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Wann ist eine Nachricht für uns eine Nachricht?

 

Dieser Text erscheint in unserem neuen Glashaus-Blog. Was es damit auf sich hat, erfahren Sie hier.

Tausende Informationen erreichen uns jeden Tag über die Nachrichtenagenturen, über Twitter, Facebook, über unsere Korrespondenten und Reporter, über andere Medien. Diese Informationen kommen zu uns ungefiltert, unsortiert, in einem nie versiegenden Strom: „Donald Trump ernennt Exxon-Chef zum Außenminister„, „Syrische Armee richtet Zivilisten hin„, „Superheldin Wonder Woman nicht mehr länger UN-Botschafterin„, „Fanta-4-Manager findet Musikgeschäft nur halb so glamourös wie gedacht“ …

Wir können und wollen nur einen Bruchteil dieser Meldungen veröffentlichen. Nicht alle diese Informationen sind für uns gleich wichtig. Unser Beruf ist es auch, eine Auswahl zu treffen: Was ist so relevant, dass wir eine Meldung, eine Geschichte daraus machen? Hundertfach am Tag stellen wir uns diese Frage, diskutieren darüber und entscheiden.

Was für ZEIT ONLINE eine Nachricht ist, dafür gibt es keine allgemein gültigen Regeln, wohl aber einige Leitfragen, an denen wir uns orientieren: Handelt es sich um eine echte Neuigkeit? Sind viele Menschen davon betroffen? Sind politische oder gesellschaftliche Folgen absehbar? Das Vermischte, den Boulevard ignorieren wir deshalb weitgehend; ihn würdigen wir wenn, dann auf andere Weise.

Auch die Tatsache, dass ZEIT ONLINE ein überregionales Medium ist, hat Einfluss auf unsere Nachrichtenauswahl. Was für Leser in einer Stadt oder einem Dorf wichtig sein kann, ist es nicht zwangsläufig für alle Menschen in Deutschland oder darüber hinaus.

Deshalb berichten wir, wie bereits  hier beschrieben, in der Regel nicht über einzelne Straftaten und Kriminalfälle. Gleiches gilt für Unfälle oder – das Wetter. Es sei denn, die Ereignisse bekommen eine größere Bedeutung, erhalten gesellschaftliche Relevanz. Etwa weil U-Bahn-Schläger zu einem Phänomen werden, ein Passagierflugzeug abstürzt oder ein Zug entgleist und dabei viele Menschen sterben, sogenannte Motorradrocker sich einen Machtkampf liefern oder sich am Wetter Folgen des Klimawandels beobachten lassen.

Manchmal liegen wir mit unseren Entscheidungen falsch oder die Relevanz eines Ereignisses wird erst mit der Zeit deutlich. So haben wir über die Studentin Tuğçe A. aus Offenbach, die Opfer ihrer Zivilcourage wurde, erst einige Tage nach dem eigentlichen Vorfall berichtet: nämlich als deutlich wurde, dass die einzelne, brutale Tat eines Jugendlichen eine größere Debatte über Zivilcourage und Gewalt in unserer Gesellschaft auslöst.

Was ist die Quelle?

Aber nicht nur die Relevanz eines Themas entscheidet über unsere Nachrichtenauswahl, sondern auch die Quelle der Meldung: Wer hat es gesagt? Gibt es eine Bestätigung? Welche anderen Informationen bekommen wir dazu noch? Information und Quelle gehören im Journalismus zusammen. Insbesondere bei Nachrichten.

Am „Newsdesk“, wo unsere Nachrichten entstehen, bemühen wir uns darum, Informationen zu prüfen und verifizieren. Wir recherchieren den Urheber der Nachricht, beurteilen die Seriosität der Quelle, versuchen, eine zweite Quelle zu finden, die unabhängig ist von der ersten. Manchmal ist das einfach und es genügt ein Anruf oder eine Mail. Manchmal aber ist es fast unmöglich, die Richtigkeit einer Information selbst zu prüfen – etwa bei Augenzeugenberichten aus Kriegsgebieten oder bei exklusiven Recherchen anderer Medien. In derartigen Fällen müssen wir uns auf Informationen von Dritten verlassen und gehen entsprechend zurückhaltend damit um. Konkret bedeutet dies, dass wir in einer Meldung beispielsweise auf die (noch) fehlende Bestätigung einer Information hinweisen.

Wie gehen wir mit Nachrichtenagenturen um?

ZEIT ONLINE verlässt sich neben eigenen Reportern und Korrespondenten vor allem auf Nachrichtenagenturen: die Deutsche Presse-Agentur, Reuters, Agence France Presse (AFP). Ohne sie könnten wir kaum arbeiten, denn sie verfügen über ein weltweites Netz von Redakteuren und Reportern, die entweder selbst vor Ort sind oder mit vertrauenswürdigen Quellen in Kontakt stehen. Sie arbeiten als unabhängige Dienstleister, die wir dafür bezahlen, dass ZEIT ONLINE ihre Informationen nutzen darf.

Sie sind meist verlässliche, schnelle und glaubwürdige Lieferanten für Nachrichten, die eine Unmenge an Informationen bereits selbst überprüft haben. Agenturen nennen immer die Quelle ihrer Information, so wie auch wir in unseren Nachrichten. Nur so lässt sich die Glaubwürdigkeit einer Neuigkeit überprüfen. Wenn Agenturen Fehler machen, korrigieren sie diese transparent. Auch für die Nachrichtenagenturen ist Glaubwürdigkeit die Grundlage ihrer Arbeit.

Trotzdem vertrauen wir Agenturen nicht blind. Bei jeder Meldung, die wir übernehmen, bemühen wir uns um eine Bestätigung, um eine zweite Quelle. Ganz besonders, wenn es um Eilmeldungen geht. Ein bekannter Mensch soll gestorben sein? Es gibt einen Anschlag? Ein Flugzeug ist abgestürzt? In solchen Momenten versuchen wir, besondere journalistische Sorgfalt walten zu lassen: Können wir uns den Tod durch einen Anruf bestätigen lassen? Berichten nur Augenzeugen von dem Anschlag oder hat ihn die Polizei bereits mitgeteilt? Gibt es eine zweite Quelle für den Absturz?

Erst, wenn wir sicher sind, dass die Information nach menschlichem Ermessen richtig ist, wird auch bei ZEIT ONLINE eine Eilmeldung daraus. Dann erreicht Sie unsere Pushnachricht auf dem Handy und oben auf unserer Website erscheint ein gelber Balken. „Be first, but first be right“, heißt eine journalistische Grundregel, der wir uns verpflichtet fühlen: Wir wollen die ersten mit einer Nachricht sein, aber noch wichtiger ist es, dass die Nachricht richtig ist.

Nicht immer klappt das so, wie wir es uns wünschen, natürlich machen wir Fehler. Die gravierenden werden wir in diesem Blog ab sofort sammeln.

58 Kommentare

  1.   Transatlantischer Jubelperser

    „Was ist die Quelle?

    Aber nicht nur die Relevanz eines Themas entscheidet über unsere Nachrichtenauswahl, sondern auch die Quelle der Meldung: Wer hat es gesagt? Gibt es eine Bestätigung? Welche anderen Informationen bekommen wir dazu noch? Information und Quelle gehören im Journalismus zusammen. Insbesondere bei Nachrichten.

    Am „Newsdesk“, wo unsere Nachrichten entstehen, bemühen wir uns darum, Informationen zu prüfen und verifizieren. Wir recherchieren den Urheber der Nachricht, beurteilen die Seriosität der Quelle, versuchen, eine zweite Quelle zu finden, die unabhängig ist von der ersten. Manchmal ist das einfach und es genügt ein Anruf oder eine Mail. Manchmal aber ist es fast unmöglich, die Richtigkeit einer Information selbst zu prüfen – etwa bei Augenzeugenberichten aus Kriegsgebieten oder bei exklusiven Recherchen anderer Medien. In derartigen Fällen müssen wir uns auf Informationen von Dritten verlassen und gehen entsprechend zurückhaltend damit um. Konkret bedeutet dies, dass wir in einer Meldung beispielsweise auf die (noch) fehlende Bestätigung einer Information hinweisen.“

    Werte Redaktion, wie passt das oben Gesagte zur Syrienberichterstattung?

    z.B. „gehen entsprechend zurückhaltend damit um…“
    http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-12/aleppo-syrische-armee-zivilisten-hinrichtungen-un

    ???


    „Nicht immer klappt das so, wie wir es uns wünschen, natürlich machen wir Fehler. Die gravierenden werden wir in diesem Blog ab sofort sammeln.“

    Da bin ich gespannt…
    Meiner Meinung nach gehören da z.B. ALLE(!!!) Artikel von Frau Backhaus und Herr Luther zu Syrien dazu…

    Interessant wäre auch mal eine Stellungnahme der entsprechenden Autoren zu ihren „Fehlern“!

  2.   T. Steffen

    Ich finde die ZEIT auch super! Weiter so!

    Unter airwars.org werden übrigens die zivilen Opfer der Luftschläge der westlich-arabischen Koalition und Russlands in Syrien und Irak gesammelt. Hierzu heißt es:

    „Summary findings on Coalition airstrikes:
    August 8th 2014 to December 12th 2016

    To December 12th 2016 an overall total of between 4,568 and 6,127 civilian non-combatant fatalities had been alleged from 733 separate reported incidents, in both Iraq and Syria. Of these, Airwars presently estimates that a minimum of 2,013 to 2,957 civilians are likely to have died in Coalition actions. However, some caution is needed given the significant challenges of casualty verification at present.“

    Grob vereinfacht heißt das, der Westen und seine arabischen Allierten sind für 45% bis 50% der zivilen Opfer durch Luftschläge verantwortlich. Welchen Raum nehmen diese Opfer ein, verglichen mit jenen, die durch russische Luftschläge zu beklagen waren?

  3.   Helmist

    Danke für diesen Beitrag. Ich bin zum Vergleich mal ein paar Artikel durchgegangen und tatsächlich hatten diese sehr deutlich oft sogar mehrere Quellen aufgelistet.

    Ich vertraue der Zeit prinzipiell schon, dass sie gut aussiebt und filtert, aber gerade bei dem Syrien-Konflikt bin ich sehr vorsichtig geworden. Die englische 1-Mann-Show namens „Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ und die „Syrischen Weißhelme“ wurden ja auch schon viel kritisiert, sind also evtl nicht glaubwürdig. Ansonsten gibt es da unten jede Menge „Aktivisten“ und Informanten, aber vielleicht sind das ja auch hauptsächlich Rebellen? Die machen ja bekannterweise auch Propaganda, z.B. indem ein angeblich Verwundeter in mehreren Videos unter verschiedenen Namen auftaucht.

    Und jetzt eben mit Ost-Aleppo: Gibt es da nun Massaker oder wurden einfach nur ein paar Rebellen vom Militär hingerichtet? Wie soll ich das beurteilen? Die Artikel deuten einen halben Holocaust an, aber ich sehe keine Anhaltspunkte. Klar, die Artikel berufen sich auf die UN, aber woher haben die ihre Infos? Ich fühle mich da trotz der Quellenangaben in den Artikeln ziemlich machtlos in der Beurteilung.

    Kommt aus der Diskrepanz der Quelllen-Einordnung vielleicht auch das krasse Geschimpfe der Kommentatoren?

    Ich will hier ausdrücklich *nicht* darüber diskutieren, was da genau stattfindet, sondern nur, wie man das beurteilen können soll!

  4.   Ook

    Guter Ansatz! Aber führt der Bezug von ausschließlich westlichen Presseagenturen nicht zu einem verzerrten Bild? Wie wäre es, gerade wo Kritik an Russland geübt wird, mit der TASS, oder, im Bezug auf Syrien und den Nahost-Konflikt, arabischen Medien?

  5.   Kriegsminister

    Das Journalisten mit Hilfe von Presseagenturen recherchieren ist nicht unbedingt überraschend.

    Über den Fall Tugce kam die Tage in HRInfo ein Bericht über die Verhandlung. Sie war nicht ganz, so wie es hier dargestellt ist, ein Opfer ihrer „Zivilcourage“ sondern hat, nach Prozessaussagen einiger Beteiligten, durchaus provoziert und hat von dem Täter nicht abgelassen obwohl dieser längst das FastFood Restaurant verlassen hatte.

    Aber auch der Bericht über die angeblich in Aleppo hingerichteten Zivilisten, sind nicht verifiziert. Der UN Bericht äußert Zweifel und die Quellen ist eine Kriegspartei. Die Menge der Kommentare zeigt das viele Leser unzufrieden sind mit dieser Art der Berichterstattung.

    Insofern beschreibt der Artikel vielleicht eine Seite der Arbeit, aber nicht wie die Einseitigkeit mancher Themen zustande kommt. Das wäre interessanter zu erfahren.

    Es sind ja nicht unbedingt falsche Nachrichten die nerven, sondern die Meinungen die transportiert werden, die immer mehr den Eindruck einer Propagandamaschinerie erwecken.

    Daher finde ich die Diskussion um „Lügenpresse“ oder „Fake-News“ nur ein Schattenboxen, es geht eher darum wie entstehen in den Redaktionen manche Narrative die Verkündet werden?

    Das ist der Grund der vielen Vorwürfe an die Medien, nicht weil irgendwelche Nachrichten nicht „richtig“ sind.

  6.   Philo

    Man muss die Dinge nicht komplizierter machen als sie sind. Wichtig ist für eine Redaktion das, was ihre Mitglieder für wichtig halten, und das hängt stets von der persönlichen Weltanschauung ab. Stimmt die weitgehend überein, dann ist klar was passiert. Man muss nur ZON mit anderen Nachrichtenseiten vergleichen, um zu sehen, dass ZON weniger eine Nachrichten- als eine Weltanschauungsplattform ist. Das zeigen schon die täglichen emotionalen Appell- und Leidartikel.

  7.   -Pat Riot-

    Vielen Dank! Ich bin darüber sehr erfreut.

  8.   Ronja Hallali

    „So haarsträubend die Details zu den mutmaßlich russischen Hackerangriffen in den USA wirken: Hier könnte es genauso passieren.“

    „http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2016-12/bundestagswahl-drei-lektionen-dnc-podesta-hack“

    ZON von heute, 2 Seiten Bericht über „Details zu mutmaßlichen russischen Hackerangriffen“.

    Und obwohl ZON selber einräumt, es handele sich bloße „Mutmaßungen“, wird auch gleich noch angemahnt, dass das, von dem man überhaupt nicht weiß, ob es passiert ist, auch in Deutschland passieren könnte.

    Ich finde, da gehen die im wirklich lobenswerten Glashausblog erklärte Theorie und die geschriebene Praxis weit getrennte Wege.

  9.   Dostoprimetschatelnosti

    Vielen Dank für diesen Einblick.

    Verbesserungswürdig finde ich, daß sich die oft die Aussagen der Überschriften über den Artikeln im Artikel selber nicht wiederfinden lassen.

    Zudem können viele Autoren bei der Zeit EU und Europa nocht nicht auseinander halten

  10.   Valmel

    „Deshalb berichten wir […] in der Regel nicht über […] Unfälle. Es sei denn, die Ereignisse bekommen eine größere Bedeutung, erhalten gesellschaftliche Relevanz. Etwa weil U-Bahn-Schläger zu einem Phänomen werden, ein Passagierflugzeug abstürzt […] und dabei viele Menschen sterben“

    Mich hat schon immer interessiert, warum ein Flugzeugabsturz „gesellschaftlich Relevant“ ist, bzw. ab wie vielen Toten dies der Fall sein soll.
    Ist es für die Gesellschaft wirklich ein Unterschied, ob 5 Menschen auf der Autobahn sterben oder 50 bei einem Zugunglück?
    Oder ist es nicht doch eher das Außergewöhnliche, die Sensation?

 

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