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Pointierte Einblicke in die wilde Welt des Mountainbikens

Henri Lesewitz hat sich seinen Namen nicht ausgesucht. Aber er trägt ihn zu Recht. Was Lesewitz schreibt, ist witzig. Außerdem sind seine Texte übers Mountainbiken sehr pointiert und oft recht klug. Ja, das geht – und es ist vor allem nötig.

Prost Qualzeit – Reportagen aus der wilden Welt des Mountainbikens enthält 56 Reportagen und Porträts, die Lesewitz in den vergangenen Jahren in der Zeitschrift Bike veröffentlicht hat. Wer keine Ahnung von dem Sport hat, wird nach der Lektüre nicht unbedingt damit anfangen. Aber er weiß sehr genau, was die Fahrer bewegt und vor allem, wo sich manche der vermeintlich Wahnsinnigen überall tummeln.

In Lesewitz‘ Geschichten geht es nicht um Alltagsfahrer oder ambitionierten Vielfahrer. Er beschreibt die Auswüchse der Szene: zum Beispiel Rennen in alten Bergwerken oder die Laguna Rads – eine kleine Gruppe elitärer Mountainbiker und die Keimzelle des Freeride-Sports, zu der nur die besten und verrücktesten Fahrer eingeladen werden. Oder Lesewitz reist nach Durango, um zu erfahren, was dieses Kaff in Colorado zum Mekka des Mountainbike-Sports adelt.

Lesewitz ist nah dran. Er begleitet seine Protagonisten auf ihren extremen Touren. Etwa Marko Müller aus Bitterfeld, der einen Startplatz für das Rennen Titan Desert in Nordafrika gewonnen hatte. Der 38-Jährige war kein Extremfahrer und hatte auch noch nie an einem Etappenrennen teilgenommen. Nun ging es eine Woche durch die marokkanische Wüste, in einem Team mit der amerikanischen Mountainbike-Legende Tinker Juarez.

„Noch kann Müller nicht ahnen, dass Kopfschmerzen bei einem Rennen wie diesem nichts anderes sind als ein winziges, kleines Luxusproblemchen“, beschreibt Lesewitz Müllers Zustand vor dem Start.

Nach der ersten Etappe klingt es dann schon ganz anders: „Müller macht einen gut durchgegarten Eindruck. Er fühlt sich wie ein Pommes auf einem Backblech. Die Position ist gut. Ende erstes Drittel. Müller weiß noch nicht um seine Limitierungen, deshalb ist er in der ungestümen Art eines Eintagesrennens gestartet. Doch die Erfahrung muss jeder einmal machen, der zum ersten Mal bei einem Etappen-Marathon startet. Die Rennleitung, der er unmittelbar nach der Zieldurchfahrt vor den Klapptisch kotzt, schaut dann auch ein kleines bisschen mehr gnädig als angeeekelt. Elektrolytentgleisungen, Hitzeschläge und Kreislaufschwäche sind beim Titan Desert an der Tagesordnung. Wie gesagt: Darum geht es ja schließlich, irgendwie.“

Lesewitz begleitet stets die Menschen, über die er schreibt, auf ihren Extremtouren. Als Jugendlicher wollte er nicht Journalist werden, sein Traumberuf war Radprofi. Lesewitz ist in der DDR aufgewachsen und gehörte dort nach Angaben seines Verlags Delius Klasing zu den Spitzenfahrern. Er sei etwa gegen Erik Zabel und andere Profis angetreten. Doch wegen Zweifeln an seiner „politischen Zuverlässigkeit“ habe man ihn von einem Tag auf den anderen fallen gelassen.

Heute treibt sich Lesewitz in entlegenen Ecken der Welt herum und berichtet über seinen Sport. Er hat am Yak Attack teilgenommen, dem höchst gelegenen Mountainbikerennen der Welt. Dazu gibt es übrigens hier einen sehr sehenswerten Film, den der Autor während der Tour aufgenommen hat.

Lesewitz ist ein Menschenfreund. Er kommt seinen Protagonisten sehr nahe, legt offen, was sie antreibt, und ordnet ihr Handeln ein in die spezielle Soziologie, die jedem Rennen innewohnt. Prost Qualzeit ist sein drittes Buch und sein bestes: pointiert, präzise und mit witzigen Spitzen.

prost_qualzeitProst Qualzeit: Reportagen aus der wilden Welt des Mountainbikens, Moby Dick, 19,90 Euro, ISBN 978-3-7688-3683-8.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wacken-Festival nutzt Cargo-Bikes

Lastenrad mit Aufbau für leere Wertstoffflaschen © Wacken / Enno Heymann
Lastenrad mit Aufbau für leere Wertstoffflaschen © Wacken / Enno Heymann

Lastenräder sind immer häufiger in Großstädten unterwegs. Für Pizzadienste und Apotheken, als Kaffeebude oder Werkzeuglager des Handwerkers. In einer Studie lässt die Europäische Union gerade prüfen, in welchem Umfang Cargo-Bikes beim privaten und gewerblichen Frachttransport Pkw ersetzen können. Die Untersuchung ist auf vier Jahre angelegt, aber ein Zwischenbericht nach Dreiviertel der Zeit präsentiert überraschende Ergebnisse: Jede zweite Sendung könnte per Velo zum Kunden gebracht werden. Das gilt für eine Fracht unter 200 Kilogramm, mit einem Volumen von einem Kubikmeter und einer Strecke von maximal sieben Kilometern.

Dass Lastenräder auch auf ungewöhnlichem Terrain zurecht kommen, zeigte sich auf der Lastenradtagung, die der Deutsche Evangelische Kirchentag kürzlich in Hamburg initiiert hatte. Dort stellte Enno Heymann von der Organisation des Wacken Open Air vor, wie Cargo-Bikes auf dem Gelände des weltgrößten Heavy Metal Konzerts zum Beispiel als Müllmobil unterwegs sind. Die dreirädrigen Liegeräder haben hinter dem Fahrer einen Korbaufbau mit Netz. Darin sammeln drei Helfer leere Getränkedosen und Plastikflaschen; sie begleiten jeweils ein Rad zu Fuß. 15 bis 20 Leergut-Säcke passen in so einen Aufbau.

Bei gutem Wetter schaffen die zweispurigen Räder die 800 bis 2.000 Meter lange Strecke zwischen Campingplatz, Festivalgelände und Müllsammelplatz problemlos. Anders bei Regen. Dann müssen die Begleiter anpacken und die Räder durch den wadentiefen Wacken-Schlamm schieben.

Bei den 75.000 Besuchern des Festivals kommen die Räder anscheinend gut an. „Wacken ist ein grünes Festival“, sagt Heymann. Anstatt 68 Dieselaggregate aufzustellen, ließen die Organisatoren vor ein paar Jahren eine vier Kilometer lange Stromleitung verlegen. Außerdem wurde eine Drainage verlegt, ferner wurden Wasserleitungen und Brunnen installiert, um die Schlammschlacht etwas abzumildern.

In großen Industrieanlagen werden Lastenräder bereits seit Jahrzehnten eingesetzt. Timo Messerschmidt von der Firma Wisag machte auf der Lastenradtagung in Hamburg deutlich, dass Unternehmer mit den Cargo-Bikes auch richtig Geld sparen. Die Wisag ist ein Dienstleister, der für Industrieunternehmen Großanlagen reinigt oder Anlagen baut. Allerdings verlangen manche seiner Kunden von der Wisag Infrastrukturkosten. Salopp gesagt: Sie verlangen Eintritt. Messerschmidt muss dann zum Beispiel für jeden Mitarbeiter 3,50 Euro zahlen, für jedes Auto 8 Euro – pro Arbeitstag.

Um bei diesen Gebühren zu sparen, setzt die Wisag seit einiger Zeit Lastenräder ein, denn die sind kostenfrei. Außerdem können die Mitarbeiter mit den Rädern näher an die Anlagen heranfahren als mit den Autos. Das spart Zeit, und sie müssen ihr Werkzeug nicht tragen.

Im ersten Versuch hatte die Wisag herkömmliche Trekkingräder angeschafft. Die seien von den Mitarbeitern zwar gut angenommen worden, berichtet Messerschmidt. Allerdings seien sieben von elf Rädern nach sechs Monaten kaputt gewesen – sie waren für die schweren Lasten schlicht ungeeignet. Daraufhin entwickelte die Wisag mit einem Lastenradhersteller ein eigenes Cargo-Bike, mit einer Zuladung von 200 Kilogramm.

Davon setzt Messerschmidt nun etwas mehr als 100 Räder ein. Die Bilanz nach einem Jahr: ein platter Reifen. Die Räder können von den einzelnen Bereichsleitern der Wisag für ihre Belegschaft bestellt werden. Für 2014 erwartet Messerschmidt, dass sich die Bestellungen verdoppeln.

 

Kölns Kasimir: Ein Lastenrad für lau

© Anna Gold
© Anna Gold

„Für lau“, sagen die Kölner, wenn sie soviel meinen wie: umsonst oder für wenig Geld. Und nach diesem Prinzip funktioniert Kasimir. Das Lastenrad darf man umsonst ausleihen, eine kleine Spende ist aber willkommen. Möglichkeiten bieten sich viele, denn Kasimir ist ein Vagabund. Alle zwei, drei Wochen wechselt er seinen Standort. Mal steht er vor einem Geschäft, mal vor Cafés oder auch bei Privatpersonen. Wer ihn beherbergt, organisiert ehrenamtlich den Verleih. Die Idee ist, dass möglichst viele Menschen Kasimir testen.

Sieben Privatleute aus Köln haben im Frühjahr das Projekt gestartet. Sie wollten eine Alternative zum motorisierten Autoverkehr anbieten. Die Idee kam nicht von ungefähr: Seit Jahren beschäftigen sie sich unter dem Namen Wie leben wir? mit Themen wie Stadtraum, Mobilität, Arbeitswelt und dem Verhältnis zwischen Individualisierung und Gesellschaft. Aus diesen Themen heraus entwickeln sie Projekte.

Lastenräder erleben zurzeit in den Städten ein Comeback. Ein dänischer Mechaniker entwickelte bereits Ende der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts das Lastenrad Long John. Schon zuvor wurden mit Rädern Botendienste erledigt. Heute sind Kurierdienste, aber auch Handwerker – etwa Monteure oder Kleinunternehmer – mit mobilen Suppen-, Eis- und Kaffeelastenrädern unterwegs. Aber auch immer mehr Privatleute entdecken das Rad für sich. Allerdings lohnt sich ein Lastenrad für eine Person oder einen Haushalt fast nicht. Ein Lastenrad ist prädestiniert dafür, geteilt zu werden – mit Nachbarn, Geschäftsleuten oder innerhalb eines Wohnviertels.

Das haben sich auch die sieben Kölner gedacht. Über eine Stiftung erhielten sie die 2.500 Euro, die Kasimir kostete. Dann fragten sie bei verschiedenen Cafés und Organisationen an, ob sie bereit seien, Kasimir eine Weile zu beherbergen und seinen Verleih zu betreuen. Mittlerweile melden sich die Leute bei ihnen, um Kasimir eine Weile vor ihrer Tür abzustellen. Lange steht er dort nie. Die Nachfrage ist gut.

Seit März rollt das Dreirad nun durch Köln. Es ist fast immer ausgebucht. Anmeldungen und Buchungen werden über eine Website organisiert. Ein bis drei Tage kann man Kasimir ausleihen. „Im Sommer nutzen die Leute das Rad zwei Tage für irgendwelche Veranstaltungen“, sagt Christian Wenzel, einer der Initiatoren. Sie fahren damit an den Rhein zum Grillen, erledigen kleinere Umzüge, transportieren damit Maschinen oder ihren Wocheneinkauf.

Wer will, spendet einen kleinen Betrag. Davon werden dann kleine Reparaturen bezahlt. Kürzlich wurde über Kasimirs Facebook-Seite eine Klingel gesucht und schnell gefunden.

Das System funktioniert nur mit freiwilligen Helfern, Vertrauen und dadurch, dass alle verantwortungsvoll und pfleglich mit dem Rad umgehen. Bislang hat das gut geklappt. Somit sind die Chancen gut, weitere Kasimirs nach Köln zu holen. Die sieben wollen das Projekt weiter ausdehnen. „Am liebsten flächendeckend in Köln“, wie Wenzel sagt.

© Anna Gold
© Anna Gold