Über ein Jahr lang haben wir in der rechten Szene unter ehemaligen Kadern und Kindern der mittlerweile verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) recherchiert. Wir wollten wissen: Was ist aus den Jugendlichen geworden, die jahrzehntelang in diesen paramilitärischen Neonazi-Lagern ausgebildet wurden?
Auch Frank Rennicke, der wegen Volksverhetzung vorbestrafte Neonazi und braune Liedermacher, ließ seine Kinder bis 2009 in den braunen Camps drillen. Seine Tochter Sigrun war sogar Führerin der Leitstelle Süd der HDJ. Gerne hätten wir von ihr und ihren Geschwistern erfahren, wie ihr Leben heute aussieht. Wir suchten Kontakt zu ihnen, doch keines der mittlerweile erwachsenen Kinder antwortete uns. Anfang des Jahres schrieben wir Frank Rennicke einen Brief. Auch mit ihm hätten wir gerne über die völkische Erziehung seiner Kinder gesprochen und darüber, warum auf seinem Grundstück auch Veranstaltungen der Heimattreuen stattfanden.
Später rief ich Rennicke an. Er blaffte nur kurz „Lügen Sie weiter!“ ins Telefon und legte grußlos auf. Ich akzeptierte seine Reaktion als Absage. Als sorgfältig arbeitender Reporter muss ich jedoch versuchen, allen Seiten die Chance zu geben, sich zu äußern. Wenn jemand nicht reden möchte, dann ist das sehr schade, aber okay. Dann belästige ich diese Person nicht weiter.
Mittlerweile hatte Rennicke seine „lieben Landsleute“ bereits auf seiner „Weltnetzseite“ vor den Recherchen der „linksliberalen Zeitung“ gewarnt: Ich würde auf „Dummen fang“ gehen. Die ZEIT würde seit Jahrzehnten die „Zukunft unserer Kinder durch Seelenmord“ zerstören. Wir seien die „Lügenpresse“. Einem Gesprächspartner einen Brief mit einer Interviewanfrage zu schreiben, bezeichnet er als „Methoden der Medienmafia“.
Es ist nicht das erste Mal, dass uns dieses Jahr auffällt, wie Journalisten schon während der Recherche öffentlich bloßgestellt und in ihrer Arbeit behindert werden sollen. Auch einem Kollegen der Sächsischen Zeitung ist neulich Ähnliches passiert: „Ich schicke Lutz Bachmann Fragen, er stellt sie auf die Facebook-Seite von Pegida. Und kommentiert: ‚Werter Herr Wolf, seriöser Journalismus sieht anders aus!'“ Noch bevor im Leipziger Stadtmagazin Kreuzer ein kritischer Artikel über ein Wochenzeitungsprojekt erschien, erhielt die Chefredaktion im Juli Post einer Anwaltskanzlei des anderen Blattes, die den Journalisten drohte.
Als wir im Februar anlässlich des Prozesses gegen Sebastian Edathy ein Porträt des ehemaligen SPD-Politikers recherchierten, hatten wir auch Edathy selbst angefragt. Weil er uns absagte, mussten wir Weggefährten fragen, ob sie uns etwas erzählen wollten. Ganz Deutschland spekulierte damals wild über ihn. Wir wollten uns daran nicht beteiligen, sondern uns ein Bild von Edathy machen, das auf Fakten basiert. Eine angefragte Schulfreundin leitete unsere Interviewanfrage jedoch an Sebastian Edathy weiter. Er veröffentlichte die Mail ungefragt auf Facebook und schimpfte über „Ausforschung“. Wenig später schrieb er noch an einen ehemaligen Chefredakteur der ZEIT, wohl um die Reporter dort anzuschwärzen.
Als Journalisten sind wir es gewohnt, dass nach der Veröffentlichung Kritik an unseren Texten geübt wird. Dieser Kritik stellen wir uns, auch öffentlich. Bei der ZEIT sind alle Redakteure zudem angehalten, Leserbriefe zu beantworten, wenn sie nicht nur beleidigend, verfassungsfeindlich und schmähend sind. Im besten Fall kann so eine gesellschaftliche Debatte angeregt werden, die für alle konstruktiv sein kann.
Doch das ist neu: Warnen. Beleidigen. Anschwärzen. Drohungen vom Anwalt. Wohlgemerkt passiert all das, obwohl bisher nicht ein Buchstabe veröffentlicht wurde.
Das ist eine neue Qualität von Einschüchterungsversuchen von Journalisten während der Recherche.
Wir werden uns davon nicht beirren lassen und weiter versuchen, sorgfältig Informationen einzuholen. Trotzdem frage ich mich: Wie sollen wir Reporter uns in Zukunft verhalten, wenn wir uns nicht mehr auf die Wahrung des Briefgeheimnisses verlassen können? Was tun, wenn einem Informanten Vertraulichkeit zugesichert wird, er dieselbe aber ausnutzt und uns Reporter öffentlich vorführt?
Das sehe ich bei „Welterklärern in ihrem jahrelang geschützten Elfenbeinturm“ ähnlich wie Sie. Aber ich finden, wenn sich Reporter aus ihren warmen Redaktionsstuben dann schon mal aufmachen zu den Menschen, sie selbst fragen und ein ehrliches Interesse zeigen, sollte man ihnen nicht per se die Hand abhacken, die sie Menschen (auch mit eventuell extremen, nicht massenkonformen Meinungen) ausgestreckt haben.
Meiner Ansicht nach erodiert das Vertrauen zwischen Medien und Bevölkerung seit 2007. Als im Zuge der Finanzkrise Staats- und Bankenpleiten in Europa drohten, setze bei vielen deutschen Medien neben ihrer normalen Berichterstattung der Aktivismus ein. Im Kern war die Botschaft „Diffuse europäische Werte sind mit deutschem Geld zu retten“. Die Bevölkerung war und ist so stark dagegen, dass sich die BR mit interessanten Verrenkungen über Kreditgarantien aus der Äffäre versucht hat zu ziehen. Griechenland als Steigerung in den letzten Jahren. Das war der erste Spaltpilz.
Der zweite ist, das Zeit, Spiegel und andere Medien über ihre Homepages gezwungen sind, tagtäglich viele Artikel rauszuhauen. Da leidet in der Masse die Qualität. Bsp: Beim Spiegel sind die Artikel im Print in der Regel gut recherchiert. Es gibt im Jahr, drei – vier schlechte Artikel. In Online Bereich sieht es aber ganz anders aus. Kurz, Jingoism generiert Klickzahlen und der Zeitdruck sorgt dafür das Meinung und Fakten oft nicht sauber getrennt werden.
Folgeeffekt: Der Leser unterscheidet nicht zwischen Online und Printredaktion, weil es Spiegel/Zeit/FAZ etc heißt. Der Zusatz Online generiert keine zusätzliche separate Identität. Somit leidet das Image der Printausgaben unter dem tagtäglichen Journalismus der Onlineredaktion.
Drittens: Bei Snowden/NSA U-Ausschuss z.B. wurde mit den Veröffentlichungen z.T. häppchenweise im Tagestakt versucht Politik so unter Druck zu setzten, das es neben Journalismus auch Kampagnencharakter hatte. Was per se nicht schlecht sein muss, wenn es nicht im Gegensatz oder Neutral zu Forderungen der Öffentlichkeit steht. Sonst kommt die Dissonanz, weil wessen Sichtweise wird dann diskursiv vertreten? Verwirrung bei allen am Anfang, gefolgt von Wut.
„Erodieren des Vertrauens” — das klingt auch schon wieder nach einem externen Naturereignis. Dabei geht dieser Vertrauensverlust ganz klar von der Kaste der Journalisten aus, die eben eben so Stimmung machen wollen — oder müssen (auch der Eindruck verfestigt sich). Die befragten Subjekte sind doch nur die Darsteller. Und die wissen ganz genau, was am Ende wieder rauskommt und wie es dargestellt wird: Subsoziales Milieu, Bildungsferne, Living in the Bubble, Verschwörungstheoretiker, Abgehängte & Loser. Und dann immer der Duktus von oben herab. Die moralische Überlegenheit darf nie fehlen. Das Ergebnis der „Recherche” steht ebenso schon vor dem ersten Buchstaben fest.
Lieber Herr Fuchs,
haben Sie einmal in Gedanken die Rolle der Menschen eingenommen, in deren privatem Umfeld Journalisten zu recherchieren beginnen? Diese Menschen fühlen sich erst einmal gegenüber den Medien am kürzeren Hebel. Sie, die Medienvertreter entscheiden tagtäglich, was als öffentliche Meinung wahrgenommen wird. Medienvertreter haben den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulf bis in die privatesten und intimsten Lebensbereiche hinein ausgeforscht. Medienvertreter haben Herrn Edathy und sein Umfeld in gleicher Weise ausgeforscht. Der Kandidat der SPD zur letzten Bundestagswahl Steinbrück wurde in vielen Medien wegen seiner Weinvorlieben abgemeiert. Wenn Sie in den Medien vor den Personen des öffentliche Lebens keinen Respekt haben, wieso sollten unbekannte Bürger annehmen, dass die Medien bei ihnen Grenzen respektieren? Und nun erheben Sie die Klage über die Zerstörung des notwendigen Vertrauens zwischen den Menschen in Deutschland und den Medien. (Wobei ich in meiner Wahrnehmung hier nur von seriösen bürgerlichen Medien spreche.) Ich kann es recht gut nachvollziehen, dass Bürger sich schon gegen die Recherche wehren, denn wie schon Reinhard Mey vor Jahren sang und wohl auch erfahren hat, „was in der Zeitung steht“, bleibt an den Menschen hängen. Mein Eindruck ist häufig, dass die Medien, die früher gegen den konservativen und normativen Druck für mehr individuelle Freiheit von uns allen eintraten, unmerklich die Seiten gewechselt haben. Sie machen sich in einigen Fragen gemein mit gesellschaftlichen Trends und Gruppen, sie machen sich oft leider zum Sprachrohr von Weltanschauungslobbyisten. Berichte über komplexe Probleme werden durchgehend personalisiert. Bei der Ukraine und bei Syrien ist das dann der Dämon Putin. Bei Flüchtlingsfragen ist das der Dämon Seehofer. Bei Israelthemen ist es der Dämon Netanjahu. Was glauben sie, empfindet der Normalbürger, wenn in seinem Umfeld eine Zeitung recherchiert, die als so agierend wahrgenommen wird? Wenn Recherche als die Suche nach schuldigen „Dämonen“ erscheint?
Oder, um einen Punkt zu ergänzen der das Medienbild auch prägte, dass das Lamento nach dem barbarischen Anschlag von Paris mehr dem Abstraktum Pressefreiheit, als den Menschen die ermordet wurden galt.
Sie haben Recht, wir leben in Deutschland als Journalisten in einem Paradies, im Vergleich zu den meisten Ländern dieser Erde. Wir müssen keine Angst vor körperlicher Unversehrtheit haben (obwohl es auch bereits erste Übergriffe auf Reporter gab). Aber die Agression beginnt schon viel eher, viel leiser. Erst kommen die Einschüchterungen, die körperlichen Angriffe auf Reporter sind der nächste Schritt der Eskalation. Dafür sollte dieser Blog-Post sensibilisieren. Mehr nicht. Denn was ich bemerke ist, dass das Vertrauen untereinander erodiert. Und darin kann ich keine gute Entwicklung für eine konstruktive Debattenkultur in einer Demokratie erkennen.
Der Unterschied ist: Ich reagiere mit einem Vertrauensbruch als Reaktion auf den von Rennicke begangenen Vertrauensbruch. Ohne die Veröffentlichung von Rennicke, hätte ich das vertrauliche Telefonat nie veröffentlicht. Ich will und kann einfach nicht weiterschweigen, über die Veränderungen unserer Arbeitsbedingungen in den vergangenen Monaten.
Sie haben Recht, wir leben in Deutschland als Journalisten in einem Paradies, im Vergleich zu den meisten Ländern dieser Erde. Wir müssen keine Angst vor körperlicher Unversehrtheit haben (obwohl es auch bereits erste Übergriffe auf Reporter gab). Aber die Agression beginnt schon viel eher, viel leiser. Erst kommen die Einschüchterungen, die körperlichen Angriffe auf Reporter sind der nächste Schritt der Eskalation. Dafür sollte dieser Blog-Post sensibilisieren. Mehr nicht. Denn was ich bemerke ist, dass das Vertrauen untereinander erodiert. Und darin kann ich keine gute Entwicklung für eine konstruktive Debattenkultur in einer Demokratie erkennen.
Vielen Dank, Kawin. Sie verstehen, was ich sagen wollte.
Mit Verlaub: Ja, wenn eine Person der Zeitgeschichte nicht mit einem sprechen möchte, dann muss man leider andere Weggefährten befragen. Wir haben mit sehr unterschiedlichen Personen auf dem Lebensweg von Herrn Edathy sprechen können – auch um Entlastendes über ihn zu erfahren und manche veröffentlichte Übertreibung gerade zurücken. Wenn man dann öffentlich bloßgestellt wird, wird diese Arbeit jedoch erschwert.
Mit Verlaub: Ja, wenn eine Person der Zeitgeschichte nicht mit einem sprechen möchte, dann muss man leider andere Weggefährten befragen. Wir haben mit sehr unterschiedlichen Personen auf dem Lebensweg von Herrn Edathy sprechen können – auch um Entlastendes über ihn zu erfahren und manche veröffentlichte Übertreibung gerade zurücken. Wenn man dann öffentlich bloßgestellt wird, wird diese Arbeit jedoch erschwert.