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Warum wir nicht gendern

 

Dieser Text erscheint in unserem Glashaus-Blog. Was es damit auf sich hat, erfahren Sie hier.

„Warum gendern Sie nicht? Ihre Nutzer*innen würden sich darüber freuen!“

Nahezu jede Woche erreichen uns solche Bitten von Leserinnen und Lesern. In der Tat nutzt ZEIT ONLINE das Gendersternchen, das Binnen-I und auch den Unterstrich in Substantiven nicht, wenn wir uns auf Männer, Frauen und Menschen anderen Geschlechts beziehen. Auch in unseren Konferenzen ist die Frage, wie wir mit solchen Schreibweisen umgehen, immer wieder Thema. Zuletzt vor einigen Tagen, nachdem der Text einer Autorin erschienen war, die das Gendersternchen bewusst einsetzte.

Wir haben uns bisher – so auch in der jüngsten Debatte – dagegen entschieden, eine dieser alternativen Schreibweisen konsequent einzusetzen. Dahinter steht die Sorge, dass unsere Texte unleserlich würden und wir Leserinnen abschrecken könnten, weil sie sich erzogen fühlen. Wir wollen aber nicht bei jedem Text mit Lesern über das Sternchen diskutieren, sondern über den Inhalt. Das kann man auch anders entscheiden: Die Redaktion von ze.tt, dem jungen Onlineangebot des Zeitverlags, hat sich gleich zu Anfang für eine konsequente Schreibweise mit Sternchen entschieden – und verteidigt diese Entscheidung fast täglich mit Leidenschaft gegenüber Leserinnen und Lesern, die sich daran stören.

Natürlich wollen wir über Menschen jeden Geschlechts berichten und sie gleichermaßen ansprechen. Wir sind uns bewusst, dass Sprache nicht nur abbildet, sondern Wirklichkeit formt. Zu unserem Beruf gehört es, bewusst und sensibel mit Sprache umzugehen.

Wir wollen deshalb in Zukunft konsequent darauf achten, bei der ersten Erwähnung eines Sachverhalts von Männern und Frauen, Lehrerinnen und Lehrern, Tagesmüttern und Tagesvätern, Politikerinnen und Politikern zu sprechen: Wir verwenden Doppelformen. Geschieht das am Anfang einmal explizit, können wir im Weiteren abwechselnd sowohl den weiblichen als auch den männlichen Plural nehmen, um anzuzeigen, dass weiterhin alle gemeint sind. Das mag auf einige irritierend wirken, anderen wird es gar nicht auffallen. (Wir haben diese Guerilla-Taktik auch weiter oben in diesem Text eingesetzt. Hat es Sie gestört?)

Mehr noch: Wir suchen, wo es möglich ist und die Sprache nicht zu sehr verunstaltet, nach einer neutralen Form im Plural. Statt Feuerwehrmänner und Feuerwehrfrauen schreiben wir Feuerwehrleute. Nur diese Schreibweise schließt auch die Geschlechter jenseits von Mann und Frau ganz ohne Sternchen elegant mit ein.

Dies wird uns nicht immer und nicht immer so elegant gelingen, wie wir uns das wünschen. Wir wollen uns aber deutlich mehr Mühe geben als bisher.

Schließlich: In Gastbeiträgen kann das Gendersternchen manchmal doch auftauchen, wenn es der Autorin oder dem Autor unabdingbar erscheint und für das Thema wichtig ist. Das aber bleibt bei ZEIT ONLINE die Ausnahme.

Meike Dülffer ist Textchefin von ZEIT ONLINE.

242 Kommentare

  1.   lumila

    Volle Unterstützung!
    Vielen Dank, Frau Dülffer, für diese klare Einstellung!
    Wir brauchen nicht unsere (Schrift-) Sprache verunstalten, um auszudrücken, was wir vertreten. Ich bezweifle auch sehr, ob all diese Versuche des gewaltsamen Eingriffs in die Sprache ihren beabsichtigten Zweck erfüllen, oder ob sie nicht viele vor den Kopf stößt. Meine harmloseste Reaktion darauf ist, dies albern zu finden, obwohl ich die Absicht dahinter „eigentlich“ unterstütze …

  2.   DJDoena

    „Hat es Sie gestört?“

    Sagen wir es so: Mir ist es sofort aufgefallen. Nämlich hier: „[…] und wir Leserinnen abschrecken könnten […]“.

    Da hab ich als Kerl nur gedacht „Na Leserinnen (weiblich) lassen sich ja anscheinend leicht abschrecken“. Hätte da der generische maskuline Plural gestanden, hätte ich keine Gendervermutung an den „Leser“ m/w gestellt, weil ich das von der deutschen Sprache so gewöhnt bin.

    Genau wie ich im Englischen nicht davon ausgehe, dass eine „nurse“ zwingend eine Frau ist.

  3.   ulfmpunkt

    „Statt Feuerwehrmänner und Feuerwehrfrauen schreiben wir Feuerwehrleute“, schreiben Sie. Seltsamerweise bezeichnete „-leute“ früher den Plural von Feuerwehrmann, Bergmann oder Seemann – typische Männerberufe also. Obwohl es weder Feuerwehrfrauen, Bergfrauen noch Seefrauen gab, durfte der Plural nicht „-männer“ lauten (meine Lehrer achteten darauf), sondern immer „-leute“. Das änderte sich im umgangssprachlichen Gebrauch, weil es immer weniger typische Männerberufe gab und man Frauen wie Männern gerecht werden wollte. Mit Ihrer Guerillataktik kehren Sie nun in die alte (Sprach-)welt zurück und zeigen damit gleichzeitig, dass die Realität sich geändert hat. Finde ich gut, obwohl ich als Ruhrgebietler bei „Bergleuten“ immer noch an Männer denke. Alte Schule eben …

  4.   admrm

    @ #1 Systembereuer: Das Plugin will ich auch!
    Ich finde, Gendern bewirkt das Gegenteil von dem, was es soll: Es teilt die Menschheit unnötigerweise in zwei Gruppen. Im Bildungswesen kürzt man „Schüler und Schülerinnen“ mit „SuS“ ab – als ob „S“ nicht schon geschlechtsneutral genug wäre.
    Mal ehrlich: Welche Leserin, die von einer Zeitung mit „Leser“ betitelt wird, glaubt ernsthaft, dass sie nicht gemeint ist? Das ist nur Eitelkeit.
    Dann aber „Leserinnen“ zu schreiben, und die männlichen Leser mit zu meinen, irritiert, denn „Leserin“ hat die generische Bedeutung einfach nicht, sondern betont das Geschlecht.

  5.   neurott

    Hier ein Vorschlag für ein Sozialkundebuch:
    „Wenn GesetzesbrecherInnen von Ordnungshütern/hüterinnen gefasst
    werden, werden sie einem/einer HaftrichterIn vorgeführt. Bei der Gerichtsverhandlung können sich die ÜbeltäterInnen bei einem/einerRechtsanwalt/anwältin Rechtsbeistand nehmen. Am Ende der Verhandlung fällt der/die RichterIn ein Urteil. Im Falle einer Haftstrafe werden der/die Angeklagte im Gefängnis von Gefängniswärtern/wärterinnen beufsichtigt. Bei einer Bewährungsstrafe können sie auch noch von Sozialarbeitern/arbeiterinnen betreut werden. Überführten Mördern/Mörderinnen droht eine lebenslange Haftstrafe“.
    Zusätzlich finde ich es eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass der männliche Plural mit dem weiblichen Artikel gebildet wird. Wo soll das nur noch hinführen?

  6.   Bitbändiger

    Bei dem Thema kommt mir automatisch die herrliche Satire „Feminispräch“ der überragenden Kabarettistin Stephanie Überall („Missfits“) in den Sinn (auch anzuhören auf youtube). Da die Missfits sich immer betont extremfeministisch gaben, bin ich überzeugt, dass viele sprachpolizeilich ambitionierte Superemanzinnen (sic!) den Ansatz, in der Sprache das Phonem „er“ auszumerzen und generell durch „sie“ zu ersetzen, ernstgenommen haben.

  7.   Raistlin

    Ich bin ehrlich fassungslos dass diese endlose Diskussion notwendig ist. Unsere Sprache bietet mit dem generischen Maskulinum eigentlich eine Lösung für unnötig lange und komplizierte Sprachverschwurbelungen. Per Definition wird es verwendet wenn das Geschlecht „unbekannt oder nicht relevant“ ist. Wobei „nicht relevant“ für mich den Kern trifft; so gibt es z.B. die Formulierung „männliche Lehrer“, weil Lehrer allein meist geschlechtsneutral verwendet wird. Die derzeitige Genderisierung erscheint mir kontraproduktiv und zieht Grenzen wo keine sein sollten. Dass alle Geschlechter gleichberechtigt gemeint sind sollte inzwischen selbstverständlich sein, ohne dass man an jeder Stelle auf Geschlechtsunterschiede hinweisen muss. Und interessanterweise hat sich noch nie jemand über die fehlenden * bei Verbrecher*innen, Dieb*innen, Betrüger*innen etc. aufgeregt. Die Guerillataktik der Zeit (wechseln zwischen den Geschlechtern) finde ich irritierend, speziell weil wir im deutschen halt kein generisches Femininum haben und damit sprachlich tatsächlich die Männer ausgeschlossen werden obwohl das nicht von der verfassenden Person gewollt ist. Ich habe es beim Lesen jedenfalls gemerkt.

  8.   bernd kommentiert

    „Warum wir nicht gendern“ …
    … ist eigntl. eine belanglose Frage, da Gendern einer kultur-polit. Mode folgt und außerhalb der Hochsprache und Literatur ihr Nischendasein fristet. Korrekte Verwendung der deutschen Grammatik ist beim Zeitunglesen erwünscht (vllt. nicht unbedingt in den Foren zwingend).

    „(Wir haben diese Guerilla-Taktik auch weiter oben in diesem Text eingesetzt. Hat es Sie gestört?)“
    Natürlich, mit dem dazugehörigen Autsch!-Effekt, so wie beim Leipzscher Titel Professorin für alle Profs ;-)

  9.   bernd kommentiert

    „Warum …“
    … abgesehen von der polit.-kulturellen Mode ist Gendern sexistisch ;-)

  10.   admrm

    Was auch witzig ist: Wenn Institutionen gegendert werden. So ist z.B. die Stadt Nürnberg eine Arbeitgeberin und die Congregatio Jesu eine Kontoinhaberin.
    Gott verhüte dass die Stadt Nürnberg diskriminiert wird!

 

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