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Kernfusion: Die Geldvernichtungsmaschine Iter

 

Seit der Eurokrise können die Zahlen ja gar nicht mehr groß genug sein. Aber 16 Milliarden Euro sind immer noch eine unvorstellbar große Zahl. So viel Geld wollen die Europäische Union, Japan, die USA, China, Indien, Südkorea und Russland für eine Idee ausgeben: den Traum von der unerschöpflichen Energie, dem Sonnenfeuer auf Erden – für den Internationalen Thermonuklearen Experimentalreaktor (Iter) im südfranzösischen Cadarache.

Seit den 1950er Jahren wird an der Kernfusion geforscht. In unkontrollierter und überwältigend zerstörerischer Form hatten die Physiker das Problem schon bald im Griff. Die Wasserstoffbombe fusioniert während ihrer Explosion Wasserstoffatome zu Helium und setzt unerhört hohe Mengen Energie frei. Doch die „kontrollierte“ Fusion von Tritium und Deuterium, zwei verschieden konfigurierten Wasserstoffatomen, zu Helium ist bisher nur einmal für 15 Sekunden geglückt. Trotzdem sind die Wissenschaftler seit Jahrzehnten überaus optimistisch, dass die Atomfusion „in etwa 50 Jahren“ einen großen Beitrag zur weltweiten Energieversorgung leisten könnte. Das aktuelle Zieldatum liegt irgendwo jenseits von 2050.

Wenn die Atomspaltung, um mit Bertholt Brecht zu sprechen, so etwas ist wie ein Banküberfall ist, dann ist die Kernfusion mit der Gründung einer Bank gleichzusetzen. Kein Rückschlag hat die gläubige Fusionsgemeinde je irre machen können. Und selbst die unkontrollierte Kostenexplosion bei Iter hat bisher nicht zur Besinnung geführt.

Erst vor wenigen Tagen  hat das Europäische Parlament erneut mit 403 gegen 61 Stimmen beschlossen, die jüngsten Kostensteigerungen in Cadarache ungeachtet aller Sparappelle wieder einmal auszugleichen. Allein 2012 fließen deshalb weitere 650 Millionen Euro aus dem Etat der Europäischen Union in den Iter. Allein davon ließen sich mindestens zwei Offshore-Windparks vom Kaliber Alpha Ventus bauen, dem deutschen Experimental-Offshore-Windpark, bei dem die Kosten ebenfalls aus dem Ruder gelaufen waren. Alpha Ventus hat 250 Millionen Euro gekostet.

Helga Trüpel, haushaltspolitische Sprecherin der grünen Europafraktion, sagt:

„Wir halten zusätzliche 650 Millionen Euro für eine dramatische Fehlinvestition in eine atomare Risikotechnologie, die im Fusionsprozess radioaktives Tritium verwendet, und die wir daher grundsätzlich ablehnen.“

Die Bundesregierung dagegen hält weiter Fusionskurs. 2011 hat das Forschungsministerium 144 Millionen für die Fusionsforschung ausgegeben, 2012 werden es sogar 158 Millionen Euro sein. Das ist ein Fünftel der staatlichen Energieforschungsmittel. Für die weitere Erforschung der erneuerbaren Energien wird lediglich ein Zehntel der Mittel verwendet, obwohl davon im Gegensatz zur Fusion schon heute reale Beiträge zur Energieversorgung geleistet werden. Im Reaktor Wendelstein 7-X in Greifswald werden aktuell über das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik rund 500 Millionen Euro dafür ausgegeben, herauszufinden, ob ein Magnetfeld die Fusionsreaktion unter Kontrolle halten könnte.

Wenn der Experimentalreaktor Iter einmal fertig ist, wird allein die EU 7,5 Milliarden Euro in das Projekt investiert haben, 45 Prozent der Gesamtkosten. Alle anderen beteiligten Nationen tragen je neun Prozent der Kosten. Dass die Fusionsenergie tatsächlich einmal ein kontrolliertes Sonnenfeuer entfachen und „alle Energieprobleme“ lösen könnte, ist eher unwahrscheinlich. Warum die EU und die anderen Partner dennoch weiterhin unbeirrt ihre Haushalte plündern, dafür hat Helga Trüpel nur eine Erklärung:

„Weder der französische Weg (mit Atomenergie in die Zukunft) noch der deutsche Weg (ohne Atomenergie in die Zukunft) können einen europäischen Energiekonsens stiften, sodass einzig Iter für die Sehnsucht steht, in der diese gemeinsamen Fortschrittsvisionen der europäischen Industrienationen aus dem 20. Jahrhundert wie zur Selbstvergewisserung bewahrt und verdichtet werden.“