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Ein Fotoband, der zum Surfen einlädt

 

© Gestalten Verlag
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Radfahren unter Palmen, nachts in der Großstadt, weil es praktisch ist oder weil es zum Lebensstil gehört: Mit den Fotos auf den ersten vier Seiten zeigt der neue Bildband Velo 2nd Gear Bicycle Culture sofort sehr deutlich, was Radfahren heute ausmachen kann oder ausmachen soll. Es ist ein Buch für Fahrradenthusiasten, die sich fürs Details, für Design und Subkultur interessieren. Eine der Stärken des Fotobands ist, dass es das Velo nicht nur isoliert aufs Podest stellt. Es gibt zwar viele professionelle Produktfotos, aber mindestens ebenso häufig wird das Fahrrad dort in Szene gesetzt, wo es hingehört: auf der Straße. Dort zeigt es die Menschen nicht beim Posieren, sondern unterwegs. Etwa bei der Retroronde, der legendären Tour durch Flandern. Während der Tour sind schöne Bilder von Teilnehmern entstanden, die sich quälen, die ihre Räder schieben und durch weitläufige grüne Felder radeln. Die Fotos stammen häufig von Veranstaltern und Teilnehmern und vermitteln eine Idee von der Stimmung während der Ausfahrt.

Das Fahrrad ist mehr als ein reines Fortbewegungsmittel. In dem Buch erhält der Betrachter einen umfangreichen Einblick in die Subkultur, die rund ums Velo entsteht. Sie zeigt sich in der Kunst wie dem kunstvoll gestalteten Leporello von Ugo Gattoni (dazu gibt es hier ein tolles Video). Oder in Aktionen auf der Straße, wie das Projekt Velonotte. Diese nächtliche Stadtführung per Fahrrad hat ein junger Moskauer Architekturprofessor erdacht. Mittlerweile radeln Kulturhistoriker, Architekten, Schriftsteller oder Künstler nachts durch Metropolen und erklären ihren Mitradlern die Stadt. Die Szene ist klein, hat aber bereits Kultstatus.

© Gestalten Verlag
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Ob Fotobände erklärende Texte brauchen oder nicht, ist Geschmackssache. Mir gefallen die Ergänzungen, die in dem Velobuch verhältnismäßig lang sind. Fehlen sie, steht in unmittelbarer Nähe die Bildunterzeile. Das ist enorm hilfreich, denn zu fast jedem Foto oder Ereignis findet man ausführliche weiterführende Informationen im Netz.

Ein Beispiel dafür sind die Fireflies, was übersetzt Glühwürmchen heißt. Auf zwei Seiten sind abgekämpfte Rennradfahrer abgebildet. Ein kurzer Absatz erklärt recht spartanisch, „For those who suffer, we ride“ sei das Motto der Fireflies. Die Amateurfahrer aus England überqueren jedes Jahr innerhalb von acht Tagen die Alpen, vom Genfer See bis nach Cannes. Sie sammeln Geld für die Wohltätigkeitsorganisation Leuka, die das Hammersmith Hospital in London unterstützt. Wer die Webseite anklickt, findet unter anderem sehr lohnenswerte Filme zu vergangenen Fahrten, in denen die Teilnehmer ihre Motivation schildern und der große Zusammenhalt unter den Fahrern deutlich wird.

Bei all dem kommt das Rad mit seiner Technik vom Stahlrahmen bis zum Carbonbike nicht zu kurz. Interessant ist auf alle Fälle das E-Bike-Kapitel. Es zeigt die Bandbreite des Möglichen, die man nicht in jedem Fahrradgeschäft sieht. Die Elektrifizierung hat sich in den vergangenen Jahren auf jede Fahrradart ausgedehnt. Die Auswahl zeigt, wo es technisch hingehen kann und was heute bereits möglich ist. Klug gewählt ist in diesem Kapitel die Bilderfolge. Sie zeigt schön, in welche Richtung das E-Bike vielleicht als nächstes seine Fühler streckt: gen Motorrad.

„Velo – 2nd Gear: Bicycle Culture and Style“ von R. Klanten und S. Ehmann, Gestalten Verlag, 38 Euro