Die amerikanische Großbank Morgan Stanley ist mir bislang ja nicht untergekommen, wenn es um Energie- und Ökothemen geht. Asche auf mein Haupt: Morgan Stanley finanziert zurzeit das weltweit größte Gezeitenkraftwerk. Es soll vor der Küste Schottlands entstehen. Vor sieben Jahren sind die amerikanischen Banker in das damals kleine Projekt eingestiegen und halten inzwischen einen 45-Prozent-Anteil daran. Offenbar hatten sie 2007 einen guten Riecher. Kürzlich hat die britische Regierung dem Projekt MeyGen das grüne Licht gegeben, die Bauarbeiten dürfen beginnen. Morgan Stanley plant das Projekt zusammen mit dem französischen Energiekonzern GDF Suez und dem Turbinen-Entwickler Atlantis Resources.
Im kommenden Jahr starten die Bauarbeiten für sechs Unterwasserturbinen im Pentland Firth, der Meeresenge zwischen der Spitze Schottlands und der Insel Orkney. Die Turbinen werden erst einmal eine Kapazität von 86 Megawatt besitzen – ja, liebe Kritiker und Skeptiker, das ist noch nicht viel. Langfristig sollen es knapp 400 Megawatt werden. Das entspricht etwa der Leistung eines klassischen Kohlekraftwerks.
Das Projekt ist eine große Herausforderung, denn oben an der Küste Schottlands stürmt es arg und die Strömungen in der Meeresenge gelten als besonders tückisch. Für ein Gezeitenkraftwerk sind das allerdings Pluspunkte, die Energieausbeute ist besonders hoch. Das Gezeitenkraftwerk ähnelt von der Idee her riesigen Offshorewindrädern. Nur drehen die Räder sich eben unter Wasser. Jede Turbine ist mehr als 25 Meter hoch, wiegt 1.500 Tonnen und hat einen Rotordurchmesser von 18 Metern. Angetrieben werden sie durch die Unterwasserströmung. Hier eine Aufnahme eines Prototyps, der bereits seit zwei Jahren vor Schottland im Einsatz ist:
Wie keine andere Region in der EU setzt Schottland auf den maritimen Ökostrom. Die Regierung schätzt, dass Schottland zu den besten Standorten in der EU gilt, rund ein Viertel der europäischen Ressourcen für Gezeitenkraftwerke sollen demnach vor der eigenen Küste liegen. Die Regierung in London fördert solche Meeresstromprojekte mit besonders attraktiven Einspeisetarifen. Erst im Frühjahr hatte MeyGen außerdem eine Zehn Millionen Pfund schwere Kapitalspritze erhalten.
Schottland hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt, schon in sieben Jahren will es sich komplett mit Ökostrom versorgen, zumindest auf dem Papier. Das heißt allerdings nicht, dass es sich komplett von Öl und Gas verabschiedet. Viel zu attraktiv sind die Einnahmen aus der Offshore-Ölindustrie, die der wichtigste ökonomische Sektor Schottlands ist. Seit 1976 konnte sich Schottland über Steuereinnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft in Höhe von 300 Milliarden Pfund freuen.