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Wann wir die Herkunft eines Tatverdächtigen nennen

 

Dieser Text erscheint in unserem neuen Glashaus-Blog. Was es damit auf sich hat, erfahren Sie hier.

Spätestens seit den Übergriffen in der Silvesternacht von Köln wird diskutiert, ob der Pressekodex, den sich die Medien selbst gegeben haben, noch zeitgemäß ist. Es geht dabei nur um einen kurzen Absatz, die Ziffer 12.1:

„In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.“

Auch in diesen Tagen wird der Passus wieder diskutiert, nach dem Mord an einer Studentin in Freiburg. So fordert der Generalsekretär der CSU, Andreas Scheuer, in der Welt: „Um Fakten und Unwahrheiten zu trennen, müssen seriöse Medien heute alle bekannten Fakten veröffentlichen, um damit auch wilden Spekulationen Einhalt zu gebieten. Ich finde: Die Herkunft der Täter und Opfer muss grundsätzlich genannt werden.“

Wann nennt ZEIT ONLINE die Herkunft eines Täters?

Wir halten die geltende Formulierung des Pressekodex für sinnvoll und richten uns danach. Wenn wir – wie beispielsweise bei der Berichterstattung über Köln – glauben, dass die Herkunft von Tatverdächtigen wichtig ist, um ein Ereignis zu verstehen, dann nennen wir sie.

Die Sache ist aber kompliziert.

So taugen etwa die Ereignisse von Köln und Freiburg nicht besonders gut als Beispiele für einen Grenzfall, fast alle Medien haben schließlich in beiden Fällen die mutmaßliche Herkunft der Täter genannt – zumindest bei Köln auch mit ausdrücklicher Billigung des Presserates.

Was ist „Herkunft“?

Köln illustriert dafür umso besser ein anderes Problem: Wenn wir glauben, dass die Herkunft eines Tatverdächtigen eine relevante Information ist, auf welche Information genau greifen wir dann zurück? Reichen uns Zeugenaussagen, die uns nur über Dritte erreichen? Was wissen wir wirklich über den oder die Verdächtigen? Im Fall Köln konnten wir zum Zeitpunkt unserer ersten Meldung am 4. Januar noch mit keinem Zeugen oder gar Tatverdächtigen selbst sprechen. Selbst Tage nach den Vorfällen gab es nur vage Zeugenaussagen, die von „nordafrikanischem Aussehen“ der mutmaßlichen Täter sprachen. Recherche dauert, berichten müssen wir aber oft sofort.

Meist handelt es sich in solchen Fällen zunächst auch um Tatverdächtige, nicht um Täter. Sie könnten unschuldig sein und nicht selten sind sie das. Darüber muss sich eine Redaktion im Klaren sein, wenn sie sich entschließt, die Herkunft zu nennen.

Und was genau bedeutet eigentlich „Herkunft“? Wenn jemand seit 30 Jahren in Deutschland lebt und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, wird er in allen rechtlichen Belangen als Deutscher behandelt. Wird er einer Straftat verdächtigt, ist er dann doch wieder Deutsch-Türke, Deutsch-Japaner oder Deutsch-Schwede? Sind auch Deutsche, deren Familien in der dritten Generation hier leben, nicht deutscher Herkunft? Ab wann ist man eigentlich Deutscher?

Es ist also kompliziert und schon deshalb wichtig, dass Redaktionen (und Leser, Zuschauer, Zuhörer) die Grundsätze des Journalismus immer wieder hinterfragen. Nach den Vorfällen in Köln haben das viele Redaktionen getan, einige wünschten sich eine Änderung der genannten Ziffer 12.1 im Pressekodex. Sie kam allerdings nicht zustande.

Im Zweifel für die Herkunft?

Es stimmt natürlich, was der CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sagt: Die Nichtnennung der Herkunft kann je nach Kontext zu „wilden Spekulationen“ führen. Dazu ein Beispiel, das uns eine ostdeutsche Redaktion berichtet: Schreibe man in eine Diebstahlmeldung nicht die Herkunft des Tatverdächtigen, würden viele Leser stillschweigend davon ausgehen, dass er aus Osteuropa stamme. Man müsse also explizit erwähnen, ob es sich um einen Deutschen handele oder nicht, um im Sinne des Pressekodex Diskriminierung zu vermeiden.

Auch der Pressekodex befreit Redaktionen nicht davon, täglich neu zu diskutieren, wie sie mit Informationen umgehen. Für ZEIT ONLINE stellt sich die Frage nach der Nennung der Herkunft von Tatverdächtigen dabei übrigens seltener als beispielsweise für Boulevard- oder regionale Medien. Denn einzelne Straftaten – Diebstähle, Überfälle, Körperverletzung, Mord – sind für uns meist kein Nachrichtenthema. Mehr dazu steht in diesem Glashaus-Beitrag.

65 Kommentare

  1.   theobald tiger

    @manveras

    Wenn Sie sich nicht auskennen, sollten Sie nicht kommentieren. Selbstverständlich hat Österreich einen Pressekodex.

    http://www.presserat.at/show_content.php?hid=2

  2.   franklin1961

    Und was genau bedeutet eigentlich „Herkunft“?

    Man kann mit detaillierten Angaben zur Person immer die wildesten Bilder beim Leser erzeugen. Vom Land oder aus der Grosstadt, alt oder jung, Akademiker oder arbeitslos etc.
    Bloß wartet der Online-Journalist (Klickzahlen im Hinterkopf) selten solange, bis die Polizei ihm mehr mitteilt als Alter, Geschlecht und Nationalität.

    Für ZEIT ONLINE stellt sich die Frage nach der Nennung der Herkunft von Tatverdächtigen dabei übrigens seltener als beispielsweise für Boulevard- oder regionale Medien.

    Ob ZEIT-online ausserhalb der Konkurrenz im Online-Business steht, wage ich vorsichtig zu bezweifeln.

    Schreibe man in eine Diebstahlmeldung nicht die Herkunft des Tatverdächtigen, würden viele Leser stillschweigend davon ausgehen, dass er aus Osteuropa stamme.

    Oder er arbeitet in der Frankfurter Kaiserstrasse und geht stillschweigend davon aus, dass es sich um einen Junkie handelt.

    Ab wann ist man eigentlich Deutscher?

    Vielleicht ist die Sehnsucht, als Deutscher zu gelten, um so grösser, je schlechter das Image des Herkunftslandes hierzulande ist.

  3.   Andreas Bitz

    Trauen Sie doch mal Ihren Lesern
    Der Bildungsgrad Ihrer Leserschaft ist Ihnen doch sicher bekannt. Trauen Sie Ihren Lesern so wenig eigenes Urteilsvermögen zu, sich nicht selbst ein Bild von der Lage zu machen? Sind Journalisten die Nanny des Lesers, der vor Fehleinschätzungen bewahrt werden muß. Und was falsche Einschätzungen, Erkenntnisse, Meinungen, zulässige Herkunftsnennungen sind bestimmen …?

  4.   Nevyn

    Das Hauptproblem dürfte wohl darin bestehen, dass Zeitungen nicht einfach nur die Fakten berichten (können). Sie üben mit der Art ihrer Berichterstattung immer eine Wirkung auf die Leserschaft aus, die bedacht werden muss.
    Nennt man die Herkunft, hat das eine Wirkung, nennt man sie nicht, hat es aber auch eine.
    Man kann auch mit guter Absicht Schlechtes tun. Die teilweise grotesken Verrenkungen, die bei solchen Meldungen angestellt werden, bewirken eben tatsächlich das genaue Gegenteil der Absicht.
    Inzwischen geht wohl nahezu jeder Leser davon aus, dass wenn die Herkunft nicht genannt wird oder mit verschwommenen Begriffen operiert wird, es sich um einen Migranten handeln muss. Das beschädigt die Glaubwürdigkeit.
    Ich habe übrigens nicht die Feststellung machen können, dass wahrheitsgemäßes Berichten zu Empörungsreaktionen führt. Die entstehen eher in dem Gerüchte- und Verschleierungsnebel, der durch unvollständige Berichterstattung erst möglich wird.
    Und wenn es die Wahrheit ist, dass ein Großteil der Eigentumsstraftaten im Grenzgebiet zu Polen von Osteuropäern begangen wird, dann ist das eben schlicht die Wahrheit. Es verschleiern zu wollen halte ich höflich gesagt für unklug. Die Leute sind nicht dämlich, fühlen sich vera….t und wählen, was sie sonst nicht wählen würden.
    Fazit: Das Gegenteil von Gut ist nicht Schlecht sondern Gut gemeint.

  5.   Balduin-das-Schloß

    Die Frage, die ich mir stell, ist: Erfahre ich, was passiert ist, oder erfahre ich, was Journalisten gerne hätten? Machen sie sich die Welt, wie sie ihnen gefällt? Ich möchte informiert werden, nicht erzogen.

    Klar ist es eine Herausforderung, „richtig“ über Geschehenes zu berichten. Die Wirklichkeit kann ich mir nicht aussuchen. Über das Verschwinden der Studentin in Freiburg wurde bundesweit berichtet. Es liegt nahe, auch über den mutmaßlichen Täter und seine Ergreifung zu berichten. Die Tat und seine Herkunft können sich nachträglich nicht ändern, auch nicht durch die Art, wie darüber berichtet wird.

    Was ist dann „richtig“? Klar: Die Journalisten müssen etwas können und einen Kompass haben. Ob da ein Pressekodex aus dem Elfenbeinturm hilft? Ein Journalist hat ihn verteidigt. Die Auslassung der persönlichen Umstände bei Täterbeschreibungen habe funktioniert:

    http://www.deutschlandfunk.de/pressekodex-zu-straftaetern-es-gibt-eine-grosse.694.de.html?dram:article_id=348166

    Ich fürchte allerdings, dass Diskussionen auf diese Art nicht verhindert werden können. Journalisten müssen heute ganz besonders viel können. Selektive Wahrnehmung wird sie dafür nicht fit halten.

  6.   Narrenfrei_

    Nicht-Nennung der Herkunft ist aus der Idee entstanden, dass gerade bei von Ausländern begangenen Straftaten die Herkunftsnennung als „Bestätigung“ für ausländerfeindliche Kreise wirken wird. Das will man vermeiden, und es ist verständlich.

    Demgegenüber steht, eigentlich mit ganz großen Buchstaben geschrieben, das Recht der Bevölkerung auf objektive Information. Denn sobald Informationen bestimmter Art, die Journalisten vorliegen, explizit verschwiegen werden (müssen), ist es keine neutrale Berichterstattung mehr. Der Presserat, der sich als fachliches Aufsichtsorgan benimmt und freien Medien Rügen erteilt, ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Niemand darf in einem demokratischen Land auf eine freie journalistische Berichterstattung Einfluss nehmen. Jedes einzelne Pressemedium muss vollkommen frei entscheiden können, was, wie und wann es schreibt. Jeder Leser muss frei entscheiden können, was, wie und wann er liest. Kein „Besserwisser“ darf freie Presse und freie Bürger belehren, worüber sie lieber gar nicht berichten und wissen sollen, wie auch immer dieser „Besserwisser“ gut meint.

    Jetzt, wenn unser Land eine tiefste gesellschaftliche Krise seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt, sehen wir alle, wie sauer dieses im Grunde undemokratische Konstrukt „Pressekodex“ und daraus resultierende Selbstzensur allen großen Medien und unserer gesamten Gesellschaft aufstößt. Glaubwürdigkeit seriöser Medien geht in der Bevölkerung jeden Tag verloren, was die Verunsicherung und Ängste der Leute nur zusätzlich verstärkt.

    Es ist höchste Zeit, den Presserat aufzulösen, den Pressekodex öffentlich aufzukündigen und die volle Freiheit der Berichterstattung im Sinne vom Artikel 5 des Grundgesetzes in allen seriösen Medien zu erklären.

  7.   DocWho

    Pressefreiheit. Natürlich können Journalisten gemäß zensieren nach der Meinung des Chefredakteurs oder irgendwelchen Kodexi.
    Das Problem ist allerdings dabei, dass somit wilde Spekulationen und Verschwörungstheorien geboren werden. In der Folge verschwindet das das Vertrauen in die Berichterstattung der Medien. Warum erklärt man den Bürger nicht für mündig und informiert mit Tatsachen. Die Herkunft gehört dazu. Ob er nun immer oder in der dritten Generation hier aufgewachsen ist oder nicht. Geht es hier nicht auch um einen Problemkreis aus dem Nahen Osten, Nordafrika mit einer bestimmten Religion ?

  8.   H. Winter der III.

    „Vierte Gewalt, vierte Macht oder publikative Gewalt wird als informeller Ausdruck für die öffentlichen Medien, wie Presse und Rundfunk, verwendet.
    „Vierte Gewalt“ meint dabei, dass es in einem System der Gewaltenteilung eine vierte, virtuelle Säule gibt. Neben Exekutive, Legislative und Judikative gibt es danach die Medien, die zwar keine eigene Gewalt zur Änderung der Politik oder zur Ahndung von Machtmissbrauch besitzen, aber durch Berichterstattung und öffentliche Diskussion das politische Geschehen beeinflussen können.So steht es bei Wikipedia.
    Ich meine zu erkennen, daß alle vier Säulen nicht mehr richtig oder und unabhängig funktionieren. Alles hat sich zu sehr mit sich vermischt, und wird
    der einheimischen Bevölkerung nicht mehr gerecht.

  9.   H. Winter der III.

    Es gab mal eine Zeit,da wurden die Gesichter mit einem schwarzen Balken
    vor der Augenpartie abgebildet.Darunter wurde der Vorname und lediglich der
    Anfangsbuchstabe des Nachnamens gedruckt, egal ob Peter G. oder Mustafa S.,
    diese Regelung fand ich am ausgewogensten zwischen Information zum Sachverhalt
    und Anonymisierung.Wenn daraus sich ein Bild ergibt wo gewisse Volksgruppen
    eher zur Kriminalität neigen, dann sollte man das erstmal akzeptieren.
    Dann sollte sich die Gesellschaft samt seinen Politikern und Medien daran
    abarbeiten diesen Zustand zu ändern, statt zu verschleiern und zu verheimlichen
    Ich weiß zwar nicht was heute für Werte einem Kleinkind vermittelt wird,
    aber von uns wurde erstmal erwartet sich anständig und ehrlich zu verhalten,
    die Wahrheit zu sagen,egal was dies für Konsequenzen hat.Und heute liest man
    nur noch von Politikern und Medien die halbe Wahrheit (Kodex).
    Ich würde immer ein Nachrichtenquelle bevorzugen und eher vertrauen,
    die ohne einen Pressekodex berichtet um mir eine Meinung zu bilden.

  10.   Besondere Aufgaben

    Aktueller geht’s gar nicht, wenn man sich das Wort des Jahres anschaut. Der Pressekodex stammt aus einer Zeit, als der Zugang zu Fakten und die Hoheit der Meinungsbildung eine Domäne des Journalismus, noch mehr des Qualitätsjournalismus war. Damit ist es ein für allemal vorbei. Subtrahiert man mal die für Fakten eh nicht mehr zugänglichen, ideologisch gefestigten Anteile der Bevölkerung, bleibt immer noch eine sehr große Mehrheit übrig, die auf einen seriösen Journalismus angewiesen ist – und die ebenso darauf angewiesen ist, zur Verteidigung gegen postfaktische Argumentation eben alle Fakten mitgeteilt zu bekommen. Hat man das Gefühl, dass dies seriöse Quellen nicht tun, weicht man eben auf weniger seriöse aus. Ich finde rechtes Gedankengut widerlich, bin aber in schwachen Stunden zugegebenermaßen dafür anfällig und mit Sicherheit nicht der einzige, dem es so geht; könnte ich mich auf ZON bedingungs- und lückenlos verlassen, wäre das vielleicht nicht oder weniger der Fall. Vielleicht sehen gute Journalisten ihre Daseinsberechtigung auch darin, das Volk zu erziehen – gerade bei Linken ist dies ja nicht selten; aber, Leute, diesen pädagogischen Impetus brauche ich nicht. Wir sind nicht in der Schule; Ihr müsst mir schon genügend Intelligenz zutrauen, Informationen richtig sortieren und meine Vorurteile im Zaum halten zu können – und wenn ich es nicht bin, kann’s Euch eigentlich auch wurscht sein.

 

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