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So haben wir Plan D erfunden

 

2024 wird außergewöhnlich – darüber waren wir uns in der Redaktion im Sommer vergangenen Jahres einig: Es gibt Wahlen in drei ostdeutschen Bundesländern, in Kommunen, in Europa. Und das, während rechtsextreme Gruppen an Einfluss gewinnen und die Auswirkungen von Krieg und Krisen für die Menschen nicht nur finanziell zu spüren sind, sondern auch auf die Gemüter schlagen.

Wir wollten für dieses außergewöhnliche Jahr einen neuen Weg finden, die Stimmung im Land in ihren ganz unterschiedlichen Ausprägungen abzubilden.

Nur wie?

Im Herbst 2023 hat sich deshalb ein Team aus sieben Kolleginnen und Kollegen aus Print- und Onlineredaktion zusammengetan, um etwas ganz Neues zu erfinden.

Das Ressort Plan D – vordere Reihe von links: Luisa Thomé (Ressortleitung X ZEIT ONLINE), Elisabeth Raether (Politik-Redakteurin DIE ZEIT), Alisa Schellenberg (Redakteurin ze.tt & ZEIT Campus ONLINE), Frida Thurm (verantwortliche Redakteurin Gesellschaftsressort ZEIT ONLINE); hintere Reihe von links: Jannis Carmesin (Podcast-Redakteur ZEIT ONLINE), August Modersohn (stellvertretender Büroleiter Leipzig), Carlotta Wald (Politik-Redakteurin DIE ZEIT). Foto: Marzena Skubatz für ZEIT ONLINE

In der Vergangenheit sind aus solchen Experimenten bei ZEIT und ZEIT ONLINE einige unserer stärksten, teils preisgekrönten, Projekte entstanden, darunter Deutschland spricht, Z2X und Die 49.

Wir wollten auch diesmal näher an unsere Leserinnen und Leser rücken, die Alltagsprobleme der Menschen besser verstehen und konkreter erzählen. Wir planten eine mobile Redaktion, neue Standorte. Wir sprachen über die vielen Probleme, von denen wir berichten wollten.

Dann kam der Januar 2024.

Nachdem das rechtsextreme Netzwerktreffen von AfD-Politikern und Geschäftsleuten aufgedeckt worden war, gingen Hunderttausende bundesweit auf die Straße. Die Proteste gehörten zu den größten Demonstrationen in der Geschichte des Landes. Und plötzlich war da neben Endzeitstimmung etwas Neues zu spüren: Tatendrang. Viele Menschen fragten sich: Was kann ich für die Demokratie tun?

Plötzlich konnte man sehen, dass die Gesellschaft nicht nur die vielen Probleme und Herausforderungen sieht. Die Menschen wollen auch nicht mehr abwarten. Sie wollen etwas tun. Alle konnten das sehen.

Wir wollten ein journalistisches Format, das beides verbindet: In dem die Menschen von ihren Problemen erzählen können. Von dem Bus, der nicht fährt und vom Arzttermin, den sie nicht bekommen. Von der Schule, die schimmelt, von der Einsamkeit, von der politischen Angst. Es gibt dringende Probleme in diesem Land, quer über alle politischen Lager hinweg. Sie verdienen Aufmerksamkeit.

Gleichzeitig wollten wir dem Tatendrang der Menschen ein Forum geben, all jenen, die schon jetzt ihre Energie einsetzen, um in diesem Land etwas zum Besseren zu wenden – und sie verbinden mit denen, die in ihrem Alltag vor Problemen stehen.

So entstand Plan D: Das vielleicht größte Crowdsourcing in der Geschichte von ZEIT ONLINE. Eine Reparaturwerkstatt. Ein Ort des Austauschens und voneinander Lernens. Einen konstruktiven Vorschlag in all diesem legitimen Verdruss.

Seit Ende März fragen wir auf ZEIT ONLINE: Was ist Ihr Problem? Und: Wie reparieren Sie Deutschland? Wir riefen auf: Erzählen Sie uns, wo Deutschland in Ihrem Alltag nicht funktioniert! Und zeigen Sie uns, wo Sie bereits etwas dagegen tun.

In den ersten Wochen erreichten uns fast 5.000 Einreichungen, mehr Probleme als Lösungen. Die meisten Probleme aus dem Bereich Mobilität. Die meisten Lösungen aus dem Bereich Soziales. Zu dem Kernteam aus Redakteuren waren längst unsere Entwicklungsredakteurinnen, Datenjournalisten, und Programmierer gestoßen.

So entwickelten wir das Verzeichnis von Plan D

Jeder einzelne Beitrag wurde von uns gelesen, auf Lesbarkeit bearbeitet und mithilfe von Künstlicher Intelligenz in Kategorien sortiert. Zur Pflege der Daten haben wir eigens eine redaktionelle Anwendung geschrieben, die wir Konsole nennen: Hier können Texte bearbeitet und Zuordnungen von Problemen und Lösungen organisiert werden. Probleme und Lösungen werden verknüpft, wenn sie zusammenpassen: Eine Anwendung überträgt sofort nach Einreichung jeden Post in eine Vektordatenbank, um ihn später möglichst gut der jeweils anderen Kategorie zuzuordnen – Probleme zu Lösungen und umgekehrt. Ein Redaktionsteam sichtet laufend die so automatisch gefundenen Zuordnungen und markiert die am besten geeigneten. Diese Zuordnungen werden mit jeder neuen Einsendung fast in Echtzeit aktualisiert – schließlich kann es sein, dass nun endlich die Lösung für ein Problem eingereicht wurde, das schon lange in unserer Datenbank schlummerte!

Mehrere KI-Verfahren helfen uns außerdem, innerhalb der Kategorien Themen zu finden und die Posts in diese Themen einzusortieren. Dazu untergliedern wir die Posts mit Hilfe eines BERT-Modells für Sprachverarbeitung und eines Cluster-Algorithmus in Themengebiete; für manche Kategorien nutzen wir alternativ auch chatGPT zur Klassifikation.

Durch diese Vorarbeit können Leserinnen und Leser später im Verzeichnis – dem Herzstück von Plan D – Probleme und Lösungen bequem und übersichtlich durchsuchen. Sie können sich nur die Probleme anzeigen lassen, für die es schon Lösungsvorschläge gibt und Sie können natürlich für alle Probleme eigene Lösungsvorschläge einreichen. Dafür haben Designer und Programmierer von ZEIT ONLINE ein kompaktes Layout entwickelt, das die Fülle an Informationen verständlich zusammenfasst. Das Verzeichnis kann direkt auf der Homepage dargestellt werden.

 

Und das ist erst der Anfang!

2024 ist schon jetzt ein außergewöhnliches Jahr. Und ab sofort berichten wir in vielen neuen Formaten über das, was Leserinnen und Leser uns schicken und über das, was sie bereits tun, um in diesem Land etwas zu bewegen.

Plan D soll mithilfe unserer Leserinnen und Leser ab sofort wachsen und zur größten Reparaturwerkstatt Deutschlands werden. Und wer weiß, vielleicht haben wir ihn ja am Ende, den Plan D.