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Radromane: Unterwegs mit Radkurier und Giro-Tourer

 

Tim Moore in Italien © Covadonga Verlag
Tim Moore in Italien © Covadonga Verlag

Sturm und Dauerregen haben auch einen Vorteil: Man kann das Wochenende mit Fahrradromanen auf dem Sofa verbringen. Zwei Bücher haben mir in den vergangenen Wochen besonders gut gefallen.

Pedalpilot Doppel-Zwo ist von Wolf Schmid und das Debüt des Liesmich-Verlags, der 2014 in Leipzig gegründet wurde. Schmids Protagonist Johannes ist Fahrradkurier in Hamburg und kommt mit seinem Verdienst gerade so über die Runden. Mit seinem Vater Walter, einem Paketfahrer aus dem Badischen, verbindet ihn wenig. Als Walter überraschend in Vorruhestand geht, gibt es keine Ausrede mehr: Er muss Johannes besuchen. Als dieser sich just in der Zeit das Schlüsselbein bricht, soll Walter für ihn als Fahrradkurier einspringen. Das macht der Senior weder freiwillig noch sonderlich gut. Sein Pech ist eher, dass er niemandem etwas abschlagen kann.

Zwangsläufig kommen sich Vater und Sohn in Johannes’ enger Hochhauswohnung näher. Das ist nicht konfliktfrei und läuft auch nicht auf das klassische Happy End hinaus. Aber genau das macht den Charme von Wolf Schmids Buch aus. Er zeichnet die Personen recht realistisch, sehr normal mit ihren individuellen Schrullen und Träumen. Man muss die Protagonisten nicht unbedingt mögen, aber sie interessieren den Leser, weil sie alltägliche Probleme haben.

Ebenso unspektakulär wird die Kurierszene geschildert: ein bunter Trupp aus Leuten mit Träumen, die sich im Transit befinden oder drin stecken geblieben sind. Diese Szene ist ein eigener Kosmos, mit bestimmten Regeln und Verhaltensweisen, wie sie jede Branche herausbildet, mit ihren Urgesteinen und ihren Verlierern, die auch mal über die Stränge schlagen. Dazu gehören auch das Abtreten von Rückspiegeln und eine Schlägerei in der Funkzentrale.

Pedalpilot Doppel-Zwo ist ein schöner Debütroman, der eine Fortsetzung verlangt. Ich möchte wissen, wie es mit Walter weitergeht, der in seine Heimat zurückgekehrt ist, und was aus Johannes wird. Also Herr Schmid: Bitte zurück an den Schreibtisch.

Gironimo! von Tim Moore steht seit Monaten in meinem Bücherregal. Ich hatte bereits öfter rein gelesen, um den Band nach ein paar Seiten immer wieder wegzulegen. Man muss schon etwas Muße und Gleichmut haben, um Moore anfangs auf seiner Suche nach dem idealen Rad für seine persönliche Tour durch Italien zu begleiten. Der Engländer will, wie er sagt, „die härteste Italien-Rundfahrt aller Zeiten nachfahren“, den Giro d’Italia von 1914. Nur acht von 81 Startern kamen damals überhaupt ins Ziel, nachdem sie Sabotageakte überstanden und sich durch Schneegestöber gekämpft hatten. Um die acht Etappen mit insgesamt 3.162 Kilometer überhaupt zu schaffen, fuhren die Fahrer oft bei Dunkelheit in den frühen Morgenstunden los.

Die Fahrer mussten damals selbst für ihre Räder und die Unterkünfte sorgen. Moore beschreibt eindrucksvoll, wie die Wirtin den Radfahrern beim Start hinterherlief, weil diese ihr noch Geld schuldeten und ihr außerdem ihren Vorrat an Würsten geklaut hatten. Moore kann wunderbar erzählen, und er lässt den historischen Kontext sehr geschickt in seine eigene Rundfahrt einfließen.

Dabei ist das, was er erlebt, bizarr genug. Schon beim Kauf des Fahrrads scheitert er: Das ersehnte Rennrad entpuppt sich nach gründlicher Reinigung als alte Mühle, mit der Anfang des 20. Jahrhunderts Zollbeamte durch die Gegend zuckelten. Der zweite Kauf – eine vermeintliche Rennmaschine von 1914 – stellt sich nach einem Blick in den Katalog als Einsteigermodell heraus, aber immerhin.

Moore steckt mehr Energie in das Rad als in seine Trainingseinheiten. Er bestellt Holzfelgen in Italien und schnitzt sich Bremsklötze aus Weinkorken selbst zurecht, die erwartungsgemäß schlecht wirken. Wie sein Rad trimmt sich der Engländer selbst auch auf alt. Er trägt Leder an den Füßen und auf dem Kopf und dazwischen warmen Wollzwirn, den er täglich wäscht. So kämpft er sich fast 21 Tage von Mailand über Cuneo im Nordwesten nach Rom und weiter bis Bari und zurück nach Mailand.

Die Rundfahrt ist eine Mischung aus großem Abenteuer und absolutem Wahnsinn. Oft hat Moore einfach Glück, dass er sich während der waghalsigen Abfahrten oder bei Materialbruch nicht schwer verletzt. Der Leser schwankt zwischen Lachen und Kopfschütteln; die Italiener, die Moore unterwegs trifft, verneigen sich oftmals voller Ehrfurcht vor ihm. Und der Autor kann über sich selbst lachen, anders kann man so eine Tour auch nicht bewältigen.

Aber seine Reise beweist auch: Das Leben schreibt immer noch die besten Geschichten. So landet Moore auf der Suche nach einem Wasserschlauch ausgerechnet in der Werkstatt von Alberto Masi. Dessen Vater Faliero Masi war einst Rennradprofi und baute später für berühmte Fahrer wie Eddy Merckx oder Jacques Anquetil, die am Giro d’Italia teilgenommen haben, Rennräder – also für die Fahrer, die Moore verehrt. Das ist fast zu kitschig, um wahr zu sein, aber es passt zu Moores aberwitziger Tour.

Tim Moore: Gironimo! Ein Mann, ein Rad und die härteste Italien-Rundfahrt aller Zeiten, Covadonga Verlag, Broschur, 376 Seiten, 14,80 Euro.

Wolf Schmid: Pedalpilot Doppel-Zwo, Liesmich Verlag, Broschur, 288 Seiten, 14,95 Euro.