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Wo wir gerade von Kunst sprechen…

Lecture Performance "The Fortune Tellers" von Elli Ga © Patric Dreier

The Office experimentiert mit dem Vortrag als Kunstform – oder was macht die Fußnote auf der Bühne?

Die Veranstaltungsreihe Perform a Lecture! konzentriert sich auf ein Format, das so ungewöhnlich wie spannend ist: den Vortrag als Kunstform. Die Kuratorinen von The Office haben sechs internationale Künstler eingeladen, sogenannte „Lecture Performances“ zu erarbeiten.

Das Format hatten Künstler wie Robert Morris und Dan Graham in den sechziger Jahren entwickelt. Mittlerweile bedienen Lecture Performances sowohl formal als auch inhaltlich eine beachtliche Bandbreite, wie die bisherigen Veranstaltungen von Perform a Lecture! demonstrieren.

In diesem Jahr führte Dan Graham das Publikum etwa durch die Hufeisensiedlung Bruno Tauts. Ellie Ga hielt einen penibel choreografierten wissenschaftlichen Vortrag über ihre Erfahrungen als Künstlerin an Bord des Forschungsschiffs Tara. Olivia Plender und Romeo Gongora bezogen das Publikum in ein Rollenspiel zum Thema Machtstrukturen in Familien ein.

Zum Abschluß stutzt Will Holder komplexe Philosophie auf ein bühnentaugliches Format, u.a. mit personifizierten Fußnoten!

Will Holder hat nämlich seinerseits Cally Spooner eingeladen. Die Autorin hat eine Bühnenfassung von Das mittelbare Sprechen und die Stimmen des Schweigens (1952) entwickelt. In dem Essay von Maurice Merleau-Ponty geht es grob gesagt um das Verhältnis von Sprache und Malerei. Bei Cally Spooner’s Indirect Language (2010) kommen entsprechend ein Linguist und ein Maler vor. Aber auch Erzähler, Fußnote oder Autor bevölkern die Bühne im Kino Arsenal.

Zugegeben, eine Veranstaltung zur Doppelrolle der Sprache in der Kunst mag nicht jedermanns Vorstellung eines idealen Freitagabend sein. Aber für all die Nerds unter uns, klingt die Kunstphilosophieperformance nach Spaß! Und die Stärke der Reihe Perform a Lecture! liegt gerade darin, dass sie bewusst den kritischen Dialog mit der Öffentlichkeit sucht – und eben nicht nur mit Kritikern, Kuratoren und anderen Künstlern.

21 Uhr | 10. Dezember 2010 | Kino Arsenal |Potsdamer Straße 2 | Berlin Mitte

 

Entropy Symphonie – 2. Satz: Berlin

© Mike Milosh

Der Künstler Zefrey Throwell bringt die Stadt zum Klingen.

Throwell will 100 Freiwillige an den Straßenecken der Innenstadt verteilen – ausgestattet mit Signalhörnern und Partitur. Die Hupen sind gestimmt, die Partituren getimed. Die Teilnehmer brauchen also weder musikalische Vorkenntnisse noch Taktgefühl. Allein ihren Einsatz sollten sie nicht verpassen. Ach ja, und Krach müssen sie mögen. Die Symphonie dauert fünf Minuten.

Einen ersten Satz konzertierter Unordnung führte Throwell zum Abschluss der Whitney Biennale in New York auf. Nun macht der Künstler Berlin zum Resonanzraum einer Klangperformance. Die Hintergründe seiner Aktionen erklärt Throwell im Interview mit Berlin Art Link.

17 Uhr | 8. Dezember 2010 | Alexanderplatz vor dem Fernsehturm (S-Bahnbogenfassade) | Berlin Mitte

 

Jean-Luc zum Geburtstag

Die Volksbühne feiert Godard’s Achtzigsten mit einer Nacht voller Veranstaltungen.

Der Regisseur Dimiter Gotscheff und der Künstler Mark Lammert inszenieren Die Chinesin, basierend auf Godards gleichnamigen Werk von 1967. Klaus Theweleit eröffnet den Festakt zu Ehren Godards. Der Kabarettabend Waiting for Godard präsentiert Fundstücke aus verschieden Werken des Regisseurs, während im Roten Godard Salon Filme laufen, die wiederum Godard beeinflusst haben. Die Performance Eins zu Eins probiert ein Reenactment von seinem Rolling-Stones-Film One Plus One. Und am Ende treffen sich alle zum Godard Club im Roten SalonEin strammes Programm!

19. 30 Uhr | 3. Dezember 2010 | Volksbühne | Linienstraße 227 | Berlin Mitte

 

Vietnam in Berlin

© Hebbel am Ufer

Vom 21. bis zum 27. November findet am HAU das Dong Xuan Festival statt.

Es ist ungewöhnlich, dass ein Festival nach einer Markthalle benannt wird. So geschehen beim Dong Xuan Festival, das sich auf den gleichnamigen Markt in Berlin-Lichtenrade bezieht, der das vietnamesische Zentrum Berlins ist.

Vordergründig ehrt das Festival die ehemaligen Vertragsarbeiter im Berliner Osten und die Boat People in Westberlin. Tatsächlich geht es aber nicht nur um Einblicke in das Leben der vermeintlichen „Vorzeigemigranten“. Vielmehr demontieren die Veranstaltungen auch unsere einseitigen Vorstellungen von Integration.

Begonnen hat das Programm mit Touren zum namensgebenden Markt. Unter dem Motto Dong Xuan oder Frühling in Lichtenberg stellen die Führungen noch bis Donnerstag die Markthallen und ihre unmittelbare Umgebung vor.

Heute startet das kritische Rahmenprogramm im HAU mit dem Ballett The white body von Ea Sola. Die französisch-vietnamesische Choreografin überträgt die Kampfschrift Von der freiwilligen Knechtschaft (1548) von Etienne de la Boétie auf das Diktat des Konsums. Ihre Tänzer hinterfragen den Stellenwert von Individuum und Kollektiv in der heutigen Gesellschaft.

Anschließend diskutieren der Künstler Danh Vo und die Kritikerin Elena Filipovic Vo’s künstlerischen Beitrag zum Festival, 2.2.1861: Vo hat die Plakate für das Festival von Vietnamesen gestalten lassen. Sie haben die Ankündigung auf die Plakate geschrieben oder besser gesagt: gemalt. Vietnamesen seien zwar mit unserem Alphabet vertraut, erklärt Vo. Die wenigsten Einwanderer könnten jedoch westliche Sprachen schreiben. Der zweite künstlerische Beitrag besteht darin, dass V0’s Vater Phung einen Abschiedsbrief abmalt – und zwar den last letter of Saint Theophane Venard to his father before he was decapitated. Theophane Venard war ein christlicher Missionar, der am 2. Februar 1861 in Vietnam hingerichtet worden ist. Die Missionare hatten das lateinische Alphabet ins Land gebracht.

Außerdem gibt es amerikanisch-vietnamesische Filmbeiträge, die Themen wie Wahrnehmung, Identität und Geschlechterrollen behandeln. Der Klassiker Surname Viet Given Name Nam (1989) von  Trinh T. Minh-ha dokumentiert die Lage vietnamesischer Frauen. Außerdem präsentiert Filmkurator Marc Siegel aktuelle Avantgarde-Produktionen, die den westlichen Blick herausfordern, wie die Kurzfilme aus The Blindness series (1992-2006) von Tran T. Kim-Trang. Die Filmemacher diskutieren danach jeweils mit den Zuschauern. Mit seinen Arbeiten will Vo unter anderem auch auf die Absurdität eines solchen Festivals hinweisen, das die Einwanderer selber nicht erreicht.

Zugegeben, am Ende richtet sich das Dong Xuan Festival doch nur an ein westliches Publikum. Aber immerhin reflektiert es dieses Problem auch. Die Veranstaltungen erlauben einen differenzierten Blick hinter eine scheinbar erfolgreiche Integrationsgeschichte. Sie beleuchten nicht nur Facetten der vietnamesischen Kultur, sondern halten uns auch einen Spiegel vor, wie selbstgefällig wir uns mit der Forderung nach Anpassung aus der Verantwortung ziehen.

siehe Programm | 21-27 November 2010 | HAU 1, 2 & 3 | Stresemannstraße 29, Hallesches Ufer 32 &  Tempelhofer Ufer | Berlin-Kreuzberg

 

Eine kleine Sonntagsperformance

@ Mark & Kyoko

Spazieren gehen kann jeder.

PIGS – Berlin Indepents Guide schlägt etwas Nettes für den Sonntag vor: Mark & Kyoko zeigt die Künstler Sol CaleroChristopher Kline. Die Schau Regalos Ancestrales/ Ancestral Gifts eröffnet mit einer Performance.

Was passiert, ist unklar. Klar ist, jeder kann mitmachen – vorausgesetzt er hat einen Flyer. Darauf sind Masken, die die Performance-Teilnehmer zu tragen haben. Los geht der Spaß pünktlich um viertel vor sechs.

Die Flyer gibt es beispielsweise im Grimmuseum.

17.45 Uhr | 14. November 2010| Brücke an der Alexandrinenstraße | Berlin Kreuzberg

 

Body Language bricht in die HAU’sche Schrebergartenidylle

Courtesy comatonse recordings

Queer Pop im Hebbel am Ufer

Die Guten in die Gärten, die Coolen aufs Festival: Die spannendere Veranstaltung am HAU ist sicherlich Body Language – What is queer about queer pop.

Body Language reiht sich in die Veranstaltungen aus Life is live – Musik, Diskurs, Performance. Zum dritten Mal bringt der Hau-Musikkurator Christoph Gurk nicht nur Popmusik sondern auch Kulturtheorie auf die Bühne. Gemeinsam mit Tim Stüttgen aka Timi Mei Monigatti hat er ein dreitägiges Programm zusammengestellt mit Konzerten, Filmen, Performances und natürlich Diskussionen zum Thema Queer Pop.

Das Festival fragt, inwiefern das Spiel mit der sexuellen Identität in der Popkultur funktioniert. Was bleibt im Mainstream vom kritischen Potential eines subkulturellen Phänomens? Geht es der Popkultur nur um das Image? Oder kann auch sie gegen sexuelle Normalisierung rebellieren? Die Antworten soll die nächsten Tage bringen.

Die Abende beginnen jeweils mit Dokumentarfilmen. (Sehenswert klingt Virginie Despentes Mutantes (2010) über das Entstehen pro-sex-feministischer Subkulturen.) Nach dem Freitags-Panel Where is queer pop now? gibt’s das Konzert Men/Maria & the Mirrors. Samstags folgt auf die Diskussion Challenging the Universal eine wilde Nacht mit musikalischen Performances von Mary & The Baby Cheeses, Juba Kalamka, Anat Ben-David, Crazy Bitch In A Cave sowie Keren Cytter und Andrew Kerton.

Heute geht es im HAU1 praktisch los: Auf den Performance-Vortrag Soulnessless des Transgender-Aktivisten Terre Thaemlitz folgt ein kleines House-Set im WAU von Thaemlitz‘ Alias, DJ Sprinkle.

22 Uhr | 11. November 2010 | HAU 1 & WAU | Stresemannstraße 29  & Hallesches Ufer 32 | Berlin Kreuzberg

Die theoretische Einführung übernimmt morgen Tim Stüttgen. Und wer am Vorabend zu hart gefeiert hat, kann sich bis dahin in den Prinzessinnengärten ausruhen beim Urban Farming für gestresste Gutmenschen.

ab 18 Uhr | 12-13 November 2010 | HAU 2 | Hallesches Ufer 32 | Berlin Kreuzberg

 

Deutschland und die Erinnerungskultur

Tilda Swinton fuhr 1988 mit dem Rad die Westseite der Berliner Mauer ab. Sie singt “The wall, the wall – the wall must fall”. Das Gorki Theater zeigt die Aufnahmen, die damals entstanden. © Sandro Kopp/Filmgalerie 451
Tilda Swinton fuhr 1988 mit dem Rad die Westseite der Berliner Mauer ab. Sie singt “The wall, the wall – the wall must fall”. Das Gorki Theater zeigt die Aufnahmen, die damals entstanden. © Sandro Kopp/Filmgalerie 451

Das Maxim Gorki Theater beleuchtet die historische Dimension des 9. Novembers

Der 3. Oktober mag Nationalfeiertag sein. Der Schlüsseltag deutscher Geschichte ist jedoch der 9. November: Novemberrevolution (1918), Hitlerputsch (1923), Pogromnacht (1938) und Mauerfall (1989) sind gleichermaßen mit dem Datum verbunden. Das Maxim Gorki Theater nimmt ihn zum Anlass für ein „Nachdenken über das Gedenken“.

Die heutigen Veranstaltungen beleuchten nicht nur die Facetten dieses schicksalhaften Tages. Sondern sie hinterfragen auch unseren Umgang mit den jeweiligen Geschehnissen, als Gemeinschaft und als Individuum. Zur Debatte steht der schmale Grat zwischen Gedenken und Erinnern, Auslassen und Verdrängen.

Statt Belehrung setzt das Gorki auf ausgefallene Formate, die das Publikum fordern. Auf dem Programm stehen eine historische Entdeckungstour, ein politischer Salon sowie zwei Filme.

Tagsüber führt Im Raume hören wir die Zeit. Ein Spaziergang mit Kopfhörern II die Teilnehmer an geschichtsträchtige Orte. Eine MP3-Aufnahme lotst sie an unsichtbare Denkmäler im öffentlichen Raum rund um das Theater.

Den Abend eröffnet ein Film über den Hitlerattentäter Maurice Bavaud. Es ist kalt in Brandenburg (Hitler Töten) (1980) erzählt die Geschichte des jungen Schweizers, der am 9. November 1938 auf der Ehrentribüne steht. Die Nationalsozialisten gedenken des Putschversuchs von 1923. Bavaud hat beschlossen Hitler zu töten – und scheitert. Der Führer gerät nicht in Schussweite, Bavaud wird gestellt und stirbt drei Jahre später unter dem Fallbeil. Die Schweizer Villi Hermann, Niklaus Meienberg und Hans Stürm vollziehen Bavauds Weg in den Tod nach. Entstanden ist keine gewöhnliche Dokumentation, sondern ein „sehr trauriger, resignativer Film“ urteilt der Spiegel.

Anschließend steht der Freitag Salon unter dem Motto Was fällt uns ein? Die Deutschen und die Erinnerung als Kult und Kultur. Seit September lädt der Freitag monatlich wechselnde Politiker, Redakteure und Kulturschaffende ins Maxim Gorki Theater. Dort besprechen sie „Glück und Unglück der Gegenwart“. Diesmal geht es um das Verhältnis der Deutschen zu ihrer Geschichte. Gemeinsam diskutieren der ehemalige DDR-Außenminister Markus Meckel, Lea Rosh vom Förderkreis Denkmal für die ermordeten Juden Europas und der Historiker Wolfgang Wippermann. Der freitag-Verleger Jakob Augstein moderiert das Gespräch.

Cycling the frame (1989)/ The invisible frame (2009) von Cynthia Beatt beschließt den Abend: Zwischen den beiden Filmprojekten liegen 21 Jahre. 1988 fährt Tilda Swinton erstmals mit dem Rad die Westseite der Berliner Mauer ab. Sie singt „The wall, the wall – The wall must fall“. 2009 wiederholt die mittlerweile sehr berühmte Schauspielerin ihre buchstäbliche Grenzerfahrung. Diesmal führt sie die Fahrradtour durch vergessene Orte entlang der langsam verschwindenden Mauerlinie.

Ein Tag in Deutschland am Maxim Gorki Theater – sehr ereignisreich und sehr empfehlenswert!

ab 12 Uhr | 18 Uhr | 20.30 Uhr | 22 Uhr | 9. November 2010 | Maxim Gorki Theater | Am Festungsgraben 2 | Berlin Mitte

 

Gedenken 3000

Die Berliner Volksbühne gedenkt Christoph Schlingensiefs.

Das Motto der Veranstaltung Gedenken 3000 für Christoph Schlingensief klingt platt und ist doch konsequent – oder dem Anlass angemessen. Immerhin wird hier eine ganze Stadt eingeladen zu einem öffentlichen Trauerfest. Im großen Stile zelebriert die Volksbühne den Abschied von einem sehr lauten, sehr öffentlichen und sehr visionären Menschen. Mit ihrem Festakt erweist sie Christoph Schlingensief eine letzte wilde Ehre und feiert sein Vermächtnis.

Der Abend spiegelt die Bandbreite seines Ouevres: Die Volksbühne zeigt neben Filmen auch Installationen und im ganzen Haus finden Gespräche und Darbietungen statt. Zudem widmet der rbb Schlingensief eine lange Filmnacht und überträgt sie ab 23.15 Uhr in die Volksbühne. Währenddessen wird an einer großen Tafel gemeinsam getrunken und gegessen, was die Anwesenden mitgebracht haben.

Wer teilnehmen möchte, sollte sich anmelden unter: +49 (0)30 240 65 777 oder ticket@volksbuehne-berlin.de.

20 Uhr | 6. November 2010 | Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz | Linienstr. 227 | Berlin Mitte

Nebenan startet das Kino Babylon die Christoph Schlingensief Retrospektive mit Die 120 Tage von Bottrop – Der letzte neue deutsche Film.

23 Uhr | 6. November 2010 | Kino Babylon | Rosa-Luxemburg-Str. 30 | Berlin Mitte

 

Angeschlagene Moderne

© The Office

Der Künstler Florian Dombois setzt die Reihe Performances im Hansaviertel fort.

Veranstaltungsort ist das Eternithaus des Architekten Paul Baumgarten. Jede Performance nimmt Bezug auf die Akustik des Foyers. Diesmal verwickelt Florian Dombois das Publikum in eine Klangperformance.

Sowohl das Spiel als auch das anschließende Konzert basieren auf seiner Klangskulptur Angeschlagene Moderne. Dombois hat für diese Arbeit 48 Skulpturen durch Hammerschläge zum Klingen gebracht. Dombois bewegt sich im Grenzbereich von Kunst und Wissenschaft. Der Geophysiker und Philosoph leitet an der Berner Hochschule der Künste das Institut für Transdisziplinarität, kurz: Y.

Der Abend kann entweder erfrischend absurd oder total krampfig werden – je nach Publikum. Aber die Location alleine ist den Versuch wert.

18.30 Uhr | 4. November 2010 | Tiergarten Eins (Eternithaus) | Altonaer Str. 1 | Berlin Tiergarten