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„Alles Lüge?“ – Wie unsere Leser auf unseren Schwerpunkt zum Vertrauen in Medien reagiert haben

 

Vor knapp zwei Wochen hat sich die ZEIT in ihrer Titelgeschichte „Alles Lüge?“ mit der Frage beschäftigt, warum das Misstrauen in die Medien wächst. Wir hatten gehofft, einen Nerv zu treffen, umso mehr haben wir uns über Ihre leidenschaftlichen Kommentare gefreut. Sie haben innerhalb weniger Stunden mehr als 1.400 Kommentare auf ZEIT ONLINE hinterlassen und weitere tausend auf der Facebook-Seite der ZEIT.

Inzwischen sind zehn Tage vergangen, und wir haben alle Kommentare gelesen und auf einen Teil davon reagiert. Einige weitere möchten wir hier im Blog noch einmal herausgreifen, dazu gleich mehr.

Wir diskutieren nun, welche Folgen dieses beeindruckende Feedback haben sollte – und überlegen etwa, ob wir Sie, unsere Leser, noch in diesem Jahr zu einer Konferenz nach Berlin einladen, um direkt miteinander zu sprechen. Sollten Sie daran Interesse haben, freuen wir uns über eine E-Mail an leserkonferenz@zeit.de mit dem Betreff „Leserkonferenz“.

Einige Kommentare möchten wir hier in unserem neuen Blog Fragen der Zeit noch herausgreifen, entweder weil sie uns besonders gefallen haben, oder weil sie stellvertretend für viele andere stehen.

User iguatemi beschäftigt sich zum Beispiel mit der Zusammensetzung der Redaktionen. Er schreibt:

„Anders als in anderen Ländern gibt es in Deutschland so gut wie nur unparteiischen Journalismus. Wenn man sich allerdings das Wahlverhalten (nach Umfragen) von Journalisten (hier Politikjournalisten) anschaut, dann sieht man ganz klar, dass der (…) Journalismus stark Parteien links der Mitte bevorzugt. In 2013 (also nah an der Bundestagswahl) wurden 1000 Politikjournalisten befragt, welcher Partei sie nahe stehen. Ergebnis: 37% keiner; 27% Grüne, 16% SPD, 9% CDU/CSU. Nur mal so zur Erinnerung: 41,5% der Wähler haben CDU/CSU gewählt. (…) Es sollten sich Redakteure und Entscheidungsträger mal fragen, wie sie die Meinungsvielfalt in den Redaktionen verbreitern kann.“

Tatsache ist, dass viele Redaktionen, auch die von ZEIT ONLINE und ZEIT, in den vergangenen zehn Jahren für mehr Vielfalt gesorgt haben. Es ging aber um andere Aspekte von Vielfalt als iguatemi sie anmahnt, es ging darum, mehr Frauen in Führungspositionen zu befördern und Journalisten mit Migrationshintergrund einzustellen. Bei der Frage politischer Orientierung ist die Sache schwieriger. Will man eine Gesinnungsprüfung? Zudem gibt es auch unter linken Politikjournalisten genug Befürworter von Angela Merkel. Andererseits stimmt: Es gibt nur wenige junge, konservative Stimmen im deutschen Journalismus. Die Ausnahmen findet man am ehesten in der Welt und in der FAZ.

Wie erwartet beschäftigen sich viele Leser auch mit der Russland-Berichterstattung. Ratlos machen uns diejenigen, die unterstellen, es gäbe so etwas wie eine Verschwörung DER Journalisten gemeinsam mit DER deutschen Regierung GEGEN Russland. Da können wir nur sagen: Nein, die gibt es nicht.

Aber daneben haben uns viele Argumente erreicht, mit denen wir uns gern auseinandersetzen. Da ist zum Beispiel der Hinweis von User Florian Kennet, der sagt: „Der Duden (schreibt) zu Annexion: gewaltsame und widerrechtliche Aneignung fremden Gebiets. Es gab (auf der Krim) keine Gewalt, und die Menschen, die dort lebten, haben selbst entschieden, dass sie nicht mehr zur Ukraine gehören möchten. Es war eine (zudem friedliche) Sezession.“

Es stimmt, der Annexion sind nicht Tausende zum Opfer gefallen. Aber: Der Besetzung der Krim ist keine langjährige Befreiungsbewegung vorausgegangen, es gab keine von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützte und von den Ukrainern unterdrückte Sezessionsbewegung. Erst kamen die Panzerwagen, die Russen brachen das Völkerrecht, und dann gab es eine Abstimmung – quasi mit vorgehaltener Waffe. Nebenbei bemerkt waren da schon viele Ukrainer auf dem Weg von der Krim in die westlichen Teile des Landes unterwegs. Florian Kennet, Sie machen es sich hier zu einfach, aber Sie haben recht, wenn Sie sagen, dass viele Bewohner, die heute noch auf der Krim leben, die neue Schutzmacht begrüßen und unterstützen.

Weiter beklagt Florian Kennet, es gebe zu wenige Journalisten in deutschen Medien, die Putin freundlich gesinnt seien. Solche Journalisten würden in keiner größeren Redaktion „einen Job bekommen. So funktioniert ideologische Einhegung heute. Das ist es, was die Leser merken, was ihnen mehr und mehr zum Halse raushängt.“

Es stimmt, Unterstützer gibt es wenige, es gab sie aber auch schon vor dem Beginn des Konflikts zwischen der Ukraine und Russland kaum. Die Gründe dafür sind vielfältig, aber es hängt zweifellos mit der Tatsache zusammen, dass Putins Innenpolitik oftmals eher an eine Diktatur als an eine Demokratie erinnert. Da macht man sich unter westlichen Journalisten wenig Freunde.

Nehmen wir nur drei Beispiele: Die Gewaltenteilung ist zunehmend aufgehoben, im Parlament gibt es praktisch keine Opposition mehr und viele Gerichtsurteile fallen wie bestellt. Der Oppositionspolitiker Alexei Nawalny wurde bedrängt und durch plötzliche Anklagen beinahe mundtot gemacht, als er für das Moskauer Bürgermeisteramt kandidierte. Zudem wurden über Jahre hinweg die wenigen unabhängigen Medien drangsaliert oder gleich ganz geschlossen, Journalistenmorde in der Regel nicht aufgeklärt. Darüber sind die unbestreitbaren Fortschritte in der Sozialpolitik sicher in den Hintergrund geraten. Wenn aber ein autoritärer Präsident dann einen militärischen Konflikt mit seinem westlichen Nachbarn eingeht, wen wundern da kritische Berichte? Zugleich wäre eine wissenschaftliche Untersuchung darüber, ob die Ukraine-Berichterstattung in deutschen Medien zu positiv war, wirklich hilfreich.

In diesen Tagen gab es natürlich auch Kommentare zum Thema Griechenland – und auch hier warfen viele Leser ZEIT ONLINE und ZEIT vor, sie würden zu einseitig berichten. Doch da müssen wir vehement widersprechen. Unsere unterschiedlichen Perspektiven auf Grexit und Schuldenschnitt können Sie täglich nachvollziehen – sei es bei Marlies Uken und Zacharias Zacharakis von ZEIT ONLINE, sei es bei Marc Brost, Mark Schieritz und Uwe Jean Heuser von der ZEIT. Der griechenfreundliche Ökonom Thomas Piketty hat der ZEIT ein großes Interview gegeben. Und schließlich sei an den Leitartikel unseres Herausgebers Helmut Schmidt erinnert.

Gefreut hat uns, dass viele Leser mit uns einer Meinung sind und wie wir die niederträchtigen Beleidigungen und Schmähungen, die überhandnehmen, scharf kritisieren. User Running schreibt zum Beispiel:

„Einerseits ist es eine tolle Entwicklung, dass jeder mit jedem diskutieren kann, ungeachtet des Alters Geschlechts, der Herkunft, usw. Andererseits wird diese Entwicklung auch massiv missbraucht von ziemlich feigen Menschen, die sich hinter den Pseudonymen verstecken. Es zeigt sich in meinen Augen, dass auch derlei Bereiche in irgendeiner Art und Weise kontrolliert werden müssen. Um eben die Mituser oder auch Dritte vor Cybermobbing zu schützen. Es braucht dazu jetzt keine großen Strafen. Eine Sperre oder ein Bann reichen da völlig aus, unter Umständen auch zeitlich begrenzt, um dem User Zeit zum Überdenken zu geben, seinen Zugang nicht für einen privaten Rachefeldzug zu nutzen.“

Und ein anderer Leser, Bakhunin, fragt besorgt:

„Ist die Krise des Journalismus gar nicht so eine Krise allein des Journalismus, sondern vielmehr eine gesellschaftliche Krise? Vieles, was man mittlerweile lesen muss, klingt in seinem Duktus so verroht, dass einem angst und bange wird.“

Korrekturhinweis: Ursprünglich hieß es im Text, dass russische Panzer auf der Krim gewesen seien. Es waren jedoch Panzerwagen, wie sich aus einer kritischen Nachfrage eines Lesers ergeben hat.


191 Kommentare


  1. Finde ich sehr gut und würde gerne einen Punkt nochmal aufgreifen.

    Für wen schreiben Sie?

    Ich habe das Gefühl, ZON ist sich nicht sicher, wer angesprochen werden soll. Weder die klassische Tages- und erst recht nicht die Wochenzeitung kann „updaten“, das passiert immer über das Internet. Stichwort: Germanwings. Mit solchen Aktionen verspielen sich Redaktionen wie hier bei ZON meiner Meinung nach allen Respekt.

    Das Thema wurde aufgegriffen und besprochen. Es ist nicht verwunderlich: Ein Grossteil der Befragten will Infos, ist heiss auf Sensationen und will Emotionen. So ist der Mensch nunmal. Trotzdem habe ich mich hinterher geschämt, den Ticker bei Focus geupdated zu haben, weil ich weiss, dass mich da nichts Gutes erwartet.

    Guter Journalismus ist in einem solchen Unglücksfall für mich folgendes: Besonnene Berichterstattung. Meinetwegen Updates mit bestätigten Fakten. Man muss keinen Journalisten an den Flughafen oder in den Ort schicken, um die Stimmung aufzunehmen, nachzuhaken oder irgendwen zu befragen. Man muss nicht das Leben des Mannes durchleuchten.

    Klar ist: Damit entgehen einem wahnsinnig viele Klicks.
    Klar ist jedem in der Redaktion aber auch: Das sollte nicht die Motivation sein. Für Klicks sollten wir nicht jedes Ehrgefühl über Bord werfen und uns mit dem Leid anderer finanzieren.

    Es hätten sich bestimmt viele gute Möglichkeiten angeboten, trotzdem über das Thema zu berichten. Aber es bedarf keiner Fotos. Man muss nicht frühzeitig urteilen. Jeder klar denkende Mensch weiss, dass der Fall Germanwings in zwei Wochen aufgeklärt ist. So lange kann ich warten. Da muss keine Hetzjagd stattfinden, da kann man die Füsse ruhig halten.

    Ich denke, Sie haben hier sehr viele Menschen wie mich als treue Leser. Wer Sensation will, surft nicht ZON an. Wer Sensation will, ist im Boulevard gut aufgehoben — und da gehören für mich neben den üblichen Verdächtigen auch Focus, Stern und fast auch Welt mit rein. Solche Seiten kann ich nicht ernst nehmen und das wird vielen so gehen.

    Daher die Bitte: Denken Sie darüber nach, für wen Sie schreiben und ob es nicht langfristig gut sein kann, kurz- und mittelfristig auf Klicks aus Sensationsberichterstattung zu verzichten und die Seite zu werden, die diese Gier des Menschen nicht befriedigt, sondern besonnen, seriös und eigenständig berichtet (und sich eben nicht von der Nachfrage lenken und dazu hinreissen lässt, so einen Unsinn zu fabrizieren).

    Sie mögen sagen: So schlimm war es nicht. Und das mag sogar stimmen. Sie mögen auch sagen „Medien haben dazu gelernt“ und das mag stimmen und Sie meinen damit aber nicht die anderen sondern sich und dürfen das nur nicht sagen, aber es stimmt leider nur in gewissem Masse. Schon bei Kachelmann war es so. Einer drischt heftiger drauf ein als der andere, jeder will die neuste Information haben. Hinterher, wenn der Drops gelutscht ist, kommt ein Artikel „Hey sorry, wir haben gemerkt, dass den Lesern das nicht gefällt, wenn wir uns an einer Hexenjagd beteiligen. Natürlich haben wir das nicht so schlimm gemacht wie X, Y und Z (mit dem Finger auf andere zeigen), aber wir sind nicht unschuldig und haben daraus gelernt.“ Vielleicht ein bisschen, aber nicht wirklich. Wulff dasselbe. Immer wieder kommen diese reumütigen Artikel, aber nie wird sich wirklich daran gehalten.´

    Daher. Ich will Sie hier nicht in Grund und Boden schreiben. Das ist eine Kritik allgemein am deutschen Online-Journalismus und ich würde mich riesig freuen, wenn Sie dazu ein paar Worte sagen können und vor allem, wenn man intern mal darüber nachdenkt, was man bringen muss und wer man sein will. Das wäre sehr schön, denn trotz aller Kritik ist ZON für mich noch die Seite, die sich am ehesten ertragen lässt. Immer öfter aber wirklich nur lässt.

 

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