Der Radweg hat etwas Erhabenes. Auf dem eben asphaltierten Streifen rollt man leicht bergab, geradewegs auf den Arc de Triomf zu, die kleine Schwester des Triumphbogens in Paris. Mit Rückenwind fährt es sich fast von allein.
Wir radeln die Passeig de Sant Joan hinunter. Eine der Hauptstraßen in Barcelona, die, würde man sie lassen, schnurstracks ins Mittelmeer führte. Eine schöne Route, die unser Stadtführer für uns gewählt hat. Mit einer Einschränkung: Wir müssen fast an jeder Fahrradampel stoppen. Jetzt ist es bereits die dritte – und das nach wenigen hundert Metern. Wenn wir nicht ständig anhalten wollen, müssen wir unsere Durchschnittsgeschwindigkeit eindeutig steigern.
Aber das verschieben wir auf morgen, wenn wir allein durch Barcelona radeln. Heute machen wir eine Stadtführung per Fahrrad. Die werden in Kataloniens Hauptstadt immer beliebter. Allerdings sind sie sehr vom Wetter abhängig – und das ist an diesem ersten Märztag erstaunlich mies. Es stürmt, außerdem ist Regen angekündigt. Deshalb sitzt unser Stadtführer Marc in schwarzer Regenhose und -jacke auf seinem roten Fahrrad. Der Katalane arbeitet für Bike Tours Barcelona, eine von etwa 20 Fahrradvermietungen, die Räder für Touristen anbieten.
Wer hier wohnt, braucht das nicht. Der kann viel günstiger eines der etwa 5.500 Bicing-Stadträder benutzen.
Barcelona macht es seinen Bewohnern leicht, aufs Rad zu steigen. Im Stadtzentrum soll sich alle 300 bis 400 Meter eine Bicing-Verleihstation befinden. Das glaube ich sofort. Wir haben unsere Wohnung im Viertel El Poble Sec kaum verlassen, als wir schon auf die erste Bicing-Station stoßen. Die Standortanzeige verweist auf fünf weitere in der Nähe. Das Netz aus 420 Stationen ist unglaublich dicht. Zum Vergleich: Hamburg hat mit 1,8 Millionen Menschen ähnlich viele Einwohner wie Barcelona (1,6 Millionen), aber nur 1.650 Räder an 123 Stationen.
„Radfahren wird seit fünf Jahren immer beliebter“, sagt Marc. Früher seien nur wenige Stadtbewohner per Velo unterwegs gewesen. Aber seit die Radrouten kontinuierlich ausgebaut werden, radeln immer mehr Einheimische durch die Stadt. Am 1. März waren es, trotz des Wetters, an einer zentralen Touristenroute um die Mittagszeit rund 370. Normalerweise sind es an einem durchschnittlichen Tag um die 3.000, insgesamt im Jahr etwa 175.000.
Dank Marc erfahren wir einiges über die Gepflogenheiten in der Stadt. Auf dem Fahrrad zu telefonieren oder während des Pedelierens Musik per Kopfhörer zu hören, wird teuer. Ihn hat das schon einmal 200 Euro gekostet. Dagegen sind die Polizisten sehr entspannt, wenn Radfahrer Bürgersteige benutzen. Eigentlich soll man, wie Marc sagt, drei Meter Abstand zu Fußgängern einhalten, aber das ist kaum möglich.
Ich bilde das Schlusslicht unserer Vierergruppe. Die etwa einen Meter breite Radspur wirkt zwar relativ schmal, aber die Lage in der Mitte der Fahrbahn und der Grünstreifen als Trennlinie zum Autoverkehr lassen den Radfahrer dennoch sehr sicher fühlen. Die Radspur endet allerdings teilweise unvermittelt. Dann radelt man von der Fahrradspur in der Fahrbahnmitte mit den Fußgängern zur nächsten Ampel und teilt sich fahrend oder schiebend den Bürgersteig bis zur nächsten Radspur.
Während ich langsam über den Bürgersteig den anderen hinterher rolle, warte ich geradezu darauf, von den Fußgängern angemault zu werden. Verstehen könnte ich es. Was habe ich mit einem Fahrrad auf diesem schmalen Fußweg zu suchen – außer dass ich meine Gruppe nicht verlieren will. Als mir zwei Polizisten entgegen kommen, will ich instinktiv aus dem Sattel springen. Völlig unnötig. Die beiden lächeln sogar.
Überhaupt sind die Katalanen sehr entspannt, wenn man an ihnen vorbeifährt, um zum nächsten Radweg zu gelangen. Dieses Einvernehmen, dass einer auf den anderen achtet, würde vielen deutschen Großstädtern gut zu Gesicht stehen. Allerdings frage ich mich, wie das in Barcelona im Sommer aussieht, wenn mehr Menschen mit Rädern unterwegs sind.
Drei Stunden fahren wir per Rad durch die Altstadt, machen eine Stippvisite zum Strand, fahren von dort zur berühmten Kirche Sagrada Família und machen einige Abstecher durch diverse Parks. Anschließend bin ich beeindruckt, wie diese dicht besiedelte Stadt daran arbeitet, ihren Radfahrern Platz im Stadtzentrum zu schaffen. Der insgesamt sehr positive Eindruck relativiert sich allerdings etwas am nächsten Tag – als wir allein auf zwei E-Bikes die Stadt erkunden.
Andrea Reidl wird in drei Teilen über Fahrradläden und Radfahren in Barcelona berichten.