehrsplaner winken sofort ab, wenn sie das hören. Anders die Jury des Bundespreises Ecodesign. Sie hat das Projekt „Radbahn Berlin“ mit 33 weiteren innovativen und ökologischen Projekten nominiert. Montag werden die Gewinner bekannt gegeben.
Manchmal muss man die Perspektive wechseln, um das brach liegende Potenzial einer Stadt zu entdecken. In aktuellen Fall ist es laut dem Team von „Radbahn Berlin“ ein verwaister Fußweg unter einer Hochbahn. Etwa neun Kilometer misst die Strecke, die unter dem 129 Jahre alten Hochbahn-Viadukt der U1 von Charlottenburg, über Schöneberg und Kreuzberg nach Friedrichshain führt. Ihr Entwurf der Planer, den sie für den Ecodesign-Wettbewerb eingereicht haben, sieht kurz gefasst folgendes vor: Der Fußweg soll in einen überdachten Radweg umgewandelt werden. Die Strecke soll regen- und schneefrei sein sowie verkehrssicher.
Die Idee ist zeitgemäß und hat Charme. Die Wege sind vorhanden, werden aber kaum genutzt. Nur an einem Teilstück parken laut Simon Wöhr, Pressesprecher des Projekts, etwa 60 Autos. Theoretisch kann man bereits heute auf den Teilstücken Radfahren. Die Mitglieder von „Radbahn Berlin“ haben es mit Freunden ausprobiert, wie man in dem oben stehenden Video sieht. Zurzeit praktiziert das allerdings niemand, weil die Teilabschnitte durch Kreuzungen unterbrochen werden.
Für die Übergänge an Knotenpunkten liefert das Team einige Lösungsvorschläge. Unter den acht Mitgliedern sind vier Architekten und ein Stadtplaner. Sie haben für den ersten Entwurf Rampen und Brücken entwickelt sowie am Hochbahn- Viadukt angehängte Radwege.
Die Vorschläge zeigen, dass moderne nachhaltige Radinfrastruktur anderen Ansprüchen genügen muss als die Radinfrastruktur, die vor zehn Jahren gebaut wurde. Seitdem haben sich die Radfahrer und ihre Ansprüche sehr verändert.
Radfahrer sind schneller unterwegs – ein Grund dafür ist die Motorisierung der Räder. Außerdem entwickelt sich der Trend mehr und mehr hin zum Ganzjahresfahrer. Sie wollen Radfahren, das ganze Jahr über und immer häufiger auch bei jedem Wetter.
In Kopenhagen werden die Radwege bei Schneefall vor den Fahrbahnen für den Autoverkehr geräumt. Der Weg unter der Hochbahn U1 in Berlin ist laut dem „Radbahn Berlin“ -Team bereits heute zum Teil vor Witterungseinflüssen wie Sonne, Regen und Schnee geschützt. Das ist sehr komfortabel. Außerdem fühlen sich manche Radfahrer auf separaten Radwegen sicherer.
Das Planungsteam will aber mehr als nur einen überdachten Radweg bauen. Sie denken weiter. Sie begreifen das Radfahren als Teil einer nachhaltigen Mobilitäts-Kette, die in einen bestimmten urbanen Lebensstil eingebettet ist. In diesem Entwurf sind verschiedene Verkehrsmittel schnell und unkompliziert kombinierbar. Deshalb sind an der Trasse langfristig Bike- und Carsharing-Standorte eingeplant. Außerdem soll es auf der neun Kilometer langen Strecke Stationen geben, an denen Radfahrer ihre Räder aufpumpen oder gegebenenfalls auch warten können.
Auch den wissenschaftlichen Aspekt haben sie im Blick. So könnte der Radweg laut „Radbahn Berlin“ eine Teststrecke für unterschiedliche Straßenbeläge werden. Der Bedarf ist durchaus vorhanden, das zeigt ein Blick in die Niederlande. Dort wird nicht nur ein Solarradweg getestet, sondern auch ein illuminierter Radweg.
Das Konzept von „Radbahn Berlin“ passt in die aktuelle urbane Entwicklung von Städten. Seit Jahren erobern sich die Stadtbewohner kleine Teile des Straßenraum zurück und schaffen sich grüne Oasen. Ein Beispiel sind die Prinzessinengärten in Berlin. 2009 haben Anwohner die Brachfläche in Berlin Kreuzberg in einen Nutzgarten für urbane Landwirtschaft umgewandelt. Mittlerweile werden dort über 500 verschiedene Gemüse- und Kräutersorten angebaut. Nachahmer gibt es viele. So gibt es beispielsweise im Görlitzer Park in Berlin seit 2011 eine Obstwiese. „Radbahn Berlin“ folgt im Grunde demselben Prinzip. Sie erobern sich den Straßenraum zurück, dieses Mal nur im Bereich Infrastruktur.
Die ersten Gespräche mit den Verkehrsplanern aus den Bezirken haben die Mitglieder des Teams bereits vereinbart. Was sie jetzt brauchen, ist ein einflussreicher Politiker, der ihr Projekt unterstützt. Wenn dann noch Geld investiert wird, ist „Radbahn Berlin“ ein Verkehrsprojekt mit dem Berlin international punkten kann.