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ZEIT ONLINE erhält den Negativpreis „Big Brother Award“

 

Update vom Samstag, 8. Juni 2019: Die ausführliche Begründung des Vereins Digitalcourage e.V. liegt nun als Rede vor. Sie enthält weitere Fehler, die wir am Ende dieses Beitrags ergänzend dokumentieren. Digitalcourage e.V. hat angekündigt, diese Fehler im Redemanuskript ebenfalls zu korrigieren.

Einige Autoren dieses Blogs

Der Bielefelder Verein Digitalcourage e.V. hat uns darüber informiert, dass ZEIT ONLINE im Jahr 2019 mit dem Negativpreis „Big Brother Award“ in der Kategorie Verbraucherschutz ausgezeichnet wird. In der uns übermittelten Kurzbegründung heißt es:

Der Online-Auftritt der „Zeit“ erhält den BigBrotherAward 2019 in der Kategorie Verbraucherschutz: Erstens für Werbetracker und den Facebook-Pixel. Zweitens für die Nutzung von Google-Diensten beim Projekt „Deutschland spricht“. Damit werden politische Ansichten von Menschen auf Servern in den USA gespeichert. Drittens dafür, dass sie sich das Nebenprojekt von „Deutschland spricht“ von Google haben finanzieren lassen. Dieser faustische Pakt mit einer der größten Datenkraken beschädigt die journalistische Unabhängigkeit.

 

Was in der Begründung korrekt ist

ZEIT ONLINE liefert – wie alle journalistischen Angebote mit hoher Reichweite – Werbung aus und damit auch eine Reihe von Werbetrackern. Welche Tracker unsere Website ausliefert, machen wir hier transparent. Die Werbung kann – im Gegensatz zu klassischer Werbung – individualisiert ausgespielt werden. Diese Individualisierung lässt sich hier abschalten. (Hier ist unsere Datenschutzerklärung.)

ZEIT ONLINE liefert auch “den Facebook-Pixel” aus – wie viele reichweitenstarke journalistische Angebote. Die Einbindung dient unserem Verlag ausschließlich dazu, unsere Leserinnen und Leser auf Facebook mit Eigenwerbung zu erreichen, falls diese dort aktiv sind.

Die Entwicklung der frei verfügbaren, nichtkommerziellen Plattform My Country Talks wurde durch eine Anschubfinanzierung von Google ermöglicht. Diese Finanzierung ist seit dem Start des Projekts transparent. Sie floss vollständig an den Berliner Dienstleister diesdas.digital, der die Plattform nach Maßgabe einer Gruppe von internationalen Medienpartnern entwickelt hat.

Mittlerweile haben sich weitere Geldgeber am Aufbau der Plattform beteiligt, zahlreiche internationale Medien unterstützen sie und nutzen sie als Partner. Keiner der Geldgeber hatte jemals Einblick in die Daten oder den Code der Plattform.

 

Was in der Begründung falsch ist

Auch das Projekt Deutschland spricht wurde 2018 und wird 2019 über die genannte Plattform My Country Talks organisiert, so wie mittlerweile zahlreiche internationale Projekte. Die Plattform ist eine Eigenentwicklung mit einem aufwändigen Sicherheits- und Datenschutzkonzept. Google-Dienste werden dafür nicht genutzt, bis auf den vorgeschalteten Service reCaptcha, der Spam-Attacken und Bot-Angriffe blockiert. Insbesondere speichert die Plattform nicht “politische Ansichten von Menschen auf Servern in den USA”. Alle Daten liegen in Deutschland.

Lediglich der erste Testlauf von Deutschland spricht im Jahr 2017 verwendete, wie bereits damals kommuniziert, unter anderem einen Dienst von Google Apps, um Daten zu speichern. Auch damals haben wir auf die Sicherheit der Daten bereits größten Wert gelegt. Der ZEIT-Verlag nutzt unternehmensweit die kostenpflichtige Variante „G Suite für Unternehmen“, bei der die Auftragsdatenverarbeitung und der Datenschutz geregelt sind. Eine Nutzung dieser Daten durch Google ist vertraglich ausgeschlossen.

Die Redaktion von ZEIT ONLINE ist journalistisch unabhängig. Kein Außenstehender hat Einfluss auf unseren Journalismus, auch kein Partner oder Unterstützer von My Country Talks. Einen faustischen Pakt gibt es nicht, unsere Seele gehört uns.

Sobald uns weitere Informationen zur Begründung der Jury vorliegen, bauen wir diesen Blogeintrag aus.

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Update 8. Juni 2019: Die ausführliche Begründung des Vereins Digitalcourage liegt nun als Rede vor. Sie enthält weitere Fehler, die wir hier ergänzend dokumentieren. Digitalcourage e.V. hat angekündigt, diese Fehler in der Rede ebenfalls zu korrigieren.

Der BigBrotherAward 2019 in der Kategorie Verbraucherschutz geht an ZEIT ONLINE […] dafür, dass sie […] auf ihren Websites zeit.de und mycountrytalks.de zum Teil in großem Stil Werbetracker, wie auch das Facebook-Pixel einsetzen.“

Bereits hier werden die Website von ZEIT ONLINE, die Marketing-Website mycountrytalks.org und die tatsächliche App von „My Country talks“ verwechselt, was im Folgenden zu verschiedenen Missverständnissen und groben Fehlern führt.

Mit der App werden Events wie „Deutschland spricht“ betrieben und die Nutzerdaten erfasst. Hier war zu keinem Zeitpunk irgendeine Form von Tracking (wie Doubleclick oder Google Analytics) eingebunden. Im Kontext des Projektes wurde auch nie ein Facebook-Pixel ausgeliefert.

Die Darstellung der technischen Details des Projekts „My Country talks“ in der ausführlichen Begründung ist grundlegend falsch. Das hätte entweder durch einfache Nachfrage und Konfrontation oder durch Inspektion des Fragebogens eines laufenden Events sehr einfach herausgefunden werden können.

Digitalcourage war aber trotz des Angebots von ZEIT ONLINE, Einblick in die Plattform „My Country talks“ zu nehmen, vor der Verleihung in Bielefeld nicht dazu bereit. Die Recherche sei bereits abgeschlossen.

Ihr habt eine Software programmieren lassen, – und Ihr habt Partner in fünfzig Ländern, die das auch nutzen. […] Die neue Software wird nun nicht mehr bei Google in den USA gehostet, sondern in Frankfurt. In der Amazon Cloud.

Das ist falsch. Die neue Software wird bei einem unabhängigen Hoster namens Makandra betrieben – inklusive der Speicherung aller Nutzerdaten in Köln. In der Amazon-Cloud liegt lediglich die genannte Marketing-Seite, die mit der Durchführung der Events und der Datenerhebung nichts zu tun hat.

Übrigens: Auch, wenn die Datenschutzerklärung von MyCountryTalks (die Ihr einfach nur kopiert habt) behauptet, wahnsinnig viele Tracker und Drittwebsites aufzurufen: Es sind in Wirklichkeit „nur” sehr wenige. Allerdings mit die Schlimmsten. DoubleClick, Google Analytics, Google Fonts und der Google Tag Manager zum Beispiel.

Auch das ist falsch. Diese Angabe bezieht sich nur auf die Marketingseite und hat nichts mit der My-Country-Talks-App zu tun.

Der Vollständigkeit halber: Auch die folgende Passage enthält – für die Argumentation von Digitalcourage e.V. unwesentliche – Fehler:

Es ist 2017. Das Jahr eines Bundestags-Wahlkampfs. Ihr plantet ein Projekt, das Euch viel Wertschätzung und Ehre einbringt. Es heißt „Deutschland spricht”. […] 28.000 Menschen haben dort einen Fragebogen mit neun Fragen ausgefüllt, der politische Standpunkte abfragte. […] Wie immer musste es schnell gehen, und es durfte halt nichts kosten. Also habt Ihr sämtliche Daten Eurer Teilnehmer mit allen politischen Meinungen in den Cloudtools der Google Office-Suite gespeichert und verarbeitet.

Bei Deutschland spricht 2017 haben nicht 28.000 Menschen teilgenommen, sondern 12.000. (28.000 stammen von „Deutschland spricht“ im Jahr 2018.) Es waren 2017 auch nur fünf Ja-Nein-Fragen, nicht neun.

ZEIT-ONLINE-Chefredakteur Jochen Wegner hat den Negativ-Preis in Bielefeld entgegengenommen und die teilweise fehlerhafte Begründung bei der Veranstaltung kommentiert. Das Archiv des Livestreams zur Preisverleihung steht hier zur Verfügung. (ZEIT ONLINE ab 1h 39min.)