Lesezeichen
 

Mehr Eigenverantwortung für Radfahrer

Deutschland ist ein Autofahrerland. Das Fahrrad wird als ernstzunehmendes Verkehrsmittel gerade erst wieder entdeckt. Welches Potenzial es hat, will der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) mit seinem neuen verkehrspolitischen Programm zeigen. Es sieht vor, bis 2025 mehr Menschen aufs Fahrrad zu bringen und das Radfahren bundesweit leichter und komfortabler zu gestalten. Um diese Ziele zu erreichen, muss sich allerdings noch einiges ändern.

Weiter„Mehr Eigenverantwortung für Radfahrer“

 

„Rüpel-Radler“: ACE verbreitet falsche Info zur Zebrastreifen-Nutzung

Als Ergebnis einer neuen Studie beschreibt der Auto Club Europa (ACE) Fahrradfahrer als „Zebrastreifen-Muffel“ und „Rüpel-Radler“, weil sie angeblich die Regeln nicht beachteten. Dieses Fazit ist erstaunlich und teilweise falsch.

Im Sommer hatten „ehrenamtliche Inspektoren des Clubs“ nach Angaben des ACE das Verhalten von 30.055 Kraftfahrern, 36.073 Fußgängern und 13.324 Radfahrer beobachtet und ausgewertet. Ihr Ergebnis: Mehr als jeder zweite Radler (56,8 Prozent) „missachtet das Haltegebot an Zebrastreifen, wenn dort Fußgänger unterwegs sind“, und gut zwei Drittel (67,6 Prozent) stiegen beim Queren der Straße nicht „wie vorgeschrieben“ ab und schöben das Fahrrad über den Zebrastreifen. „Sie wechseln verbotenerweise fahrend die Straßenseite und rangeln mit Fußgängern um die schnellste Passage“, schreibt der ACE. Sein Urteil: „Radler sind die allergrößten Zebrastreifen-Muffel.“

Diese Bewertung ist ärgerlich – denn der ACE gibt die Rechtslage nicht ganz korrekt wieder.

Es ist ein verbreiteter Irrglaube, dass Radfahrer am Zebrastreifen absteigen müssten, wenn sie hier die Straße überqueren wollen. „Sie dürfen ihn befahren“, sagt Bettina Cibulski, die Sprecherin des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC). In diesem Fall ist der Zebrastreifen aber kein Schutzbereich mehr für sie. Anders ist die Lage, wenn ein Radfahrer auf einem Pedal steht und über den Zebrastreifen rollt, indem er sich von Boden abstößt. Dann ist er Fußgänger und genießt auch dessen Rechte.

Radfahrer müssen jedoch Fußgängern auf dem Zebrastreifen Vorrang gewähren. Fraglich ist, wie eng der ACE diesen Vorrang definiert. Es ist realitätsfern zu erwarten, dass Radfahrer warten, bis sich kein Fußgänger mehr auf dem Zebrastreifen befindet, bevor er ihn überfährt. Entscheidend ist vielmehr, dass man aufeinander Rücksicht nimmt und Velofahrer Fußgängern den Platz einräumen, den sie brauchen.

Das gilt auch beim Halten am Zebrastreifen, wenn der Radfahrer auf der Straße unterwegs ist. Es ist üblich und sinnvoll, dass Velofahrer größere Lücken im Fußgängerfluss nutzen, um den Zebrastreifen zu überqueren. Stets vorausgesetzt, dass kein Fußgänger bedrängt oder belästigt wird.

 

Wacken-Festival nutzt Cargo-Bikes

Lastenrad mit Aufbau für leere Wertstoffflaschen © Wacken / Enno Heymann
Lastenrad mit Aufbau für leere Wertstoffflaschen © Wacken / Enno Heymann

Lastenräder sind immer häufiger in Großstädten unterwegs. Für Pizzadienste und Apotheken, als Kaffeebude oder Werkzeuglager des Handwerkers. In einer Studie lässt die Europäische Union gerade prüfen, in welchem Umfang Cargo-Bikes beim privaten und gewerblichen Frachttransport Pkw ersetzen können. Die Untersuchung ist auf vier Jahre angelegt, aber ein Zwischenbericht nach Dreiviertel der Zeit präsentiert überraschende Ergebnisse: Jede zweite Sendung könnte per Velo zum Kunden gebracht werden. Das gilt für eine Fracht unter 200 Kilogramm, mit einem Volumen von einem Kubikmeter und einer Strecke von maximal sieben Kilometern.

Dass Lastenräder auch auf ungewöhnlichem Terrain zurecht kommen, zeigte sich auf der Lastenradtagung, die der Deutsche Evangelische Kirchentag kürzlich in Hamburg initiiert hatte. Dort stellte Enno Heymann von der Organisation des Wacken Open Air vor, wie Cargo-Bikes auf dem Gelände des weltgrößten Heavy Metal Konzerts zum Beispiel als Müllmobil unterwegs sind. Die dreirädrigen Liegeräder haben hinter dem Fahrer einen Korbaufbau mit Netz. Darin sammeln drei Helfer leere Getränkedosen und Plastikflaschen; sie begleiten jeweils ein Rad zu Fuß. 15 bis 20 Leergut-Säcke passen in so einen Aufbau.

Bei gutem Wetter schaffen die zweispurigen Räder die 800 bis 2.000 Meter lange Strecke zwischen Campingplatz, Festivalgelände und Müllsammelplatz problemlos. Anders bei Regen. Dann müssen die Begleiter anpacken und die Räder durch den wadentiefen Wacken-Schlamm schieben.

Bei den 75.000 Besuchern des Festivals kommen die Räder anscheinend gut an. „Wacken ist ein grünes Festival“, sagt Heymann. Anstatt 68 Dieselaggregate aufzustellen, ließen die Organisatoren vor ein paar Jahren eine vier Kilometer lange Stromleitung verlegen. Außerdem wurde eine Drainage verlegt, ferner wurden Wasserleitungen und Brunnen installiert, um die Schlammschlacht etwas abzumildern.

In großen Industrieanlagen werden Lastenräder bereits seit Jahrzehnten eingesetzt. Timo Messerschmidt von der Firma Wisag machte auf der Lastenradtagung in Hamburg deutlich, dass Unternehmer mit den Cargo-Bikes auch richtig Geld sparen. Die Wisag ist ein Dienstleister, der für Industrieunternehmen Großanlagen reinigt oder Anlagen baut. Allerdings verlangen manche seiner Kunden von der Wisag Infrastrukturkosten. Salopp gesagt: Sie verlangen Eintritt. Messerschmidt muss dann zum Beispiel für jeden Mitarbeiter 3,50 Euro zahlen, für jedes Auto 8 Euro – pro Arbeitstag.

Um bei diesen Gebühren zu sparen, setzt die Wisag seit einiger Zeit Lastenräder ein, denn die sind kostenfrei. Außerdem können die Mitarbeiter mit den Rädern näher an die Anlagen heranfahren als mit den Autos. Das spart Zeit, und sie müssen ihr Werkzeug nicht tragen.

Im ersten Versuch hatte die Wisag herkömmliche Trekkingräder angeschafft. Die seien von den Mitarbeitern zwar gut angenommen worden, berichtet Messerschmidt. Allerdings seien sieben von elf Rädern nach sechs Monaten kaputt gewesen – sie waren für die schweren Lasten schlicht ungeeignet. Daraufhin entwickelte die Wisag mit einem Lastenradhersteller ein eigenes Cargo-Bike, mit einer Zuladung von 200 Kilogramm.

Davon setzt Messerschmidt nun etwas mehr als 100 Räder ein. Die Bilanz nach einem Jahr: ein platter Reifen. Die Räder können von den einzelnen Bereichsleitern der Wisag für ihre Belegschaft bestellt werden. Für 2014 erwartet Messerschmidt, dass sich die Bestellungen verdoppeln.