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Eurobike: Es ist angerichtet

© Reidl
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Fahrräder, Motoren, Radklamotten, Vorträge – und Stau. Die Eurobike hat sich warmgelaufen und ihren vertrauten Trott gefunden. Morgens schieben sich die Besucher in schier endlosen Autoschlangen zum Messegelände in Friedrichshafen, um sich dann schnell auf die Hallen zu verteilen oder aufs Freigelände zu strömen.

Hier kann man alles probefahren, was die Entwickler in den vergangenen Monaten ausgetüftelt haben. Es immer wieder aufschlussreich, verwandte Produkte im direkten Vergleich zu fahren. Besonders bei den Motoren spürt man eklatante Unterschiede.

Testparcour der Eurobike für Elektrofahrräder © Reidl
Testparcours der Eurobike für Elektrofahrräder © Reidl

Ein leises Surren ist bei den meisten Mittelmotoren Usus. Einige vibrieren zudem leicht oder regeln bei 25 km/h abrupt ab. Anders verhält sich der neue Mittelmotor des Automobilzulieferers Brose. Er ist zunächst einmal nahezu lautlos und vibriert nicht. Vor allem aber unterstützt der Motor kraftvoll und sehr gleichmäßig, das übliche Ruckeln durch das ständige Unterstützen und Abregeln bei 25 km/h entfällt komplett. Das Brose-System vermittelt eine Idee davon, wie unterschiedlich Fahren mit Motorunterstützung ausfallen kann.

Der neue Motor von Brose © Reidl
Der neue Motor von Brose © Reidl

Die Entwickler von Pedelecs und herkömmlichen Fahrrädern suchen auch intensiv nach Alternativen, um die Räder sicher abzuschließen. Das Start-up You Mo zum Beispiel sichert seine Cruiser wie Motorräder, nämlich per Lenkerschloss. Die Firma Klever kombiniert ein integriertes Rahmenschlosses am Vorderrad mit einer elektronischen Sicherung. Das Display des Elektrofahrrads kann man abnehmen. Steckt man es in die Tasche, blockiert automatisch das Hinterrad, wenn jemand das Rad wegschieben will. Die Kombination aus Rahmenschloss und Display ist allerdings nur gedacht für den kurzen Stopp beim Bäcker.

Diebstahlschutz mechanisch und elektronisch bei dem Klever-Rad © Reidl
Diebstahlschutz mechanisch und elektronisch bei dem Klever-Rad © Reidl

Die Fahrradortung per GPS hat spätestens im Juli einige Hersteller aufhorchen lassen. Damals ging die Meldung durch die Medien, dass der Besitzer eines Stromer ST2 sein gestohlenes Bike genau auf diesem Weg wieder gefunden hatte. Es war ihm in der Nacht gestohlen worden. Da er die ST2-App noch nicht auf seinem Smartphone aktiviert hatte, suchte sein Händler über die App das Rad. Bereits am nächsten Morgen orteten die beiden es in einem Industriegebiet und informierten die Polizei. Die Beamten fanden das Rad in einem Container neben weiteren gestohlenen Rädern. Stromer zeigt das Elektrorad mit der GPS-Technik auch auf der Eurobike.

Das Urbanbike "Commuter" von Canyon © Reidl
Das Urbanbike Commuter von Canyon © Reidl

Aber auch Entwickler von rein muskelbetriebenen Rädern treibt das Thema Diebstahlschutz um. Canyon hat bei seinem neuen Urbanbike Commuter die Schrauben für die Sattelstütze und das Laufrad mit einem besonderen Mechanismus gesichert. Die Schrauben können nur gelöst werden, wenn das Rad auf dem Kopf steht. So soll verhindert werden, dass Diebe sie abmontieren.

In dem Getümmel von Rädern, Griffen, Kleidung und Körben stolpert man immer wieder über kleine Besonderheiten. Sehr praktisch fand ich diesen Träger fürs Laufrad, der am Kinderfahrradanhänger befestigt wird. Jürgen Arnold von Kid’s Touring hat ihn erfunden, patentiert und verkauft ihn nun.

 Halterung fürs Laufrad © Reidl
Halterung fürs Laufrad © Reidl

Ebenso sinnvoll ist das Reha-Trike Scorpion plus 20 von HP Velotechnik. Für das Modell haben seine Entwickler einen Eurobike-Award erhalten. Der Rahmen des Scorpion ist deutlich höher und breiter als bei den übrigen Modellen. Auf Wunsch können die Kunden für das Fahrzeug ergonomisch konstruierte Fußhalter, Handablagen oder eine einhändig bedienbare Gehhilfen-Arretierung bestellen. Der Knüller ist allerdings der Rückwärtsgang. Per Knopfdruck kann man das Fahrzeug mit geringer Geschwindigkeit rückwärts rollen lassen. Das erleichtert Menschen mit Einschränkungen das Wenden ungemein.

Scorpion mit Halterung für Gehhilfe © Kay Tkatzik / pdf
Scorpion mit Halterung für Gehhilfe © Kay Tkatzik / pdf

Auf der Teststrecke fielen die Trikes von HP Velotechnik in diesen Tagen immer wieder auf. Zum einen, weil sie schnell und wendig unterwegs waren, zum anderen haben ihre Fahrer gehupt. Damit machten sie sich den Weg frei. Ob sie einfach eine Hupe in der Tasche hatten oder die Hupe serienmäßig am Cockpit befestigt ist, erfahre ich heute.

Am morgigen Sonnabend steht die Eurobike dem breiten Publikum offen. Die Messe öffnet um 9.00 Uhr, die Hallen schließen um 18.00 Uhr. Die Tageskarte kostet 14 Euro (im Vorverkauf 12 Euro); Kinder (6 bis 14 Jahre), Schüler, Studenten, Rentner und Behinderte zahlen 10 Euro.

 

Mit dem Flitzbike durch den Winter

© Reidl
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Meine erste Begegnung mit dem Pedelec-Bike P18 von Flitzbike verlief etwas bissig. Der Lenker des schnellen Pedelecs irritierte mich auf den ersten Metern, er ist extrem breit. Aber bevor ich über den Sinn und Zweck nachdenken konnte, rupfte etwas kräftig an meinem Bein. Meine Jeans hing fest, zwischen Riemen und Zahnkranz. Nach einer halben Umdrehung gab der Riemen die Hose wieder frei – allerdings mit feinen Bissspuren. Ein paar Ausfahrten später schnappte er noch einmal zu. Von da an krempelte ich mein Hosenbein immer hoch. Von nun an haben wir uns gut verstanden, das P18 und ich. Jedenfalls meistens. Weiter„Mit dem Flitzbike durch den Winter“

 

Wunderbare Kurzfilme zeigen den Mikrokosmos zweier Langstreckenfahrer

MELONS, TRUCKS & ANGRY DOGS – Epis. II from e r t z u i ° film on Vimeo.

„Es war eine wilde und inspirierende und auf viele Weise unerwartete Reise“: So beschreibt das Filmteam von ertzui die Dreharbeiten auf seiner Website. Wie treffend diese Beschreibung ist, zeigen die vier Teile der außergewöhnlichen und phantastischen Dokumentation Melons, trucks and angry dogs.

Das ertzui-Team begleitete Recep Yeşil und Erik Nohlin, zwei Radentwickler von Specialized, als sie mit ihrer neuesten Reiserad-Kreation Awol von London nach Istanbul pedalierten. Nicht einfach so, sondern als Teilnehmer des ersten Transcontinental-Rennens. Ich habe bereits im Blog ausführlich darüber berichtet. Jetzt sind die vier Kurzfilme fertig und online. Es sind sehr künstlerische Fahrradfilme mit einer eindrucksvollen Bildersprache.

Ohne Frage ist es ein Irrwitz, diese Strecke in 14 Tagen zurückzulegen. Um die 200 Kilometer jagten Yeşil und Nohlin täglich über Land- oder Bundesstraßen. Zeit zum Verweilen hatten sie nicht. Sie passierten während der Tour 14 europäische Grenzen, schnappten Bruchstücke von Landschaften, Lebensart und Fragmente der jüngsten europäischen Geschichte auf. Die Filme geben diese Eindrücke spotartig wieder.

Ferner dokumentieren sie die Gegensätze der Protagonisten Yeşil und Nohlin. Auch wenn sie in einem Team fahren: Man könnte ihr Rennen als Wille versus Fitness bezeichnen. Aber der untrainierte Yeşil und Nohlin, dessen Beine sein Rad wie eine nimmermüde Maschine antrieben, wollten die Stadt am Bosporus gemeinsam erreichen. Bis sie dort einfuhren, überschritten beide persönliche Grenzen und erlebten Situationen, die sie vorher wahrscheinlich nie für möglich gehalten hätten.

Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist ihr Treffen auf dem Stilfser Joch (italienisch Passo di Stelvio), dem höchsten Gebirgspass Italiens. Nohlin war fast die ganze Nacht geradelt, ohne Essen. Supermärkte und Restaurants waren noch geschlossen, als er sich morgens an den Anstieg machte. Alles, was er hatte, waren drei Schokoriegel, ein Lolli und eine kleine Tüte Chips. Selbst bei gutem Wetter wären die 48 Kehren bis zum Gipfel unter diesen Bedingungen eine Tortur gewesen. Bei Kälte, Wind und Dauerregen war es für Nohlin ein geradezu mörderisches Unterfangen. „Stelvio kills me“, sagt Nohlin in dem Film und: Der Pass habe ihm ein Teil seiner Radfahrerseele geraubt.

Nach einer heißen Dusche sitzt er, in eine Decke gewickelt, noch immer heftig zitternd in einer Holzhütte auf dem Gipfel, vor ihm eine Familienterrine mit dampfender Suppe. Just in dem Moment kommt Yeşil herein. Durchaus erschöpft, aber in guter Verfassung. Grinsend zeigt er Nohlin die aufgeweichten Innenflächen seiner Hände. „Sie sehen aus, als wärst du seit sechs Monaten tot“, sagt Nohlin, dann schauen sich die beiden an und lachen los.

Melons, trucks and angry dogs sind vier wunderbare Fahrradkurzfilme, die man sich durchaus öfter anschauen kann, da man beim zweiten Hinsehen neue Details entdeckt. Bitte mehr davon.

Hier Episode 1, Episode 2, Episode 3, Episode 4