„Nur wer sich ändert, bleibt sich treu“, sang Wolf Biermann 1991, und es könnte der Soundtrack zur aktuellen Ausgabe der ZEIT sein. Denn die ZEIT sieht von dieser Woche an etwas anders aus.
Uns haben jene Fragen bewegt, die sich eine Zeitung immer wieder stellen muss: Wie können wir Sie, unsere und Leser und Leserinnen, noch überraschen? Wie bleibt unsere Arbeit für Sie relevant? Und wie gehen wir als Journalistinnen und Journalisten mit dem wachsenden Misstrauen aus Teilen der Gesellschaft um? Eine Antwort soll das neue Ressort Streit geben. Warum ausgerechnet Streit? Haben wir nicht schon genug davon? Brauchen wir nicht eher Versöhnung, da der politische Diskurs oft vergiftet ist und es vielen darum zu gehen scheint, einander absichtsvoll misszuverstehen?
Nein, zwischen den Polen, in der Mitte, steht eine große Anzahl von Menschen, die sich hart, aber sachlich auseinandersetzen möchten. Diesen Menschen und ihren Argumenten geben wir eine Bühne. „Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine“, hat unser früherer Herausgeber Helmut Schmidt einst gesagt; wir nehmen ihn beim Wort. Das Streit-Ressort, das in enger Abstimmung mit der Community-Redaktion von ZEIT ONLINE entwickelt wurde, finden Sie ab dieser Woche im Anschluss an den Politikteil der gedruckten ZEIT sowie unter zeit.de/streit.
Eine weitere Veränderung steht mitten im Blatt. Das Bildungsressort Chancen und das Ressort Wissen schließen sich zum neuen Großressort Wissen zusammen, aufgeteilt in zwei Teile, die wir Bücher nennen: Wissen I und Wissen II. Der Auftrag für Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten heißt: Aufklärung. Das neue Ressort geht den Dingen auf den Grund, es benennt Tatsachen ebenso wie Ungewissheiten und macht Quellen und die Faktenlage transparent. ZEIT-Leo, die Seite für Kinder, wandert vom Schluss der Zeitung in die Mitte: ans Ende des Wissens.
Näher zusammenrücken werden auch das Hauptstadtbüro in Berlin und das Hamburger Politik-Ressort. Von einer gemeinsamen Führung versprechen wir uns noch mehr Schlagkraft bei der Recherche und Einordnung in politisch aufgerauten Zeiten. Regelmäßig erscheint jetzt hier der politische Fragebogen. Zum Start: Carola Rackete. All das führt auch im Rest des Blattes zu einigen Umbauten: Die Inhaltsseite, von der aus Sie sich die ZEIT erschließen können, finden Sie künftig am Ende des ersten Zeitungsbuchs. Recht & Unrecht rückt dafür ans Ende des Dossier-Buchs. Wir hoffen, dass wir Ihre Neugier geweckt haben für die neue, alte ZEIT.
Welche Überlegungen und welches Selbstverständnis die Arbeit der Ressortleiterinnen und Ressortleiter der neuen Ressorts der ZEIT leiten, erklären sie hier in eigenen Worten:
Das Hamburger Politik-Ressort und das Berliner Hauptstadtbüro werden ein Standort-übergreifendes Großressort POLITIK
von Marc Brost, Elisabeth Raether, Heinrich Wefing
Die Welt erlebt eine neue Phase der politischen Unübersichtlichkeit und Fragilität. Konflikte spitzen sich zu, das Bewährte gerät unter wachsenden Druck, es muss neu begründet und verteidigt werden – und mitunter muss das Bestehende auch über den Haufen geworfen werden. Unsere journalistische Aufgabe ist es, Strukturen, Hintergründe und Zusammenhänge zu zeigen, zu erklären und zu bewerten, damit sich unsere Leser selbst ein Urteil bilden können.
Im neuen Großressort Politik betrachten wir die Welt und ihre politischen Debatten deswegen in ihrer Gesamtheit und Komplexität. Wir stellen Dilemmata und Widersprüche dar, statt zu vereinfachen. Wir trennen nicht mehr zwischen Innen- und Außenpolitik, zwischen Bundes- und Landespolitik, zwischen nationalen, europäischen und internationalen Themen. Wir zeigen, wie sie sich wechselseitig beeinflussen. Unser Journalismus soll vielschichtig informieren, er soll aufklärerisch und aufrüttelnd sein. Unser Politikbegriff ist umfassend, und erstreckt sich auf alle gesellschaftlichen Bereiche. All dies geschieht in enger Abstimmung mit den Kolleginnen und Kollegen von ZEIT ONLINE in Berlin.
Warum wir STREIT brauchen
von Jochen Bittner und Charlotte Parnack
Ganz Deutschland, ja die ganze Welt streitet unentwegt – und jetzt auch noch die ZEIT? Aber ja. Denn wenn die Mitte sich nicht streitet, stärkt das die Ränder. Aus dieser Überzeugung ist das neue Ressort Streit geboren.
Guter Streit ist das angstfreie, aber respektvolle Ringen um das beste Argument. Schlechter Streit findet sich überall. Das Ressort Streit tritt mit dem Anspruch an, einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, den Begriff wieder positiv zu besetzen und die Auseinandersetzung zu rezivilisieren. Aufmerksamkeit verdient nicht, wer besonders laut ruft, sondern wer klug denkt und argumentiert. Im Ressort Streit wollen wir die Schmerzpunkte von Debatten identifizieren und sie bearbeiten statt um sie herum zu reden. Wir wollen möglichst schnell zum Kern der Sache kommen – auch wenn das manchmal wehtut. Denn Streit ist der Treibstoff des Fortschritts.
Natürlich darf es dabei auch einmal emotional zugehen. Emotionen sind schließlich wichtige Triebfedern für Streit. Aber sie ersetzen nie das Argument selbst. Wir wollen uns an die gute, alte englische Fußball-Fairnessregel halten: play the ball, not the man. Und natürlich soll unser Streit nicht im Elfenbeinturm der Redaktion und vermeintlicher Experten stattfinden. In Zusammenarbeit mit unseren Kolleginnen und Kollegen von ZEIT ONLINE und deren rasch wachsender und sehr streitfreudigen Community wollen wir den Streitraum öffnen.
Gestalterisch und blattmacherisch wollen wir den Streit sichtbar machen: Textblöcke werden aufgebrochen, Fakten und Zusammenhänge eingeschoben, die Streitenden von den besten Fotografen porträtiert. Unser Streit ist auch optisch echt, nah, warm und manchmal auch wuchtig und witzig. Unser Blick auf den Menschen ist dabei nie ein zynischer, sondern ein zugewandter. Wir wissen, dass zu einem guten Streit immer zwei Perspektiven gehören – und haben dazu auch optische Formate entwickelt (siehe oben). So ist unser Layout flexibel wie ein gute Diskussion. Wenn zwei sich streiten, freut sich bekanntlich ein Dritter. Im besten Falle sind dieser Dritte Sie, unsere Leser.
Aus CHANCEN und WISSEN wird: mehr WISSEN
Von Manuel J. Hartung und Andreas Sentker
Der Auftrag für Wissenschaftsjournalisten ist Jahrhunderte alt und heute aktueller denn je. Er lautet: Aufklärung.
Unser Antrieb ist der konstruktive Zweifel. Wir gehen den Dingen auf den Grund. Wir benennen unbequeme Wahrheiten ebenso wie unbequeme Ungewissheiten. Wir prüfen Quellen und Fakten. Wir sind unvoreingenommen und leidenschaftlich zugleich.
Im Mittelpunkt unserer Arbeit stehen unsere Leserinnen und Leser. Wir möchten ihnen Orientierung geben. Wir möchten ihnen ermöglichen, an den großen Debatten und gesellschaftlichen Diskursen teilzuhaben. Wir stellen uns den Themen, die unsere Leser bewegen – in der Zeitung, auf ZEIT ONLINE und auch Live.
Wir beschreiben die Welt. Wir decken den Missstand auf, aber wir schreiben mit derselben Leidenschaft auch über die gute Nachricht, erzählen die Erfolgsgeschichte. Wir sind offen für das Neue und dabei verlässlich in unseren Grundwerten.
Wir bauen auf dem Fundament der Wissenschaft auf. Die Wissenschaft stellt Fragen. Sie stellt Thesen auf. Sie macht Experimente. Sie diskutiert die Ergebnisse. Sie publiziert in kontrolliertem Umfeld mit strengen Regeln.
Wir legen daher auch die Bedingungen unserer Arbeit offen. Wir beschreiben, was wir wissen – und auch, was wir nicht wissen. Wir legen unsere Quellen offen. Wir machen die Grenzen unserer Recherchen transparent.
Wir arbeiten interdisziplinär: Wir sind überzeugt, dass man über gute Schule besser streiten kann, wenn man über Hirnforschung und Digitalisierung bescheid weiß – und besser über Wissenschaftspolitik diskutiert, wenn man die Forschung von Archäologie bis Zoologie mitbedenkt.
Unsere Welt ist mehr denn je von Wissenschaft und Bildung geprägt. Wir brauchen gute Ideen. Darum brauchen wir kluge Köpfe. Unser Blick auf das Bildungssystem ist daher fordernd, unser Blick auf die Wissenschaft erwartungsvoll offen. Wir haben hohe Erwartungen und setzen strenge Kriterien an.
Wissenschaft ist ohne Demokratie nicht denkbar, Demokratie nicht ohne Wissenschaft. Sie brauchen, sie kontrollieren einander. Unsere Erwartungen an das Bildungssystem wie an das Wissenschaftssystem resultieren nicht nur aus gesellschaftspolitischen Bedürfnissen und abstrakt formulierten Forschungsbedarfen, sondern auch aus schlichter Neugierde und der Lust am Staunen.
Daher haben wir die bisherigen Ressorts CHANCEN und WISSEN zu einem Großressort WISSEN vereint: es versteht sich in jeder Hinsicht als Zukunftsressort.
Nach 30 Sperrungen glaub ich euch das Gesülze schlicht und einfach nicht mehr. Ihr wollt nicht diskutieren, ihr wollt recht behalten. Und wenn das nicht funktioniert, wird gesperrt. Und der Rest sind dumme Nazis.
Die ZEIT kann immer noch nicht begreifen warum die Wähler AfD wählen und dann behaupten sie, man sei trotzdem oder gerade deshalb, weil man es nicht begreift, intelligenter.
Ich werde Sie an jedes Ihrer hehren Ziele erinnern. Wenn Sie beispielsweise bei meinem Lieblingsthema Feminismus Fakten weglassen oder die Realität an der Wahrnehmung bestimmter Filterblasen ausrichten, haben Sie mich auf den Hacken. Umgekehrt verspreche ich, meinen manchmal ätzenden Ton zu bremsen. Also, auf fruchtbaren Streit.
Toll! Viel Erfolg beim Erziehen der Bürger weiterhin.
Hört sich gut an. Bin jetzt schon gespannt auf Donnerstag
‚Denn wenn die Mitte sich nicht streitet, stärkt das die Ränder. Aus dieser Überzeugung ist das neue Ressort Streit geboren.‘ … dann bin ja aber neugierig, ob die ZEIT nun auch probieren wird, die Mitte abzudecken. Bisher ist man eher grün und stark links. Ich bleibe vorsichtig optimistisch.
Dann wünsche ich der Zeit viel Erfolg damit!
Was Ihre Absichten zum Thema „Streit“ betrifft – ich moechte Ihnen glauben. Ob ich es kann? Ich bin unsicher. In jedem Fall wuensche ich Ihnen Erfolg, und dass Sie es hinbekommen, im Umgang mit unbequemen (aber sachlich geaeusserten) Ansichten oder Repliken ueber Ihren Schatten zu springen.
Zitat: „“Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine“, hat unser früherer Herausgeber Helmut Schmidt einst gesagt; wir nehmen ihn beim Wort.“
Ah ja, bin Mal gespannt, wie schnell das bei Themen wie Migration oder AfD über Bord geworfen wird.
„Wissenschaft ist ohne Demokratie nicht denkbar, …“
Tausendfach wiederlegt. Aber im Gewebe des Textes hat es den Fluss nicht gestört.
Nicht diejenigen die streiten sind zu
fürchten ,
sondern die , die ausweichen.
In diesem Sinne :
Der gesamten Redaktion und uns Allen–Alles Gute !