Nach drei Messetagen zeigen sich auf der Eurobike allmählich die ersten Ermüdungserscheinungen. Die Mitarbeiter an den Ständen werden heiser, Kollegen sprechen gegen Abend nicht mehr miteinander, sondern nicken einander nur noch zu. Die Wangen sind rot, die Blicke leicht glasig, der Notizblock ist zwar voller, aber die To-do-Liste leert sich kaum.
In just diesem Moment erwischte mich dann gestern Abend die Frage: „Was sind Ihre Eindrücke, was gibt es interessantes Neues auf der Messe?“ O weia, wo anfangen? Doch dann fallen mir die Riemenantriebe ein. Es ist auffällig: Fast jeder größere Hersteller hat mittlerweile Räder mit Gates-Riemen im Programm. Weiter„Und, was gibt’s Neues auf der Eurobike?“
Lange hat die Branche darauf gewartet, dass ein Verkehrsminister die Weltleitmesse Eurobike eröffnet. Jetzt übernimmt das sogar die Bundeskanzlerin. Heute um 14 Uhr eröffnet Angela Merkel offiziell die Eurobike. Ob das kalkulierter Wahlkampf ist oder ein Besuch mit Signalwirkung, muss sich noch zeigen. Klar ist, der Branche geht es gut – trotz kaltem Frühjahr und negativen Schlagzeilen. Einen entscheidenden Beitrag zu dem Erfolg leisten weiterhin die Elektroräder, die immer wieder neu interpretiert werden.
In der Entwicklung der Elektrofahrräder ist viel Bewegung. Jetzt hat mit Riese und Müller der erste Premiumhersteller erklärt: Ab kommendem Jahr bauen wir nur noch E-Bikes und Falträder.
Das Unternehmen aus Weiterstadt ist mit dem Birdy-Faltrad groß geworden. Nach und nach hat es vollgefederte City-, Touren- und Cargobikes in seine Palette aufgenommen und ab 2008 die Modelle auch mit Motor ausgestattet.
Auch ein E-Birdy gab es mal. Das war jedoch ein Flop – im Gegensatz zu den anderen Elektromodellen. „Bei den Falträdern müssen wir über E-Mobilität noch mal neu nachdenken“, gibt Tobias Spindler, der Pressesprecher von Riese und Müller, zu. Denn die Vorteile eines Faltrads, leicht und schnell zu sein, werden durch Akku und Motor aufgehoben. Ansonsten sieht das Unternehmen bei den Elektrorädern zukünftig den größten Entwicklungsspielraum.
Die steigenden Verkaufszahlen geben dem Hersteller recht. Während es jedes Jahr gerade mal ein paar Tausend Elektroautos auf den Markt schaffen, knackten die E-Bikes und Pedelecs längst gemeinsam die Millionenmarke. Und ein Ende der Entwicklung ist nicht absehbar. Im Gegenteil. Auf einem kurzen Messerundgang und beim Demoday zeigte sich deutlich: Mit ihren neuen vielseitigen und raffinierten Rädern spricht die Branche nun auch eindeutig jüngere Fahrer an. Das Image des Elektrofahrrads als Rentner-Velo ist längst passé.
Den Designern und Produktentwicklern eröffnet sich mit der Motorisierung ein interessantes Spielfeld. Im Gegensatz zu den Autoherstellern, die bei ihren Elektrofahrzeugen abspecken müssen, motzen die Fahrradhersteller ihre puristischen Fahrzeuge auf. Heraus kommen dabei extravagante Mountainbikes wie das Xduro Nduro von Haibike oder Räder mit einer aufgeräumten Optik wie der Bluelabel Charger von Riese und Müller, den es kommendes Jahr als Straßenversion oder als Mountainbike geben wird.
Aber auch hier gilt: Über Geschmack lässt sich wunderbar streiten. Ein Rennrad, das als schnelles Pedelec mit Motor, Rückspiegel und Nummernschild auf dem Messegelände steht, provoziert förmlich die Diskussion über seine Existenz. Schließlich will der überzeugte Rennradfahrer schwitzen, kämpfen, Leistung bringen, und das mit dem eigenen Antrieb statt mit Kraft aus der Konserve. Aber genau die Streitgespräche über Sinn und Unsinn von Ideen und Konzepten treiben das Thema E-Mobilität voran.
Ein Nackenschlag für die Branche war der schlechte E-Bike-Test der Stiftung Warentest im Juni. 50 Millionen Euro Verlust soll er laut ZIV verursacht haben. Die Zahlen setzen sich zusammen aus Sonderaktionen der Händler und nicht verkauften Rädern. Das entspricht in etwa 20.000 E-Bikes, die infolge des Tests weniger verkauft wurden.
Die Testergebnisse wurden von der Branche infrage gestellt, hinterfragt, nachgeprüft und mit der Stiftung Warentest (Stiwa) diskutiert. Noch gibt es nicht für alle zufriedenstellende Resultate. Aber wie am Dienstag das Onlinenachrichtenmagazin Velobiz meldete, hat die Stiwa sich nun in einem Punkt offiziell korrigiert. Sie hatte in ihrem Test die elektromagnetische Strahlung einiger Modelle bemängelt. Das Kalkhoff-Modell Impulse Premium i8R und das Pegasus-Modell Premio E8 sollte den Funk von Rettungsdiensten stören. In einer überarbeiteten Onlineversion heißt es nun laut Velobiz: „Die Fahrräder (…) überschreiten zwar die gesetzlichen Grenzwerte für funkstörende Beeinflussungen, eine Störung der Funkdienste von Polizei, Feuerwehr und Krankenwagen erscheint allerdings unwahrscheinlich, wie sich im Nachhinein herausgestellt hat.“
Über die Reaktion der Firma Flyer, deren Produkte wegen angeblichen Rahmenbruchs kritisiert wurden, berichte ich in den kommenden Tagen.
„An der Schule, an der meine 10-jährige Nichte lernt, ist explizit verboten, dass die Kinder mit dem Fahrrad kommen: zu riskant“, hatte kürzlich ein Leser in einem Kommentar geschrieben. Diese und ähnliche Begründungen kennen viele Eltern. Tatsächlich raten Grundschulleiter Eltern immer wieder davon ab, ihr Kind mit dem Rad zur Schule zu schicken. Einige sprechen gar Verbote aus.