Wiesenhof, das ist bislang der Inbegriff von industrieller Geflügelmast. PHW aus dem niedersächsischen Rechterfeld, das Unternehmen, zu dem Wiesenhof gehört, ist Marktführer in Deutschland. Im Jahr produzieren die Niedersachsen rund eine halbe Million Tonnen Hähnchen- und Putenfleisch. Kein anderes Unternehmen mästet und schlachtet so viel Geflügel wie PHW. Der Konzern kommt auf einen Umsatz von rund 2,2 Milliarden Euro. Solche Großindustrien haben ihre Schattenseiten: Nach Hygieneskandalen hat McDonald´s im vergangenen Jahr Wiesenhof gar ausgelistet.
Anfang des Jahres hat Wiesenhof nun ein neues Hühnchen auf den Markt gebracht: das Privathuhn. Es ist kein richtiges Bio-Huhn (hier müssen ja besonders strenge Anforderungen an Haltung, aber auch an das Futter erfüllt werden), aber auch kein Massenhaltungshuhn. Der Deutsche Tierschutzbund hat das Privathof-Huhn mit seinem Einstiegssiegel ausgezeichnet, also der niedrigsten Kategorie – aber immerhin.
Privathof-Hähnchen haben mehr Platz im Stall, sie wachsen langsamer und bekommen gar in einem überdachten Wintergarten Platz für den Auslauf. Dazu gibt es Strohballen, Picksteine und Sitzstangen.
Warum das alles? „Mit unserem Privathof Tierwohlkonzept versuchen wir, eine Alternative zur konventionellen Aufzucht zu vermarkten“, sagt der Chef des Geflügelkonzerns, Peter Wesjohann, im Interview mit ZEIT ONLINE. „Wichtig ist aus unserer Sicht, dass wir zu einem akzeptablen Aufpreis ein möglichst großes Mehr an Tierwohl generieren.“
Wiesenhof ist ganz zufrieden mit dem neuen Huhn. 44 Geflügelzüchter mästen in Deutschland inzwischen im Auftrag von PHW nach den Privathof-Standards. Wesjohann hofft, mit dem Privathuhn auf einen Marktanteil von drei bis vier Prozent zu kommen. Nach den BSE-Skandalen habe man bei den Biohühnern den Absatz verdreifacht. „Seitdem geht es stetig nach unten“, sagt Wesjohann. „
Das Problem ist natürlich der Preis. Wesjohann rechnet vor, dass der Kostenunterschied zu einem Hähnchen aus konventioneller Haltung bei bis zu 70 Prozent liege. Die Edelteile, also Brust und Keule, wird er sicherlich gut zu einem höheren Preis verkaufen können. Die Frage ist nur: Was passiert mit dem Rest? Landet der am Ende in einem Chicken-Burger, in Geflügelwürstchen oder gar im Ausland?
Aus Sicht von Tierschützern ist der Privathof natürlich nur eine Marketingaktion. Wesjohann verweist auf den Verbraucher, der eben nicht bereit sei, mehr Geld für Hühnerfleisch auszugeben. Es ist die Standardrechtfertigung der Landwirte: Der Kunde will es eben billig. Und das heißt konventionell – spricht industriell.
Das Problem ist nur: Der Preis für die konventionelle Zucht wäre eigentlich viel höher, wenn es strengere Haltungsvorgaben für Geflügelzüchter gebe. Während Schweinemäster und Legehennenbetreiber gesetzliche Vorgaben haben, gab es bis vor einigen Jahren nur Selbstverpflichtungen der Branche. Inzwischen macht zwar die EU Vorschriften, doch die sind lascher als das, was es bisher gab. Sehr aufschlussreich ist ein Papier des Niedersächsischen Landesamts für Verbraucherschutz:
„Die neuen Vorgaben ermöglichen deutlich höhere Besatzdichten. (…) Ob bei diesen Besatzdichten ein ungestörtes Ruhen der Tiere, wie nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Legehennenhaltung vom 06.07.1999 gefordert, noch möglich ist, ist zumindest fraglich. (…) In jedem Fall werden die neuen gesetzlichen Regelungen eine weitere Intensivierung der Haltung von Masthühnern ermögliche. (…)
M. E. machen es aber immer intensivere Haltungsbedingungen mit hohen Besatzdichten sowie die extrem leistungsfähige Genetik heutiger Broilerlinien, die naturgemäß mit einer höheren Anfälligkeit der Masthühner einhergeht, dem Tierhalter immer schwerer, ohne bzw. mit einem geringen Arzneimitteleinsatz auszukommen.“
Verkürzt gesagt: Bio-Hühner (und auf dem Weg dorthin auch die Privathof-Hühner) sind nicht zu teuer. Sondern die konventionell gemästeten Hühner sind einfach zu billig. Der günstige Preis funktioniert nur zu Lasten der Tiere (oder/und der Löhne). Würde es strengere gesetzliche Anforderungen an das Tierwohl geben, dann würde auch der Preis steigen. Und dann könnte es dem Verbraucher auch leichter fallen, gleich auf das „Original“-Biohuhn umzusteigen.