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Weniger Strom, weniger Netz, weniger Kosten

 

Leider ist mir immer noch kein besseres Wort für Energieeffizienz eingefallen. Stromsparen? Hmpf! Energieeffizienz killt ja leider jegliches Leserinteresse gnadenlos (Danke, dass Sie es bis hierhin schon geschafft haben).

Die Politik agiert leider ähnlich: In Berlin und Brüssel scheint es inzwischen Usus zu sein, dass sämtliche Vorschläge zu einem effektiveren Einsatz von Energie im Papierkorb laden. Zu Unrecht, wie heute eine Studie der Agora Energiewende zeigt. Der Think Tank in Berlin ist einflussreich, der ehemalige Chef Rainer Baake ist inzwischen als Staatssekretär einer der engsten Berater von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel.

Das Agora-Team kommt zu dem Schluss, dass Deutschland Milliarden sparen könnte, wenn es seine Energie sorgsamer einsetzt. Eine Reduktion des Stromverbrauchs um zehn bis 35 Prozent gegenüber heute, senke die Kosten im Jahr 2035 um zehn bis zwanzig Milliarden Euro. Deutschland spart Geld, weil es weniger für Öl und Gas ausgeben muss und daher weniger neue Kraftwerke braucht – egal ob fossil oder erneuerbar. Erstmals beziffert das Team auch die Effizienz in Euro: Eine eingesparte Kilowattstunde kann die Kosten des Stromsystems um elf bis 15 Cent im Jahr 2035 senken.

Spannend sind vor allem die Folgen für den Netzausbau. Denn die Kausalkette ist ja klar: Wird weniger Strom verbraucht, muss auch weniger transportiert werden – also kann man sich den Netzausbau sparen. (Das wird sicherlich Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer gern hören, der ja bekanntlich gegen jeden neuen Netzmeter wettert.)

Zieht man die bisherige Energiewendepolitik weiter durch, dann benötigt Deutschland bis zum Jahr 2050 rund 8.500 Kilometern neue Leitungen im Übertragungsnetz. Je nach Einsparehrgeiz lässt sich der Bedarf mehr als halbieren, teilweise auf sogar nur 1.750 Kilometer, wenn man von einer Reduzierung des Strombedarfs um bis zu 40 Prozent in 2050 ausgeht.

Das ist natürlich ein Extremszenario. Wenn sich die Bundesregierung allein an ihr bislang selbst gesetztes Ziel hält und das Stromsparziel aus dem Energiekonzept umsetzt (zehn Prozent weniger Stromverbrauch im Jahr 2020 und 25 Prozent weniger im Jahr 2050) spart sich Deutschland im Jahr 2035 rund zwölf Milliarden Euro, im Jahr 2050 sogar 21 Milliarden Euro.

Das Problem ist nur: Gerade die EU verpasst zurzeit die Chance, das Thema auf die Agenda zu setzen und im Rahmen der neuen Energie- und Klimaziele 2020 gesetzlich verbindliche Ziele zu setzen. In den aktuellen Entwürfen sind wieder keine gesetzlich verbindlichen Ziele genannt. Die schwarz-gelbe Vorgänger-Bundesregierung hatte das Thema ebenfalls erfolgreich verbaselt, weil das damals noch FDP-geführte Wirtschaftsministerium sämtliche Ambitionen in diesem Bereich immer abgeblockt hatte. Jetzt hat Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) die Energieeffizienz geerbt. Sie wird vor allem auf das Thema Stromsparen im Bausektor achten, schließlich lässt sich vor allem beim Heizen in deutschen Häusern noch viel Energie einsparen.

Verrückterweise bekommt das Thema aber zurzeit eine aktuelle Brisanz. Das Krisenland Ukraine belegt in Europa einen der letzten Plätze, wenn’s um den sparsamen Einsatz von Energie geht. Hier ließen sich Milliarden sparen, wenn das System reformiert wird. Viel mehr noch als in Deutschland.