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Angela Merkel, bitte melden Sie sich!

 

Die Kluft zwischen Politik und Bürgern ist tiefer denn je. Das weiß offenbar auch die Kanzlerin und startet ihren ersten Bürgerdialog im Internet. Via Podcast bittet sie die Bürger bis Mitte November auf einer neuen Online-Plattform zu diskutieren, wohin die Nation in puncto Nachhaltigkeit steuern sollte.

„Na, was machst du?“, fragt die rotblonde Frau ihren Freund, der am Laptop sitzt. Ernsthaft blickt der sie an und antwortet etwas streberhaft: „Ich diskutiere mit der Bundesregierung.“ „Und worüber?“, hakt sie nach. „Über Energie und Bildung und wie Politik für die Zukunft aussehen muss“, sagt er. Nach 30 Sekunden ist der Youtube-Spot vorbei, mit dem die Bundesregierung demnächst auch im Kino ihren E-Dialog bewirbt, „um möglichst viele Menschen zum Mitmachen zu bewegen“, wie eine Sprecherin des Bundespresseamtes sagt. Obendrein wurden Umweltverbände, Gewerkschaften und Wissenschaftler angeschrieben, die sich beruflich mit den Themen „Wirtschaft, Soziales, Umwelt“ beschäftigen.

Was Angela Merkel selbst unter nachhaltiger Politik versteht, erklärt sie zum Auftakt in einem Podcast. Und spricht ausgerechnet über ihr umstrittenes Energiekonzept, das bereits zu wütenden Protesten der Bürger auf Berlins Straßen geführt hat. Das wäre zu verschmerzen, hätten die Bürger das Regierungsvotum für Atomkraft nicht als in Hinterzimmern ausgekungelt empfunden – und eben nicht als Zeichen für Dialog und Bereitschaft, gemäß den Mehrheiten in der Bevölkerung Politik zu machen. Wie die Bürger auf Merkels Einladung zum Talk reagieren, wird sich zeigen.  Noch ist es still auf der Seite. Kein Wunder, der offizielle Kick-Off war erst gestern.

Im Prinzip ist der Online-Dialog eine gute Idee. Vorbild ist die Mitmach-Aktion des Bundesumweltministeriums, bei der sich in sechs Wochen 1400 Interessierte zu Wort meldeten. Als die Kölner im Netz über ihren Haushalt diskutieren durften, machten sogar über 10.000 Bürger Sparvorschläge. Das Internet senkt für viele die Hürde, sich einzumischen.

Leider scheint das Bundeskanzleramt Angst vor der eigenen Courage zu haben. Denn anders als beim Bundesumweltministerium, die zehn der aktivsten Onliner real ins Ministerium einluden, um das Gespräch zu vertiefen, wird Angela Merkel stumm bleiben. Direktes Feedback von der Kanzlerin ist nicht vorgesehen. Die Online-Beiträge sollen allerdings in die „Nachhaltigkeitsstrategie“ der Regierung einfließen. Das Bundespresseamt hofft, „dass die Bürger intensiv darüber diskutieren“.

Auf  den Makel des eigenen Schweigens angesprochen, sicherte eine Sprecherin des Bundespresseamtes ZEIT ONLINE heute morgen spontan eine Änderung der Strategie zu. „Auf direkte Fragen“ solle es auch Antworten „aus der Regierung geben“. Wer tatsächlich Rede und Antwort stehen wird und wie ausführlich die Repliken in der Praxis ausfallen, ist allerdings völlig offen.

Wahrlich zukunftsfähig ist in dieser Hinsicht der amerikanische Präsident, der die „open questions“, die ihm über 60.000 Amerikaner nach seiner Wahl im Netz stellten, tatsächlich real beantwortete. Er ließ über die Fragen abstimmen und stellte sich dann im Weißen Haus vor die Kameras. Nicht mal die Frage nach der Legalisierung von Marihuana war ihm zu heiß. Übertragen wurde die Veranstaltung landesweit vom Nachrichtensender CNN.

Also, liebe Angela Merkel. Live-Schalte aus dem Bundeskanzleramt in die deutschen Wohnzimmer – das wäre eine gute Idee. Garantiert explodiert dann auch die Zahl der Fragen im Netz.